Seniorenhilfe Vergessen: Aus für Demenzberatungsstelle Gerda in Dresden
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20. November 2024, 06:00 Uhr
Dresden setzt im Sozialbereich den Rotstift an. Das betrifft auch die Seniorenhilfe und mit ihnen Menschen, die wenig Ressourcen haben, um gegen solche Entscheidungen Sturm zu laufen.
- In den Beratungsstellen treffen sich unter anderem pflegende Angehörige.
- Eine der Begegnungsstätten gibt Einrichtungshinweise für Wohnungen Demenzkranker.
- Viele wichtige Angebote werden mit der fehlenden Finanzierung wegfallen.
Demenz ist eine gefürchtete Diagnose. Die Krankheit des Vergessens erschüttert nicht nur das eigene Leben, sondern auch das der Angehörigen in ihren Grundfesten. Bedeutet sie doch viel Aufmerksamkeit und Betreuung. So pflegt der Dresdner Jens Bürger das achte Jahr seine demente Mutter in ihrem Zuhause. Sie hat mit Pflegegrad fünf die höchste Pflegestufe und muss rund um die Uhr versorgt werden.
Die ersten Zeichen für Demenz kamen leise, wie sich der 57-Jährige erinnert. Erst habe seine Mutter noch leicht dahingesagt: "Ach, das hab ich vergessen!" Doch ihr Gedächtnis baute immer weiter ab und mittlerweile könne sie gar nicht mehr sprechen, so der pflegende Sohn.
Monatliche Treffen der Angehörigen
Einmal im Monat kommt der Dresdner in die Kontakt- und Beratungsstelle Gerda im Gorbitzhof und trifft sich mit Angehörigen von Demenzkranken. Für ihn ist es ein wichtiger Termin, um nicht als Einzelkämpfer dazustehen: "Demenz ist eine sehr komplexe Erkrankung. Da stößt man sehr schnell an seine Grenzen und kann auch daran zerbrechen."
Demenz ist eine sehr komplexe Erkrankung. Da stößt man sehr schnell an seine Grenzen und kann auch daran zerbrechen.
Er erntet von den Anwesenden am Kaffeetisch wissendes Nicken. Es sei eine sehr schlimme Krankheit, stimmt eine 74-jährige Frau zu. Sie erlebe gerade den Vergessensprozess bei ihrem Ehemann: Es sei eine totale Veränderung ihrer Ehe. Weil sich nicht daheim alles mit sich selbst ausmachen könne, tausche sie sich hier in Gorbitz einmal im Monat aus und hole sich Rat. "Das ist für mich ganz wichtig."
Nur der absolute Moment geblieben
Die Ehefrau von Dr. Heinz Fischer lebt im absoluten Moment. Für Außenstehende sei das schwer nachzuvollziehen, sagt der 82-Jährige. Er habe auch die bittere Erfahrung machen müssen, wie sich durch die Krankheit sein Umfeld an Freunden und Bekannten gewandelt hat. "Man staunt, welche Leute sich zurückziehen und auch welche eher hinzukommen." Demente seien von heute auf morgen raus aus der Gesellschaft und es gebe auch keine Lobby für sie, bedauert der Dresdner.
Bisher gab es in Dresden für Demenzerkrankte und deren Angehörige vier Kontakt- und Beratungsstellen mit dem Namen Gerda. Dort greifen seit mehr als zwei Jahrzehnten Sozialarbeiter den Betroffenen unter die Arme.
Man berate zum Umgang mit der Krankheit, zu Arztterminen, helfe bei Anträgen für Pflege und Unterstützung, damit Angehörige nicht sieben Tage die Woche 24 Stunden zuständig sind, erklärt Ulla Klinger von der Gerda-Stelle in Gorbitz. "Die Pflegenden brauchen ihre Pausen, um sich generieren zu können, um das durchzuhalten, weiter gemeinsam in der Wohnung alt zu werden - das ist ja oft der Wunsch."
Die Pflegenden brauchen ihre Pausen, um sich generieren zu können.
Zugang in eine andere Welt
Auch helfen die Beraterinnen, einen Zugang in die Welt der Erkrankten zu finden. Die Begegnungsstätte am Amalie-Dietrich-Platz gibt da praktische Beispiele: So hängt in der Toilette eine Wäscheleine mit Socken – ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass hier das Bad ist. Im Flur ist die Garderobe stets mit Jacke, Schirm und Mütze bestückt, um an die Funktion des Möbelstücks zu erinnern. Die Erfahrung habe gezeigt, wenn dort etwas hängt, werde sie auch eher benutzt. Es seien wirksame Hinweise in einer Welt, in der der Erkrankte nicht mehr gut durchsieht, so Klinger.
Menschen mit den tollsten Biografien verlernen Dinge und die Angehörigen müssen ihr Leben umstellen.
Demenz ist bisher nicht heilbar und es kann jeden treffen. "Menschen mit den tollsten Biografien verlernen Dinge und die Angehörigen müssen ihr Leben umstellen." Weil sich durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung die Krankheit häuft, hatte man in der Beratungsstelle im Frühjahr noch überlegt, Mitarbeiter neu einzustellen. Doch wegen des Sparkurses der Stadt räumt man jetzt die Räume leer.
Der Dresdner Pflege- und Betreuungsverein, wo die Gerda-Stelle von Gorbitz angeknüpft ist, habe keine Finanzen, um längere Durststrecke auszuhalten. Ab Januar werden von der Stadt keine Gelder mehr kommen, so Klinger. Selbst wenn sich der Stadtrat doch noch für die Finanzierung der Gerda-Stellen ausspreche, ziehe sich die Entscheidung über Monate hin. Wir würden nächstes Jahr im Herbst rückwirkend einen Bescheid bekommen, schätzt Klinger. So einen langen Blindflug könne man als Verein nicht abpuffern.
Angebote für Erkrankte fallen weg
Damit steht fest, Angebote für Erkrankte, wie die Spiele-, Lauf- und Musikgruppe werden nicht mehr im Gorbitzhof stattfinden. Dabei sind laut Klinger gerade für Menschen mit angehender Demenz soziale Kontakte wichtig: "Man muss mit Demenz nicht zu Hause sitzen, und warten bis die Krankheit ganz Gewalt über einen ergreift." Doch um soziale Kontakte zu pflegen, brauche aber bestimmte Rahmenbedingungen. Es müsse ruhig zugehen, dürfen nicht zu viele Menschen sein und es müsse Spaß machen.
Noch steht das Keyboard neben dem Aquarium, in dem der Axolotl Johnny schwimmt. Auch der weiße Molch mit den charakteristischen Zotteln am Kopf wird dieses Jahr noch umziehen. Die Senioren der Singegruppe hatten sich stets gefreut, wenn sich der kleine Kerl ihnen zeigte.
Durch die Krankheit wandelt sich das Umfeld an Freunden und Bekannten. Man staunt, welche Leute sich zurückziehen und auch welche eher hinzukommen.
Für Ulla Klinger hat das Tier Symbolkraft: Axolotl können ihre Gliedmaßen nachwachsen lassen, wie sie erklärt. Und vielleicht findet die Forschung das Geheimnis heraus und entwickelt eine Therapie, mit der sich die absterbenden Gehirnzellen bei Demenz regenerieren lassen.
Angehörigengruppe retten
Eine Hoffnung ist, die Angehörigengruppen in eine andere Beratungsstelle in Gorbitz rüberzuretten – nämlich in die Seniorenbegegnung und -beratung im Sachsen Forum am Merianplatz. "Aber wir können eine Gerda nicht ersetzen. Das ist ein ganz wichtiges Standbein. Und es ist ein riesengroßer Verlust", sagt die dortige Sozialarbeiterin Gundula Ermer.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 21. November 2024 | 13:30 Uhr