Carolabrücke Dresden Zwischen Schock und Erinnerung: Dresdens Schmerz über den Einsturz der Carolabrücke
Hauptinhalt
14. September 2024, 12:30 Uhr
Der Teileinsturz der Carolabrücke bewegt die Menschen in Dresden. Viele zieht es bis in den späten Abend mit einer Mischung aus Schock und Faszination an die Elbe. Trotz Regen und Kälte verharren sie dort und schauen gebannt auf das Bild, das sich ihnen bietet. Neben Schaulustigen sind auch Menschen gekommen, die Besonderes mit der Brücke verbinden. MDR SACHSEN ist mit einigen von ihnen ins Gespräch gekommen.
- Mit einer Mischung aus Wehmut und Schaudern erinnert sich ein Straßenbahnfahrer, der täglich die Brücke passierte an schöne Momente.
- Eine Rentnerin fühlt sich durch die riesigen Trümmerteile an die Bombennacht am Ende des zweiten Weltkriegs erinnert.
- Der neun Jahre alte Wilhelm fuhr einen Tag vor dem Unglück mit seiner Klasse über die Carolabrücke.
Mit einem mulmigen Gefühl blickt Straßenbahnfahrer Denny Pfeiffer auf die Brücke. Einen Tag vor dem Teileinsturz sei er über die Carolabrücke gefahren - mit der Linie 7 und vielen Fahrgästen, erzählt er MDR SACHSEN. Sehr lange steht er mit seiner Frau und den beiden Kindern im Regen am Geländer der Brühlschen Terrassen. Beinahe täglich habe er die Brücke passiert, privat mit dem Auto und beruflich mit der Straßenbahn. Was passiert ist, könne er kaum fassen.
Auch im Kollegenkreis lasse das mit der Brücke niemanden kalt: "Als die Nachricht kam, dachten wir alle erst, das wär ein Scherz." Und dann habe sich ein "komisches Gefühl" eingestellt, als nach und nach allen bewusst wurde, dass der Einsturz auch andere Folgen hätte haben können. Voller Mitgefühl denkt er dabei an seinen Kollegen, der wenige Minuten bevor die Straßenbahngleise in die Elbe stürzten, über die Brücke fuhr. Er kenne ihn persönlich. "Das hätten auch wir sein können", sagt Denny Pfeiffer und meint mit "wir" seine Kollegen von der DVB. Der Schock über die Vorstellung, was hätte passieren können, überwiegt.
Roland Kaiser und andere schöne Momente
Straßenbahnfahrer Denny Pfeiffer verbindet mit der Carolabrücke viele schönen Momente. Beispielsweise habe er sich gefreut, wenn er als Straßenbahnfahrer von der Carolabrücke aus einen Blick auf die Filmnächte erhaschen konnte, bei Konzerten wie zuletzt von Roland Kaiser oder Silbermond. Und auch die Fahrten im Morgengrauen mit Blick auf die Silouette der Dresdner Altstadt habe er genossen.
Man geht dann so die Bilder durch, was man da erlebt hat. Zum Beispiel, wenn Roland Kaiser oder Silbermond bei den Filmnächten waren. Oder die Silouette der Dresdner Altstadt im Morgengrauen.
Auch eine Frau mit roter Jacke und Kunstfell an der Kapuze schwärmt von der besonderen Stimmung, wenn bei den Filmnächten am Elbufer Roland Kaiser oder zuletzt Silbermond zu sehen waren - wer kein Ticket hatte, konnte von der Carolabrücke einen Blick auf die Konzerte erhaschen. "Das war immer sehr besonders", schwärmt sie und seufzt dann. Sie hält zwei Regenschirme in der Hand, weil ihr Mann Fotos mit dem Handy macht.
Als besonders empfand Künstler Helmut Otto Rabisch die Abendstimmung auf der Brücke: "Sie war als Standpunkt immer sehr schön, um die Motive künstlerisch umzusetzen, die sich mit dem Elbflorenz geboten haben", erzählt er MDR SACHSEN.
"Große Wunde für die Stadt"
Bilder einer zerstörten Brücke. Weniger schöne Erinnerungen rufen die riesigen Trümmerteile bei einer betagten Dame hervor. "Es ist eine große Wunde für die Stadt," sagt sie betrübt zu MDR SACHSEN. Von den Brühlschen Terrassen aus blickt die Frau mit weißen, zum Dutt zusammengebundenen Haaren am Freitagnachmittag nachdenklich auf die zerstörte Brücke. Sie habe die Bombardierung Dresdens noch miterlebt, erzählt sie. Der Anblick schmerze.
Rechts und links neben ihr tauschen sich mit gedämpften Stimmen Menschen über das aus, was sie aus den Medien über den Einsturz mittlerweile wissen. Es regnet. Es ist kalt. Doch kaum jemand bleibt nur kurz. Die Brücke ist in Dresden in diesen Tagen Gesprächsthema Nummer eins. Bei den Großen, wie bei den Kleinen. Denn nicht nur Erwachsene wie Norbert Wuttke, der 1971 bei der Einweihung der Brücke dabei war, kommen und gucken, sondern auch Kinder. Während die Großen sich insgeheim fragen, wie das mit dem Verkehr in der nächsten Zeit werden soll, wo schon der jüngst gestartete Verkehrsversuch auf der Brücke für große Aufregung gesorgt hatte, sind die jüngeren eher fasziniert vom der eilig eingerichteten Großbaustelle.
Am Vortag zum Klassenausflug über die Brücke
Die vielen Bagger, das pochernde Klopfen der Abrissarbeiten, das Blaulicht der Einsatzfahrzeuge und die in die Elbe hängenden Brückenteile werden ausgiebig bestaunt vom neun Jahre alten Wilhelm. Er ist mit seinen Eltern am Königsufer zum "Brücke gucken" gekommen. Mit blau-grüner Regenjacke und wasserdichten Gummistiefeln steht er auf der aufgeweichten, schlammigen Erde und erzählt MDR SACHSEN unbekümmert von seinem Klassenausflug: "Einen Tag bevor die Brücke eingestürzt ist, sind wir mit unserer Klasse noch mit der Straßenbahn über die Brücke gefahren. Wir hatten zum Glück nochmal einen schönen Tag."
Doch auch ihn bewegen die Ereignisse: "Ich wusste nicht, dass sowas passieren kann. Da war ich nicht sehr gut gelaunt, dass die Brücke kaputt gegangen ist. Das war 'ne sehr schöne." Dass kurz vorher ein Straßenbahnfahrer über die Brücke fuhr, beschäftigt den Grundschüler: "Bloß gut, dass dem nichts passiert ist.
MDR (kav)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 13. September 2024 | 19:00 Uhr