Landart oder Farbattacke? Graffiti im Elbsandsteingebirge: Ist das Kunst?
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10. Juni 2024, 12:41 Uhr
Gut sichtbar sind sie schon aus großer Entfernung: Bei Rathen in der Sächsischen Schweiz sorgen seit Ende Mai drei Graffitis für Aufsehen. Nationalpark-Sprecher Hanspeter Mayr findet die drei riesigen Tags auf den Sandsteinfelsen unweit der berühmten Bastei und mitten im Naturschutzgebiet "extrem ärgerlich". Rund 14.000 Euro soll die Entfernung kosten. Der Dresdner Street-Art-Künstler Jens Besser würde das Geld anders investieren.
- Rund 14.000 Euro wird die Entfernung der jüngsten Graffitis auf den Sandsteinfelsen unweit der Bastei in der Sächsischen Schweiz kosten.
- Laut Nationalpark gefährden die verwendeten Lacke die oberste Schicht der Millionen Jahre alten, aber weichen Felsformationen und sind "extrem schwer" zu entfernen.
- Der Dresdner Streetart-Künstler Jens Besser plädiert dafür, das Geld dafür lieber in soziale Projekte zu stecken und die Graffitis vom Regen abwaschen zu lassen. Der Nationalpark widerspricht.
Aus der Ferne betrachtet, erscheinen die Felsen der Sächsischen Schweiz über alles irdische Geschick erhaben. Seit Millionen Jahren trotzen sie Kaltfronten aus Böhmen, Sturmböen aus Nordwest und Schmelzwassern im Frühjahr. Doch sogar hier gibt es nun Graffitis. Kürzlich wurden sie auch unweit der berühmten Basteibrücke entdeckt.
Graffiti-Entfernung kostet 14.000 Euro
Für Wanderer ist der Weg dorthin – 200 Meter über der Elbe – gesperrt. Auf dem Weg nach oben erklärt Nationalpark-Sprecher Hanspeter Mayr, er finde die Graffitis mitten im Naturschutzgebiet "extrem ärgerlich": "Am Naturfelsen sind sie extrem schwer zu entfernen. Aber das werden wir so schnell wie möglich machen." Rund 14.000 Euro wird es diesmal kosten.
Landart oder Farbattacke?
Die Polizei hat die Ermittlungen bereits aufgenommen und wertet die Spuren aus. Doch selbst wenn sie erfolgreich sind: Die oberste Sediment-Schicht ist beschädigt. "Das ist mit ein bisschen Kratzen nicht getan", betont Mayr. Solche exaltierten Farbattacken sind nicht nur ästhetisch eine Zumutung. Sie gefährden auch wichtigen Lebensraum. Zum Beispiel den der kleinen Hufeisen-Nase, einer Fledermausart, die hier ihr Quartier hat.
Jens Besser ist ein bekannter Streetart-Aktivist aus Dresden. Er engagiert sich seit vielen Jahren für mehr Akzeptanz der Graffiti-Kultur, etwa mit einem Urban-Art-Festival, das gerade in Dresden stattgefunden hat. Graffitis versteht er als Interventionen im öffentlichen Raum, sie sind auch politisch.
Die Hieroglyphen im Elbsandsteingebirge findet er hingegen "mittelmäßig platziert" und auch nur "mittelmäßig gut lesbar". Die Intention scheint ihm dennoch klar: "Dass irgendwo in der Landschaft Graffitis hinterlassen wurden, gibt's schon lange. Die älteste Kunstform ist Höhlenmalerei." Heutzutage seien die Mittel andere, aber die Absicht dieselbe: "Man will sich verewigen. Ich würde das selbst nicht machen, weil ich Natur schön finde, wie sie ist. Aber ich kann nachvollziehen, wenn Jugendliche ihr Umfeld prägen wollen."
"Menschliche Zeugnisse" im Naturschutzgebiet
Eher mittelmäßige Ideen hatten Menschen schon immer. Auch auf der Basteibrücke, über die jedes Jahr 1,5 Millionen Menschen spazieren. An vielen Felsen prangen historische Inschriften. Manche liegen sogar unter Glas, so wie die von Hermann Krone, einem der ersten Fotografen in Sachsen: "Das ist belegt, dass er hier fotografiert hat. Und wir stehen dazu, dass wir diese Inschrift schützen wollen", erklärt Nationalpark-Sprecher Hanspeter Mayr und sieht darin "einen deutlichen Unterschied zu einem zeitgenössischen Graffiti, das wir so auf dem Felsen nicht schützen werden".
Auch die Kletterer können hier auf Beiträge der Sprayer-Szene verzichten, wie Uwe Daniel vom Sächsischen Bergsteigerbund versichert. Die Landschaft gebe ihm das Gefühl, klein und unbedeutend zu sein. Er schätze die Zeit, die er hier verbringen könne. Sie zu genießen gelinge ihm besser, wenn er darin "keine menschlichen Zeugnisse vorgesetzt bekomme".
Streetart-Künstler: "Das Wetter wird es abschrubben"
In den letzten Jahren häufen sich jedoch diese "menschlichen Zeugnisse" in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz. Jedes Piece ließ der Nationalpark aufwändig entfernen. Graffiti-Experte Besser findet, das Geld dafür könne man auch in soziale Projekte stecken: "Aus meiner Sicht muss es nicht gereinigt werden, denn das Wetter wird es abschrubben."
Nationalpark-Sprecher Hanspeter Mayr widerspricht auch im Hinblick auf den Nachahmer-Effekt: "Wir mussten da leider andere Erfahrungen machen. Es gelingt nicht, den Lack porentief zu entfernen. Das dauert fünf bis zehn Jahre, bis hier nichts mehr zu sehen ist. Und in der Zeit kommen andere Leute vorbei und denken sich: 'Das passt hier auch noch hin. Das ist doch super.'"
Quelle: MDR-Kulturmagazin artour (Simone Unger)
Redaktionelle Bearbeitung: op, ks
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | artour | 06. Juni 2024 | 22:05 Uhr