Kritik "EUdaimonía" am Theater Plauen-Zwickau: "Totalausfall der Dramaturgie"
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16. November 2024, 15:58 Uhr
Mit "EUdaimonía" stimmt sich auch Plauen auf das Kulturhauptstadtjahr Chemnitz 2025 ein. Das Stück ist im Rahmen der Reihe "Inside Outside Europe" entstanden. Menschen aus Georgien versuchen in Deutschland, konkret im Vogtland, Fuß zu fassen. Doch die allmächtige Bürokratie hat eine Schreckensherrschaft errichtet. Eine Kritik der Aufführung.
- Das Stück "EUdaimonía" am Theater Plauen-Zwickau versetzt georgische Migranten ins Vogtland.
- Es nimmt Bezug auf die griechische Mytholoigie, spielt aber in Deutschland, wo die Bürokratie eine Schreckensherrschaft führt.
- Unser Kritiker bemängelt zu viel Klischee und Ideologie, bis hin zum "Totalausfall der Dramaturgie".
Das Stück "EUdaimonía" hatte am 15. November Premiere und ist eine Uraufführung, die das Theater Plauen-Zwickau in Auftrag gegeben hat. Die Autorin und Regisseurin, Tamó Gvenetadze, die 1993 in Georgien geboren ist, kam mit 18 Jahren nach Deutschland, hat in München Theaterwissenschaft studiert und arbeitet als Autorin und Regisseurin.
Entstanden ist "EUdaimonía" als eines von vier Stücken im Rahmen des Theaterprojektes "Inside Outside Europe" für das Europäische Kulturhauptstadtjahr Chemnitz 2025. Weitere Inszenierungen wird es in Chemnitz und Annaberg-Buchholz geben. Die Theaterreihe stellt die Frage, wer in Europa dazugehört, und wer draußen bleibt. Am 12. April 2025 werden alle vier von den jeweiligen Theatern beauftragten Uraufführungen hintereinander in Chemnitz aufgeführt.
Ankommen im Vogtland
"EUdaimonía" ist ein Drei-Personen Stück, ein Kammerspiel, in dem es darum geht, wie georgische Migrantinnen und Migranten an der Deutschen Bürokratie scheitern. Die Hauptrolle ist die Ärztin Dea, die schon länger in einer Klinik im Vogtland arbeitet, sich aber nicht willkommen fühlt. Dazu kommt ein junger Mann namens Erekle, der neu in Plauen ist und ein Visum für seinen Arbeitsvertrag braucht.
Dea und Erekle sind auch Kurzformen der Namen Medea und Herakles. Hier kommen zwei mythische Figuren aus der griechischen Antike ins Spiel. Mythisch bzw. allegorisch ist auch die dritte Figur, die "Die Bürokratie" heißt und hier für die Ausländerbehörde steht.
In den Fängen der deutschen Bürokratie
In der Ausländerbehörde spielt auch gleich die erste Szene. Dea will eingebürgert werden. Sie hat sich vor zehn Jahren in einen Deutschen verliebt, ist ihm in seine Heimat gefolgt und hat ihn geheiratet. Bei der Einbürgerung hat sie jetzt aber Probleme und ist de facto staatenlos.
Erekle ist zum ersten Mal in der Behörde. Er arbeitet in seinen Semesterferien bei McDonald’s. Jetzt möchte er in Plauen bleiben und will auf der Behörde sein Visum verlängern. Aber das alles geht mit der deutschen Bürokratie nicht so einfach. Immer fehlt noch ein Antrag oder ein Dokument. Dea und Erekle haben letztendlich keinen Erfolg.
Bezug zur griechischen Mythologie
Im Laufe des Stückes kommt die griechische Mythologie ins Spiel. Einmal ist es der Medea-Mythos, der aktualisiert und überschrieben wird. (Me)Dea folgt ihrem Mann Jonas nach Deutschland, bricht mit ihrer georgischen Familie, hat zwei Fehlgeburten und auch sonst kein Glück. Jonas betrügt sie seit Jahren. Am Ende bringt Dea die deutsche Bürokratie um und macht sich auf einen neuen Weg.
Erekle ist auch Herakles und steht am Scheideweg seines Lebens. Zwei Personen stehen an den zwei Wegen, die sich auftun. Die eine ist schlicht gekleidet und heißt Arete, was Tugendhaftigkeit bedeutet. Die andere ist prächtig gekleidet und heißt EUdaimonía, was Glückseligkeit heißt. Hier erklärt sich der Titel des Stücks. Erekle entscheidet sich für den Weg der Tugendhaftigkeit.
Tyrannei der Bürokratie
Gvenetadze macht aus ihrem Text eine Farce. Für die Regisseurin ist Dea die zentrale Figur. Die beiden anderen Figuren sind Katalysatoren, die Deas Entwicklung beschleunigen. Erekle ist wie ein Spiegelbild von Dea. Er ist neu in Deutschland wie sie damals: schüchtern und respektvoll.
Die deutsche Bürokratie ist wie ein ungezogener, großer Junge, der Regeln und Ordnung behauptet, sich selbst aber überhaupt nicht an diese Regeln hält, sondern völlig willkürlich agiert – ein Tyrann. Die Bürokratie schreddert willkürlich Akten, stopft sie sich in die Kleider. Sie hat überhaupt kein Interesse, zu irgendwelchen Lösungen zu kommen, denn nur wenn die Fälle ungelöst sind, hat sie eine Beschäftigung und kann wachsen.
Plauener Spitze als Brustpanzer
Die Bühne ist ein multifunktionaler Raum: grauer Boden, weiße Wänden. Er strahlt im Licht der Neonröhren eine kalte Atmosphäre aus. Dea wird diesen Raum zerstören, in dem Moment, in dem sie sich entscheidet, ihre vorgezeichnete Rolle als Medea anzunehmen.
Die Kostüme sind alltäglich. Dea trägt eine weiße Jeans und einen schwarzen Pullover. Dazu zwei taschentuchgroße Stückchen Stoff, vorne vor der Brust und am Rücken. Aus Plauener Spitze. Diese Reminiszenz an die Stadtgeschichte ist wie ein Brustpanzer, allerdings ein sehr verletzlicher – ein schöner Einfall, der viel von ihrem Wesen zeigt. Erekle trägt Jeans, Turnschuhe und eine Strickjacke, angepasste Alltagskleidung. Die deutsche Bürokratie einen AfD-blauen Anzug.
Nicht immer passt ein "Ossi" rein
Schauspielerisch geht Patrick Bartsch als "Bürokratie" von Anfang an in die Vollen. Sein Spiel ist extrem ausgestellt und grotesk, Zwischentöne fehlen. Auch in einer kurzen Szene, in der er sich plötzlich als "Ossi" outet. Hier macht die Autorin ein neues Fass auf, das nicht über das Klischee hinauskommt und platt und aufgesetzt wirkt.
Text wie aus einem Wikipedia-Artikel
Philipp Andriotis als Erekle spielt eine schüchterne, angepasste Figur. Er hat den schwierigsten Text, der wie aus einem Wikipedia-Artikel klingt und sagt beispielsweise: "Es gab viele EU-Gelder, ab 1989 formulierte die Europäische Gemeinschaft für den Europäischen Sozialfonds sechs Kategorien, nach denen Fördermittel verteilt wurden." Solche Sätze haben wenig Fleisch um eine Figur zu gestalten.
Sophie Hess gibt ihrer Dea viel Farbe; setzt leise Momente neben Momente, wo sie ausflippt. Sie hat auch einen Medea-Monolog mit einem sehr assoziativen Text, etwa: "Ich werde mit meiner Wut die Erde spalten." Sie nimmt das sehr realistisch und spielt die Wut mit. Ohne Wut, vielleicht nüchtern oder bedrohlich, hätte es vielleicht mehr Reiz gehabt.
Zu viel Klischee und Ideologie
"EUdaimonía" als Eröffung des Theaterprojekt "Inside Outside Europe" ist ein gelungener Start, aber auch speziell, weil er doch sehr an dem Medea-Stoff hängt. Die Handlung bleibt zu sehr Klischee, wenn zum Beispiel Dea sagt "Solange arme Menschen damit beschäftigt sind, auf andere Arme wütend zu sein, gewinnen immer die Reichen."
Jüngste Entwicklungen, wie die Richtungswahl zwischen EU und Russland, die in Georgien stattfand, spielen keine Rolle. Am Ende sucht und findet das Stück die Schuld bei den europäischen Staaten, die die Welt ausgebeutet haben und immer noch ausbeuten.
Wenn Dea und Erkele aber zusammen kochen, Rotwein trinken und die Vorzüge des Systems genießen, stellt sich die Frage: Sind die beiden auch Profiteure geworden? Dieser Zwiespalt wird nicht thematisiert. Es bleibt bei den Vorwürfen.
Totalausfall der Dramaturgie
Der Text ist kein guter Theatertext. Da wird viel Ideologie heruntergebetet. Theater lebt davon, dass sich Text und Spiel mischen und gegenseitig bedingen. Das ist hier kaum der Fall. Es ist ein Totalausfall der Dramaturgie. Schade. Viel Potential wurde verschenkt.
Angaben zum Stück
EUdaimonía
Theaterstück von Tamó Gvenetadze
Uraufführung
Regie: Tamó Gvenetadze
Bühne: Nikolai Kuchin, Tina Hübner
Kostüme: Rabea Stadthaus
Besetzung:
Dea – Sophie Hess
Erekle – Philipp Andriotis
Die Bürokratie – Patrick Bartsch
Theater Plauen-Zwickau
Theaterplatz, 08523 Plauen
Termine:
Freitag, 15. November, 19:30 Uhr | Kleine Bühne Plauen (Premiere)
Sonntag, 1. Dezember, 18:00 Uhr | Kleine Bühne Plauen
Samstag, 7. Dezember, 19:30 Uhr | Kleine Bühne Plauen
Donnerstag, 9. Januar, 18:00 Uhr | Kleine Bühne Plauen
Freitag, 10. Januar, 19:30 Uhr | Kleine Bühne Plauen
Sonntag, 9. Februar, 18:00 Uhr | Kleine Bühne Plauen
Quelle: MDR KULTUR (Stefan Petraschewsky), Theater Plauen-Zwickau
Redaktionelle Bearbeitung: op
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. November 2024 | 10:10 Uhr