Theaterchallenge "30 Tage im Parkett": Wie es um die Theater in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen steht
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01. Mai 2024, 04:00 Uhr
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen besitzen eine traditionsreiche Theaterlandschaft. Wir haben sie in unserer Theaterchallenge "30 Tage im Parkett" erkundet. MDR KULTUR und MDR KLASSIK berichteten im April jeden Tag von einer anderen Bühne. Positiv überrascht haben dabei vor allem die Theater auf dem Land – sie konnten mit umwerfenden Inszenierungen überzeugen. Die Challenge hat aber auch Einblicke gegeben, wie es um die finanzielle Situation oder die Frauen-Quote an den Bühnen steht.
- Bei der Theaterchallenge "30 Tage im Parkett" haben die Bühnen auf dem Land besonders überrascht.
- Aufgefallen ist, dass sich die Genres Oper, Operette, Schauspiel und Ballett immer mehr vermischen.
- Die Theatersäle waren immer gut gefüllt – von einem Publikumsschwund war keine Spur.
Unter dem Motto "30 Tage im Parkett" wollten MDR KULTUR und MDR KLASSIK herausfinden, wie es um die Theater in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bestellt ist. Dafür haben die vier Kritikerinnen und Kritiker Bettina Volksdorf, Marlene Drexler, Matthias Schmidt und Stefan Petraschewsky jeden Tag im April ein anderes Haus besucht und dabei unter anderem den Alltag und das Publikum in den Blick genommen.
Bühnen im ländlichen Raum überzeugen, aber mitunter schwer zu erreichen
Positiv aufgefallen sind dabei vor allem die Theater auf dem Land. Kritiker Matthias Schmidt hat rückblickend überrascht, dass es "auch an mittleren und kleineren Häusern Inszenierungen gibt, die schlicht umwerfend sind."
Auch an mittleren und kleineren Häusern gibt es Inszenierungen, die schlicht umwerfend sind.
Allerdings sei oft die Erreichbarkeit ein Problem, wie Stefan Petraschewsky feststellen musste: "In Stendal gibt es zum Beispiel keinen guten öffentlichen Nahverkehr, sodass der theatereigene Bus zum Einsatz kommt." In Eisleben wiederum sei die An- und Abreise mit dem Bus teurer als die Theaterkarte.
In Eisleben ist die Anreise mit dem Bus teurer als die Theaterkarte.
Volle Theater in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
Aufgefallen ist außerdem, dass sich die Genres Oper, Operette, Schauspiel und Ballett immer mehr vermischen. Eine Entwicklung, bei der die Orchester ein bisschen hinterherzuhinken scheinen, wie Kritikerin Bettina Volksdorf bei der 30-tägigen Challenge bemerkt hat. "Ich bin überzeugt davon, dass Grenzüberschreitungen im Musiktheater immer wichtiger werden, um neues Publikum zu gewinnen", erklärte sie.
Von einem Besucherschwund war bei "30 Tage im Parkett" nichts zu spüren – die Theatersäle waren in der Regel gut gefüllt. Marlene Drexler sagte retrospektiv: "Für mich war es toll, zu sehen, dass dieser Abgesang auf die Theater, den man ja doch manchmal hört, nichts mit der Realität zu tun hat." Sie habe oft erlebt, wie sehr die Stadtgesellschaften hinter den Theatern stünden.
Der Abgesang auf die Theater hat nichts mit der Realität zu tun.
Wie es um die Finanzierung, Frauen-Quote oder die Preise von Sekt und Wienern an den Theatern in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen steht, kann man in dieser Gesprächsrunde der vier Kritikerinnen und Kritiker ausführlich nachhören:
30 Tage, 30 Theater, 30 Stücke – die Berichte zum Nachlesen
Jeden Tag im Ende April rezensierten unsere vier Kritikerinnen und Kritiker ihre Theatererlebnissen des Vorabends. Hier finden Sie alle Erlebnisberichte:
In Thüringen hatte die Ballett-Produktion "The Bach Project" in Eisenach den Auftakt zu unserer Theaterchallenge gemacht. "Mein Körper ist zu lang" am Theater Rudolstadt versprach eine besondere Reise durch das Universum des Schriftstellers Franz Kafka und zeigte ihn von seiner kaum bekannten humorvollen Seite. Herman Melvilles Klassiker "Moby Dick", der die Ausbeutung der Natur durch den Menschen thematisiert, ließ am DNT Weimar jede Aktualität vermissen. Das Theater Altenburg-Gera hat die Barock-Oper "Achille in Sciro" von Johann Friedrich Agricola nach mehr als 250 Jahren wiederentdeckt und mit jede Menge Action und Humor inszeniert. Am Theater Erfurt wurde mit "Das Rheingold" ein Opern-Klassiker von Richard Wagner inszeniert. Das Theaterhaus Jena zeigte mit "Bitte! Auto! Komm!" eine amüsantes Stück über die Angst, dass ein Auto in die eigene Wohnung fahren könnte.
In Sachsen haben wir herausgefunden, wie Albert Lortzings Oper "Hans Sachs" über den dichtenden Schuster aus Nürnberg gelingt. Unterhaltsam war der Hamster "Goldie" am Schauspiel Leipzig, der für ein junges Publikum in der "Diskothek" gezeigt wurde. Das Bürgerbühnenprojekt "Mütter und Söhne" begeisterte am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen unseren Kritiker, weil es Brücken zwischen den Kulturen schlug.
Die Inszenierung "Piaf" am Staatsschauspiel Dresden hielt berührende, aber auch sehr lustige Momente bereit. Mit "Giselle" brachte der langjährige Ballettdirektor und Chefchoreograf, Mario Schröder, seine letzte Produktion auf die Bühne der Oper Leipzig, die Dekonstruktion eines Klassikers. Am Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln kam der starke Theatertext "Muttersprache Mameloschn" in einem surrealen Setting auf die Bühne.
In Sachsen-Anhalt hat am Theater der Altmark die Intendantin Dorotty Szalma, die mit ihrer Arbeit für mehr Empathie bei dem Menschen sorgen möchte, "Der Glücksfall" gekonnt inszeniert. In Halle begeisterte "Maja" auf der Bühne mit einer fantasievollen und hoch-musikalischen Inszenierung für Kinder ab sechs Jahren. Am Theater Magdeburg schloss der erfinderische "Meister Röckle" einen Pakt mit dem Teufel - inszeniert als eigensinniger Kapitalismus-Exkurs mit Musik.
Was haben Sekt und Wiener gekostet?
Bei den Rezensionen der Vorstellungsbesuche stand nicht allein die Inszenierung im Zentrum, sondern auch der Blick aufs Publikum und die Atmosphäre. Wer hat sich die Stücke angesehen? Waren es viele oder wenige, alte oder junge Zuschauerinnen und Zuschauer? Wie kamen sie ins Theater? Gab es einen funktionierenden Busverkehr? Und – das durfte nicht vergessen werden – was haben der Sekt in der Pause und das Paar Wiener am Tresen gekostet?
Challenge Stadttheater: 30 Bühnen in drei Bundesländern
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es 30 Staats- und Stadttheater: 15 in Sachsen, acht in Thüringen und sieben in Sachsen-Anhalt. Fünf dieser Theater sind fusioniert, also mit einem anderen Theater zusammengelegt, beispielsweise die Theater Plauen-Zwickau oder Altenburg-Gera. So wollte man Mitte der 90er-Jahre effektivere Strukturen schaffen. Unterm Strich hat das aber wenig gebracht, urteilt MDR KULTUR Theaterredakteur Stefan Petraschewsky.
Die aktive und spannende Freie Theaterszene wurde nicht in die Challenge aufgenommen. Die eigentliche Herausforderung sollte nicht verwässert werden: Die historisch gewachsene Stadttheaterlandschaft abzubilden, die es sonst nirgendwo so engmaschig gibt wie hierzulande und schauen, wie fit dieses traditionsreiche System ist, erklärt MDR KULTUR Theaterredakteur Stefan Petraschewsky weiter:
Wir wollten mit der Theaterchallenge herausfinden, wie fit dieses traditionsreiche System in der heutigen Zeit noch ist und welche Veränderungen möglicherweise gerade passieren.
Reiche Theatergeschichte von Sachsen bis Thüringen
Das Stadttheatersystem hat in Mitteldeutschland starke Wurzeln. Schon im Barock wurden viele Hoftheater gegründet – besonders in Thüringen, wo es auf engem Raum viele Fürsten- und Herzogtümer und deswegen auch viele Hoftheater gab. Mit Opernaufführungen, Spitzensängern und Uraufführungen konnten die Adligen voreinander prahlen, Wohlstand und Macht demonstrieren.
Gewissermaßen als Gegenentwurf wurden dann auch einige Theater in den Städten gebaut, die wirtschaftlich Erfolg hatten. In der Buchstadt Leipzig war das so. Auch in der Textilstadt Plauen bauten sich stolze Bürger einen Tempel für die Kunst.
Zukunft des Theaters nach dem Ende der DDR
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der alten Bundesrepublik viele Stadttheater zu Landesbühnen zusammengeschlossen. Die ehemaligen Theater waren jetzt nur noch Orte für Gastspiele dieser Landesbühnen und keine selbst produzierenden Häuser mehr.
In der DDR ist das nicht passiert. Im Vertrag zur Deutschen Einheit hatten die Bundesrepublik und die DDR entschieden, dass die kulturelle Substanz der neuen Länder keinen Schaden nehmen darf. Deswegen existieren in Mitteldeutschland nach wie vor verhältnismäßig viele Theater – was Segen und Fluch zugleich ist.
Gerade das sollte bei unserer Theaterchallenge betrachtet werden: Wie können die Theater künftig agieren, damit sie ihre künstlerische und gesellschaftliche Rolle in einer Stadt weiter spielen können?
Im Theater kommt die Gesellschaft zusammen
Theater sind immer auch ein Begegnungsort für die Gesellschaft. Diese Rolle wird wichtiger, wenn immer mehr Gaststätten und Kinos schließen. In den Theatern kann man schon immer miteinander ins Gespräch kommen und Meinungen austauschen.
Spätestens seit 2015 sind Theater auch Orte, an denen Geflüchtete und Einheimische zusammenkommen können. In Dresden gibt es dafür ein "Montagscafé"; am Deutsch-Sorbischen Volkstheater das "Thespis-Zentrum".
Wenn irgendwo die "Extrawurst" auf dem Spielplan steht, ist das ein Stück über Toleranz in unserer Gesellschaft. Die Handlung: Beim Vereinsfest soll Schweinebratwurst auf den Grill gelegt werden. Aber was ist mit dem neuen Mitglied, das Muslim ist. Bekommt der eine Extrawurst auf einem Extragrill? Das Stück entlarvt unsere Denkungsweisen zum Thema, ganz ohne Zeigefinger. Und mit viel Humor.
Momentaufnahme der Theaterlandschaft im Wahljahr 2024
Nicht zuletzt ging es bei der Theaterchallenge "30 Tage im Parkett" auch um kulturpolitische Aspekte. Um Fragen wie: Ist Theater wirklich ein vielbeschworener "Ort der Demokratie", ein Ort des "gesellschaftlichen Miteinanders" – oder etwa ein "linksgrün-versifftes" Ärgernis? Wie ausgewogen werden unterschiedliche Positionen verhandelt und dargestellt? Und müssen sie das überhaupt sein?
Am Ende sind Momentaufnahmen im Jahr der Wahlen entstanden: als Spiegelbild einer facettenreichen, deutschen Stadttheaterlandschaft. Einer Landschaft, die als immaterielles Welterbe im Gespräch, nirgendwo so dicht wie in Mitteldeutschland gewebt und hierzulande von besonderer Tradition geprägt ist - von Stendal bis Annaberg-Buchholz, von Meiningen über Weimar bis Zittau.
> Die Stationen der Theaterchallenge in Sachsen (Zum Aufklappen)
Stadt | Spielstätte | Besprechung | Aufführung |
---|---|---|---|
Dresden | Staatsschauspiel | 2. April | Piaf |
Dresden | Semperoper | 3. April | Frau ohne Schatten |
Bautzen | Deutsch-Sorbisches Volkstheater | 4. April | Mütter und Söhne |
Plauen-Zwickau | Theater | 8. April | Romeo und Julia |
Leipzig | Schauspiel | 11. April | Goldie |
Leipzig | Musikalische Komödie | 14. April | Hans Sachs |
Annaberg-Buchholz | Erzgebirgische Theater | 16. April | Vetter aus Dingsda (Probenbesuch) |
Görlitz/Zittau | Gerhart Hauptmann-Theater | 17. April | Michael Kohlhaas |
Radebeul | Theater | 18. April | Unterleuten |
Leipzig | Oper | 21. April | Giselle |
Chemnitz | Theater | 22. April | Superbusen |
Dresden | Staatsoperette | 24. April | Clivia |
Freiberg/Döbeln | Mittelsächsisches Theater | 26. April | Muttersprache Mameloschn |
Bautzen | Sorbisches National-Ensemble | 28. April | Vom Kommen und Gehen |
Dresden | Theater Junge Generation | 30. April | Fanklub |
> Die Stationen der Theaterchallenge in Sachsen-Anhalt (Zum Aufklappen)
Stadt | Spielstätte | Datum | Aufführung |
---|---|---|---|
Stendal | Theater der Altmark | 5. April | Der Glücksfall |
Halberstadt/Quedlinburg | Harztheater | 6. April | Extrawurst |
Eisleben | Theater | 10. April | No planet b |
Naumburg | Theater | 19. April | Theaterspaziergang |
Dessau | Anhaltisches Theater | 20. April | Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm |
Halle, TOOH | Bühnen Halle (TOOH) | 23. April | Maja |
Magdeburg | Theater | 29. April | Meister Röckle |
> Die Stationen der Theaterchallenge in Thüringen (Zum Aufklappen)
Stadt | Spielstätte | Datum | Aufführung |
---|---|---|---|
Eisenach | Landestheater | 1. April | Bach Project |
Erfurt | Theater | 7. April | Das Rheingold |
Rudolstadt | Theater | 9. April | Mein Körper ist zu lang - ein Kafkaabend |
Weimar | Deutsches Nationaltheater | 12. April | Moby Dick |
Gera/Altenburg | Theater | 13. April | Achille in Sciro |
Nordhausen/Sondershausen | Theater, Loh-Orchester | 15. April | Brenner und Brenner |
Jena | Theaterhaus | 25. April | Bitte Auto Komm |
Meiningen | Staatstheater | 27. April | Hamlet |
Quelle: MDR KULTUR, MDR KLASSIK
Redaktionelle Bearbeitung: op, bh, tsa, lig, hki, sg, hro, jb, as, tda, ks, vp
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. April 2024 | 18:00 Uhr