Kohleausstieg Ende des Braunkohlereviers: Quo vadis Weißwasser?
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09. April 2024, 06:30 Uhr
Die Lausitz erlebt seit 1990 abermals einen gewaltigen Strukturwandel. Nach der deutschen Wiedervereinigung schlossen die meisten Industriebetriebe: Textilindustrie, Landmaschinenbau, Brikettfabriken, Glasherstellung. Geblieben sind Tagebaue wie Nochten sowie die Kraftwerke Boxberg, Schwarze Pumpe und Jänschwalde. 2038 ist aber auch damit Schluss. Übrig bleiben eine umgewälzte Landschaft und die größten Maschinen der Welt. Was wird daraus?
Die Region um Weißwasser befindet sich im Wandel des Kohleausstiegs. So gehören schon jetzt erste Solaranlagen und Windräder zur Tagebaulandschaft bei Nochten. Geplant sind in Zukunft laut Leag riesige Solarflächen zur Gewinnung erneuerbarer Energie. Doch noch wird Kohle in dem rund 3.000 Hektar großen Tagebau Nochten gefördert. Um an den fossilen Energieträger zu gelangen, müssen zuvor rund 80 Meter mächtige Deckschichten abgebaggert werden.
Blick in die Vergangenheit im Tagebau Nochten
Für Archäologen ist das die Gelegenheit einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Denn jede Erdschicht birgt Beweise von Lebensweisen vergangener Kulturen. Auch in der Lausitz. Darauf deutet beispielsweise ein freigelegtes Schlackeloch hin. Hier wurde Raseneisenerz verhüttet, in kleinen Lehmöfen, mit Holzkohle, wie die Landesarchäologin Regina Smolnik erklärt. "Was wir hier sehen, ist ein Schlackeklotz, der darauf hinweist, dass hier in der römischen Kaiserzeit Eisenverhüttung stattgefunden hat", so Smolnik. Es sei wie eine kleine Industriestätte gewesen, von der die Leute vor 2.000 Jahren profitiert haben. Das gewonnene Eisen ging dann in die größeren Besiedlungszentren.
Was wir hier sehen, ist ein Schlackeklotz, der darauf hinweist, dass hier in der römischen Kaiserzeit Eisenverhüttung stattgefunden hat.
Diese frühe Gewinnung von Eisenerz erlebte Aufschwung und Niedergang. So bricht nach der römischen Kaiserzeit etwa um 400 nach Christus die Besiedlung in der Lausitz ab. Warum? Die Archäologen vermuten eine frühe Umweltkatastrophe als Ursache: Das Erz war verbraucht, die Wälder abgeholzt, Sandstürme machten ein Leben unmöglich. Doch die Menschen kamen wieder zurück.
Eine großen Boom erlebte Weißwasser wie so viele Städte mit dem Bau der Eisenbahn. Mitte des 19. Jahrhunderts war Weißwasser noch ein kleines Dorf mit etwa 600 Einwohnern. Doch mit den ersten Gleisstrecken siedelten sich zunehmend Glashütten an. Elf Glasbetriebe produzierten kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Lausitzer Glaswaren. Es war ein neuer industrieller Aufschwung.
Industrieller Niedergang nach der Wende
Mit der Einheit von Ost- und Westdeutschland im Jahr 1990 erlebt die Lausitz abermals einen gewaltigen Strukturwandel. Nach der deutschen Wiedervereinigung schlossen die meisten Industriebetriebe - Textilindustrie, Landmaschinenbau, Brikettfabriken und Glasproduktion. Wie sehr die Stadt Weißwasser nach 1990 abgehängt wurde, symbolisiert der unsanierte Bahnhof.
Weißwassers Oberbürgermeister Tosten Pötzsch kämpft für seine Stadt. Er will ein zweites Gleis und die Elektrifizierung der Bahn. Die bessere Anbindung nach Berlin ist zwar grundsätzlich beschlossen worden, doch streiten sich Bund, Bahn und die Länder Brandenburg und Sachsen um die Finanzierung. Aber ohne eine gute Infrastruktur ist eine neue Transformation in der Region nicht möglich, weiß Pötzsch.
Wir haben das Glück, dass sich ein Glasproduzent in Weißwasser ansiedeln will und wir zu unseren industriellen Wurzeln zurückkehren.
Auch die Industriebrachen aus dem 20. Jahrhundert bieten eine Chance. Neue Unternehmen siedeln sich an, auch Kulturvereine. Ein Beispiel ist der gerettete Speicher des Bauhaus-Architekten Ernst Neufert. Hier lagerten einmal die Glaswaren der Stadt, um mit der Bahn in alle Welt exportiert zu werden. Fast wäre das Gebäude nach Privatisierung und Verfall abgerissen worden. Jetzt wird das Industriedenkmal saniert.
Neuer Aufschwung mit dem Strukturwandel?
"Derzeit sichern wir das Gebäude und haben das Dach zu zwei Dritteln erst einmal geschlossen", beschreibt Pötzsch den aktuellen Stand der Bauarbeiten. In diesem Jahr soll auch der Rest des Dachs sowie die offene Stirnseite zum Bahngleis hin geschlossen werden. Nutzungsideen gibt es für das Industriedenkmal viele. Warum soll es nicht wieder Lager werden? Oder ein Archiv oder Rechenzentrum?
Auch in die ehemalige Glasfachschule soll laut Pötzsch bald wieder Leben einziehen. Gebaut in den 1950er Jahren wurden in der Schule die Glasingenieure und Meister ausgebildet. Die vergangenen Jahre stand das Haus leer und drohte zu verfallen.
"Wir haben das Glück, dass sich ein Glasproduzent in Weißwasser ansiedeln will und wir zu unseren industriellen Wurzeln zurückkehren", so der Weißwasseraner Bürgermeister. Deswegen müsse man nun auf Ausbildung setzten. Bis 2026 will die Stadt in der alten Glasfachschule ein Ausbildungs- und Weiterbildungszentrum für die Glasindustrie und andere Berufsgruppen errichten. Die Fördermittel ihm Rahmen des Strukturwandels liegen bereit.
Spannende Zeugnisse der Industriegeschichte
Weißwasser setzt auf den Reichtum an Zeugnissen seiner Industriegeschichte. Vorbild sind die Energiefabrik Knappenrode und die F60 Förderbrücke in Lichterfeld bei Finsterwalde im Brandenburgischen Revier. Die Tagebaue und Kraftwerke des Reviers Weißwasser werden selbst einmal Denkmale der Industriegeschichte sein und sich weiterentwickeln, ist sich Ulrike Wendland, Geschäftsführerin des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, sicher.
"Wir lernen, dass in Gebieten, die im Strukturwandel sind und sich der neuen Energie öffnen, auch wieder Industrieansiedlungen kommen." Gleichwohl sei dieser Transformationsprozess für alle schwierig und auch schmerzhaft. Da brauche man gar nichts schönreden, wo Wendland.
MDR (wn)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 05. Mai 2022 | 07:30 Uhr