Verpasste Chance? Nach hitziger Debatte: Leutersdorfer lehnen Riesenwindrad ab

05. September 2023, 16:27 Uhr

In Leutersdorf bei Zittau entstand 1995 der erste Bürgerwindpark Sachsens. Damals war die Gemeinde Vorreiter bei der Nutzung von Windkraft. Fast 30 Jahre später hat sich der Wind gedreht. Eigentlich sollen die damals gebauten sechs Windräder durch eine einzige große Anlage ersetzt werden. Doch viele Anwohner halten nichts von den Plänen. Daran änderte auch eine turbulente Einwohnerversammlung nichts, auf dem die Betreiber auch die finanziellen Vorteile für Gemeinde und Bewohner vorstellten.

Solch einen Andrang hatte es zu einer Einwohnerversammlung in Leutersdorf schon lange nicht mehr gegeben: In der Turnhalle reichten die Sitzplätze nicht aus, viele mussten stehen. Mehr als 300 Menschen wollten hören, was der Bau des neuen Windrades oben auf ihrem Wacheberg für sie bedeutet. Die meisten kamen mit viel Skepsis und vielen Vorbehalten.

Anwohner befürchten "riesiges Monster"

Vor allem an der Größe des geplanten Windrades entzündeten sich viele Diskussionen. Die sechs schon bestehenden alten Anlagen sollen durch eine einzige ersetzt werden. Die wäre allerdings mit rund 200 Metern mehr als doppelt so hoch wie die bisherigen Windräder. "Das ist schon ein riesiges Monster, was hierhin soll. Ich finde, das gehört nicht hierher", sagt eine Anwohnerin. Andere befürchten noch größere Belastungen durch Lärm oder Schattenwurf. Denn der Windpark steht nur wenige Hundert Meter von den Wohnhäusern entfernt.

Das ist schon ein riesiges Monster, was hierhin soll. Ich finde, das gehört nicht hierher.

Anwohnerin von Leutersdorf

Viel Gegenwind trotz guter Argumente

Jürgen Wrona von der Betreibergesellschaft hatte also bei den Einwohnerinnen und Einwohnern viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Doch seine Einleitung, bei der es um Klimaneutralität, Energiewende und grünen Strom ging, erzeugte bei vielen Leutersdorfern nur noch mehr Gegenwind. Auch sein Argument, dass die neue Anlage für Gemeinde und Anwohner finanzielle Vorteile bringt, stieß kaum auf Gehör. Einige warfen den Betreibern im Laufe der teils hitzigen Debatte vor, die Gemeinde und die Anwohner über den Tisch ziehen zu wollen und sich Geld in die eigenen Taschen zu scheffeln.

Finanzielle Beteiligung von Gemeinde und Anwohnern

Da konnte Jürgen Wrona nur den Kopf schütteln. Die neue Anlage werde etwa viermal so viel grünen Strom produzieren wie der alte Windpark, erklärte er. Dementsprechend höher wäre die Gewerbesteuer für die Gemeinde. Außerdem gebe es die Möglichkeit, die Gemeinde mit 0,2 Cent pro Kilowattstunde an den Erlösen aus dem Stromverkauf zu beteiligen. Bei 15 Millionen Kilowattstunden wären das weitere 30.000 Euro pro Jahr für die Gemeindekasse, rechnet Wrona vor. Die Anwohner könnten sich außerdem direkt über eine Bürgerenergiegesellschaft an den Gewinnen der Anlage beteiligen. Angestrebt seien Renditen zwischen sieben und acht Prozent. Das Geld bliebe also größtenteils in der Gemeinde.

Infraschall, Schattenwurf und andere Probleme

Um die Bedenken der Anwohner auszuräumen, reichte das aber nicht aus. Einige fürchteten zum Beispiel den stärkeren sogenannten Infraschall des hohen Windrades, also unhörbaren Lärm, der krank machen soll. Jürgen Wrona verwies auf entsprechende Studien, die das nicht bestätigen konnten.

"Was ist bei Sonne mit dem Schattenwurf? Die Rotorblätter sind doch viel größer als bei den jetzigen Anlagen", wollte ein Anwohner wissen. Das sei bei den modernen Windrädern inzwischen kein Problem mehr. "Jede Anlage hat heutzutage eine Schattenwurfabschaltung", erklärt Wrona. Sie schalte das Windrad ab, sobald bestimmte Grenzwerte überschritten würden. Auch lauter sei die neue Anlage nicht.

"Windenergie lässt sich nicht verstecken"

Wrona würde immer nur über die Vorteile der neuen Anlage reden, kritisierte eine Frau aus dem Publikum. Jetzt solle er doch auch sagen, was die Nachteile eines solchen riesigen Windrades wären. "Windenergie lässt sich nicht verstecken, sie ist in der Landschaft sichtbar", antwortete der. Das gelte umso mehr für eine hohe Anlage. "Wobei wir hier die Besonderheit haben, dass aus sechs Standorten ein Standort wird. Ansonsten sollte es keine Nachteile geben. Die Grenzwerte würden genauso wie für das alte Projekt gelten. Da dürfte es keine Mehrbelastungen geben."

Windenergie lässt sich nicht verstecken, sie ist in der Landschaft sichtbar.

Jürgen Wrona Geschäftsführer Bürgerwindpark

Gemeinderat schließt sich Publikumsmeinung an

Nach knapp zwei Stunden turbulenter Diskussion bat Bürgermeister Bruno Scholze schließlich die Anwesenden um Handzeichen, wer für oder gegen die neue Anlage ist. Wenig überraschend, dass sich bis auf wenige Ausnahmen alle gegen das Projekt aussprachen.

Nur eine halbe Stunde später tagte dann am selben Ort der Gemeinderat und stimmte über den Antrag des Betreibers ab, ein neues Windrad zu errichten. Die Zustimmung der Gemeinde ist zwingend nötig, da das neue Windrad näher als 1.000 Meter an der Wohnbebauung liegen würde. Nach der vorangegangenen Einwohnerversammlung war das Ergebnis der Abstimmung vorhersehbar: Alle anwesenden Gemeinderäte sprachen sich gegen den Antrag aus. Damit ist das Projekt vorerst vom Tisch.

"Schade für den Ort"

Die Betreiber des Bürgerwindparks, bei dem sich auch Leutersdorfer engagieren, waren dementsprechend enttäuscht. Jürgen Wrona findet es "schade für den Ort". Die Leutersdorfer müssten sich jetzt die Frage stellen, wo ihre Gemeinde in zehn Jahren stehen soll. Leutersdorf befinde sich nicht im Speckgürtel einer Großstadt. Hier werde es keine großartigen Industrieansiedlungen geben. Viele Landgemeinden hätten verstanden, dass sie mit dem Pfund wuchern müssten, das sie haben. Das seien die Standortgegebenheiten für Windenergie.

Hier wird es keine großartigen Industrieansiedlungen geben. Viele Landgemeinden haben verstanden, dass sie mit dem Pfund wuchern müssen, was sie haben. Das sind die Standortgegebenheiten für Windenergie. In Leuterdorf ist das noch nicht angekommen.

Jürgen Wrona Geschäftsführer Bürgerwindpark

Tatsächlich Mehrheitsmeinung?

Jürgen Wrona und seine Mitstreiter vom Bürgwindpark haben so ihre Zweifel, ob die Entscheidung tatsächlich dem Willen der Mehrheit der rund 3.000 Bewohner von Leutersdorf entspricht. Wilfried Hillert zum Beispiel sitzt im Beirat des Bürgerwindparks und wohnt nur etwa 500 Meter von einem der Windräder entfernt. Ihn hätte die größere Anlage nicht gestört, sagt er. Er kenne einige, die es so wie ihn betrifft. "Die haben gesagt: Wir stimmen zu, da brauchen wir nicht zur Einwohnerversammlung gehen."

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 06. September 2023 | 16:30 Uhr

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