Ein Kreuz zum Gedenken an ein Opfer eines Verkehrsunfalls steht an einer Landstraße 1 min
Die Landesregierung in Sachsen-Anhalt möchte mit der "Vision Zero" die Zahl der Verkehrstoten senken. Mehr zur aktuellen Statistik im Audio. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte
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MDR SACHSEN-ANHALT Fr 28.02.2025 12:39Uhr 00:28 min

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"Vision Zero" Zwei Tote pro Woche: Wie Sachsen-Anhalt für mehr Sicherheit auf den Straßen sorgen will

28. Februar 2025, 17:10 Uhr

Zwei Tote pro Woche – das ist die aktuelle Statistik der Verkehrsunfälle in Sachsen-Anhalt. Die Zahlen sind weit entfernt von einer "Vision Zero", dem Ziel von null Verkehrstoten. Dieses Leitbild verfolgt das Verkehrsministerium mit Aktionen in Bereichen wie Straßenbau, ÖPNV und Barrierefreiheit. Das sei nicht genug, kritisieren mehrere Fraktionen im Landtag – insbesondere mit Blick auf Sparpläne bei der Verkehrserziehung.

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Den Straßenverkehr so sicher gestalten, dass es keine Toten und keine Schwerverletzten mehr durch Unfälle gibt: Dieses Ziel steckt hinter der sogenannten "Vision Zero". Sie gilt bundesweit als Leitbild und wird auch in Sachsen-Anhalt verfolgt. Im Oktober 2023 hat der Landtag einen Antrag der Regierungskoalition beschlossen, laut dem die Landesregierung sich auf Bundesebene dafür einsetzen soll.

Mehr zur "Vision Zero"

Die "Vision Zero" ist laut bundesweiter Verwaltungsvorschrift die Grundlage aller Regeln und Maßnahmen der Straßenverkehrsordnung: Ziel ist, dass es keine Verkehrsunfälle mit Toten oder Schwerverletzten geben soll. Im Antrag von Sachsen-Anhalts Regierungskoalition hieß es 2023: "Die 'Vision Zero' basiert auf dem Grundsatz, dass es keine akzeptable Anzahl von Verkehrstoten oder –verletzten gibt."

Ursprünglich kommt das Leitbild aus der Zeit der Industrialisierung – von Unternehmen, die sich zunehmend für die Sicherheit ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter einsetzten. Im Straßenverkehr gewann "Vision Zero" zuerst in Schweden Bedeutung, wo zunächst vor allem die Geschwindigkeit von Autos in den Fokus genommen (und begrenzt) wurde, aber auch die Gestaltung von Straßen und mittlerweile auch Assistenzsysteme in Fahrzeugen.

Quelle: Quarks

Unfälle in Sachsen-Anhalt: Zwei Tote pro Woche

Von null Verkehrstoten und Schwerverletzten bei Unfällen ist Sachsen-Anhalt bislang weiter entfernt als alle anderen Bundesländer. Seit Jahren hat das Land die meisten tödlichen Unfälle und nach Sachsen die meisten schweren Verkehrsunfälle. Zuletzt ist die Zahl der getöteten Personen gesunken: 2024 gab es insgesamt 111 Tote auf den Straßen und Autobahnen im Land, 19 weniger als im gleichen Zeitraum 2023. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes.

Doch 111 Verkehrstote im Jahr 2024 bedeuten, dass im Schnitt etwa zwei Menschen pro Woche bei Verkehrsunfällen in Sachsen-Anhalt gestorben sind. Hinzu kamen laut vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes 1.665 Schwerverletzte und rund 8.190 Personen, die bei Unfällen leicht verletzt worden sind. Die Zahl der Schwerverletzten ist zuletzt gesunken – doch auch weit entfernt von einer "Vision Zero".

Unfallursachen: Zu hohe Geschwindigkeit, zu wenig Abstand

Die Hauptursachen für Unfälle, bei denen Menschen zu Schaden kommen, sind in Sachsen-Anhalt laut Statistik Fahrerinnen und Fahrer, die Vorfahrt und Vorrang nicht richtig beachten, zu schnell fahren oder zu wenig Abstand halten. Auch Unfälle mit Fußgängern sind in den vergangenen Jahren demnach meist durch Fehler seitens der Fahrerinnen und Fahrer verursacht worden (jährlich etwa 300 - 370 Fälle) – in rund 230 bis 300 Fällen pro Jahr aber auch durch Fußgänger, die sich falsch verhalten.

Verkehrsteilnehmer sind laut Verkehrsministerium nur ein Baustein der "Vision Zero". Daneben müssten Straßen so gestaltet sein, dass alle dort sicher unterwegs sind: Geschwindigkeitsbegrenzungen sollten klar erkennbar sein und Fahrerinnen und Fahrer sollten Fehler ausgleichen können, bevor ein Unfall passiert. Zudem soll die Technik in Fahrzeugen für mehr Sicherheit sorgen, etwa durch Assistenzsysteme für Notbremsungen, Spur- und Abstandhalter.

Verkehrsministerin will "Vision Zero" weiter verfolgen

Jeder Unfall mit Toten verpflichte das Land, nicht in den Bemühungen nachzulassen, die "Vision Zero" zu verfolgen, erklärte Verkehrsministerin Lydia Hüskens (FDP) auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Dafür setzt das Land sich laut Ministerium auf Bundesebene etwa im Rahmen der Verkehrsministerkonferenz ein.

Das Leitbild fließe in Verkehrssicherheits-Programme ein. Unfall-Schwerpunkte würden identifiziert und schrittweise beseitigt. Bauliche Maßnahmen wie Radwege, Kreuzungen, die zusätzliche Abbiegespuren bekommen oder zu Kreisverkehren umgebaut werden sowie neue Ampeln und Leitplanken würden ebenfalls zur "Vision Zero" beitragen.

Barrierefreiheit als Element der "Vision Zero"

Auch den Verkehr mit Bus und Bahn wolle man erhalten und stärken, erklärte das Verkehrsministerium. Insbesondere die Bedürfnisse von Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderung sollten besonders beachtet werden.

Dass die Teilnahme am Verkehr barrierefrei möglich sein soll, ist laut Ministerium eine wesentliche Forderung der "Vision Zero". Das betreffe den Individualverkehr ebenso wie den mit Bus und Bahn. In Straßen-Planung und -bau würden Richtlinien zur Barrierefreiheit angewendet. Das spiele vor allem bei Ortsdurchfahrten eine wichtige Rolle und werde etwa mit erhöhten Bordsteinen an Bushaltestellen, taktilen Leit-Elementen und gegebenenfalls akustischen Signalen an Ampeln umgesetzt.

Assistenzsysteme oft ausgeschaltet – Kontrolle schwierig

Assistenzsysteme in Fahrzeugen sollen für mehr Sicherheit sorgen – werden MDR-Recherchen zufolge jedoch vor allem Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer immer wieder ausgeschaltet. Die Folge sind Auffahrunfälle mit zum Teil schweren Folgen. Deswegen wurde im vergangenen Oktober eine Abschaltung von Notbrems-Assistenzsystemen für Lkws ab einer Geschwindigkeit von 30 km/h verboten.

Zu kontrollieren, ob das Verbot eingehalten wird, sei jedoch schwierig, teilte das Landesinnenministerium auf Anfrage mit. Weil der Assistent bei jedem Start des Fahrzeugs neu aktiviert werde, benötige man ein externes Diagnosegerät oder müsse den Datenspeicher durch Sachverständige auslesen lassen. Daher konnten bisher keine Verstöße gegen das Verbot festgestellt werden.

Daneben kontrolliert die Polizei dem Innenministerium zufolge die Geschwindigkeit und Fahrtüchtigkeit von Fahrerinnen und Fahrern und zuletzt auch verstärkt, ob ausreichend Abstand gehalten wird. Dafür kommen demnach auch Drohnen zum Einsatz. Das Innenministerium bezeichnet die Kontrollen als "wesentlichen Baustein" zur Erhöhung der Verkehrssicherheit im Allgemeinen und zur "Vision Zero".

Trotz "Vision Zero": Einsparungen bei der Verkehrserziehung

Zudem verstetigt das Land laut Verkehrsministerium den Beirat für Verkehrssicherheit und unterstützt die Jugendverkehrsschulen im Land finanziell. Allerdings müssten angesichts der angespannten Haushaltslage die Mittel für die Landesverkehrswacht reduziert werden. Diese wird ihren Einsatz demnach auf Projekte konzentrieren, die die Verkehrserziehung von Kindern, Jugendlichen und Menschen mit Behinderung im Fokus haben. Der Prävention komme dennoch eine besondere Bedeutung zu, damit sich alle Verkehrsteilnehmenden möglicher Gefahren und der eigenen Verantwortung bewusst sind, erklärte Ministerin Hüskens.

Der Prävention kommt eine besondere Bedeutung zu, damit sich alle Verkehrsteilnehmenden stets der möglichen Gefahren im öffentlichen Verkehr und der eigenen Verantwortung bewusst sind.

Lydia Hüskens (FDP) Ministerin für Infrastruktur und Digitales

Ein großer Teil von langjährigen Projekten konnte gesichert werden, teilte die Landesverkehrswacht MDR SACHSEN-ANHALT mit und hob dabei die schulische Verkehrserziehung sowie Mobilitäts-Bildung hervor. "Dennoch werden die notwendigen Einsparungen zu Kürzungen in der Projektarbeit bis hin zur Einstellung einzelner Projekte führen müssen", so die Verkehrswacht weiter. Bei Fachleuten hatten die Sparpläne für Kopfschütteln gesorgt.

Grüne: "Landesregierung nimmt Verantwortung für Verkehrssicherheit nicht vollumfänglich wahr"

Der innenpolitische Sprecher und parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Rüdiger Erben, hatte bereits im vergangenen Sommer erklärt, die "Vision Zero" bleibe in Sachsen-Anhalt "eine leere Worthülse". Vergleichbare Länder, etwa Brandenburg, hätten in den vergangenen Jahren eine Trendwende erreichen können.

In der Opposition kritisieren Grüne und Linke insbesondere die Sparpläne bei der Verkehrserziehung. Diese "zeigen, dass die Landesregierung ihre Verantwortung für die Verkehrssicherheit nicht vollumfänglich wahrnimmt", erklärte die Grünen-Fraktion auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Hinsichtlich einer "Vision Zero" sehe man zwar Maßnahmen, aber kein landesweit strukturiertes Vorgehen.

Die Landesregierung hat kein Bewusstsein für die Umsetzung und Bedeutung der "Vision Zero".

Eva von Angern Vorsitzende der Linken-Fraktion

Eva von Angern, Vorsitzende der Linken-Fraktion, sagte angesichts der hohen Zahlen von Verkehrstoten: "Die Landesregierung hat kein Bewusstsein für die Umsetzung und Bedeutung der 'Vision Zero'." Sowohl Linke als auch Grüne fordern weitere Maßnahmen, darunter unter anderem Tempolimits und eine einfachere Möglichkeit für Kommunen, Tempo-30-Zonen einzurichten.

AfD hält "Vision Zero" für "unrealistisch"

Die AfD-Fraktion hat dagegen grundsätzliche Zweifel an der "Vision Zero". Das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten auf null zu reduzieren, sei "unrealistisch", erklärte der verkehrspolitische Sprecher Matthias Büttner auf Anfrage. Statt auf Einschränkungen und Verbote wolle man auf die Sanierung und den sicheren Ausbau von Straßen setzen, auf bessere Fahrausbildung und moderne Fahrzeugtechnik. Anstelle pauschaler Tempolimits sei stärkere Polizeipräsenz an Unfall-Schwerpunkten notwendig.

Die Landesverkehrswacht weist darauf hin, dass es sich bei der "Vision Zero", so, wie sie innerhalb der EU vorgesehen ist, um ein Ziel handle, das bis 2050 nahezu erreicht werden solle: "Vor diesem Hintergrund sind grundsätzlich alle Maßnahmen zu begrüßen, die dieses langfristige Ziel zu ermöglichen versuchen."

MDR (Maren Wilczek, Fabienne von der Eltz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Februar 2025 | 10:00 Uhr

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