Ein Mädchen mit Kopfhörern geht nach einem Regenguss an einem trüben Herbsttag in der Abenddaemmerung durch eine grosse Pfüze.
Die Gründe, warum Jugendliche die Schule abbrechen, sind vielfältig: Familie oder Mobbing sind zwei davon. Bildrechte: picture alliance/dpa | Wolfram Steinberg

Ohne Schulabschluss Chancen für Schulabbrecher: Jugendwerk Rolandmühle vermittelt Struktur

20. Februar 2024, 13:51 Uhr

Die Schulabbrecherquote liegt in Mitteldeutschland zwischen 8,1 und 11,8 Prozent. Im Jugendwerk Rolandmühle in Sachsen-Anhalt werden Jugendliche von 16 bis 27 Jahren gefördert. Sie sollen dort lernen, ihr Leben zu strukturieren. Das Projekt gibt es seit 15 Jahren, muss aber immer wieder um die Weiterfinanzierung kämpfen.

Nastassja von der Weiden
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Die Schulabbrecherquote ist im Osten, besonders in Sachsen-Anhalt, hoch. Hier beträgt sie 11,8 Prozent. Und hinter jeder Quote stehen Menschen, Schicksale, wahre Geschichten. Elke Häntsche kennt viele dieser Geschichten und Biographien. Sie arbeitet als Bereichsleitung der Beruflichen Bildung im Jugendwerk Rolandmühle in Burg und ist seit 15 Jahren, von Gründung an, bei diesem Projekt dabei.

In der Mühle werden Jugendliche von 16 bis 27 Jahren gefördert. An den drei Standorten frühstücken die Gruppen zusammen, bekommen Aufgaben, entwickeln eine Struktur für ihr Leben. Oft fällt ihnen genau das schwer, denn sie kommen aus Familien, in denen sie nicht bleiben konnten oder wollten, hatten traumatische Schulerlebnisse, haben keinen Abschluss. In der Förderzeit üben sie das frühe Aufstehen, das Dranbleiben.

Zum dritten Mal keinen Schulabschluss

Marie (Name geändert) ist 23 Jahre alt und hat keinen Schulabschluss. Versucht hat sie es, genauer drei Mal, zu verschiedenen Zeiten und während unterschiedlicher Lebensumstände, den Hauptschulabschluss nachzuholen.

Das letzte Mal sah es eigentlich gut für sie aus: "Ich hatte einen Noten-Durchschnitt von 1,2. Aber dann kam Corona und mit einem kleinen Kind zuhause hat es nicht mehr geklappt. Dumm bin ich nicht", sagt sie.

Marie hat in ihrem Leben schon vieles durchgemacht. Sie wuchs teilweise im Kinderheim auf, vermisste die Nähe zu ihrer Mutter, sie wurde in der Schule gemobbt, es ging hin und her – und sie geriet in einen rechten Freundeskreis, mit dem sie viel "Blödsinn" machte. In der Schule hatte sie keine Freundinnen oder Freunde.

Schulzeit, Schwangerschaft und Jugendwerk

Was Marie "Blödsinn machen" nennt, geht von Drogen nehmen bis zu täglichem Kontakt mit der Polizei. Als sie schwanger wird, wird ihr klar: So kann es nicht weitergehen. Ihr Kind soll sich nicht in der gleichen Spirale drehen wie sie, sie will den Teufelskreis durchbrechen.

Sie hat viel darüber nachgedacht, was sie in der Vergangenheit gebraucht hätte: "Mir hat in der Schule niemand zugehört. Das hätte ich gebraucht. Dass mir geglaubt wird, wenn ich sage, dass ich bespuckt werde", sagt sie im Gespräch.

Im Jugendwerk ist sie mit Unterbrechungen seit März vergangenen Jahres dabei. Elke Häntsche befasst sich immer eingehend mit den Hintergründen der Jugendlichen: "Wir wollen den Menschen erfassen, nicht nur seine Probleme. Und wir nehmen uns wirklich Zeit, mit ihnen zu arbeiten."

Arbeitslos in zweiter oder dritter Generation

Ein großes Thema ist das Aufstehen, erklärt Häntsche: "Manche haben sich an das Nichts-Tun gewöhnt. Die haben dann Schwierigkeiten, sich zu motivieren." Die Sozialpädagogin erlebt die Förder-Zielgruppe manchmal in zweiter oder dritter Generation.

Im Jugendwerk lernen sie, etwas Positives zu erleben und sich selbst positiv zu erleben, sich für etwas zu begeistern. Die Erfahrungen vorher sind überwiegend "Ich kann das nicht, andere können es besser" und dieser Kreislauf wird mit praktischen Erfolgen durchbrochen.

"Wenn der Funke überspringt, kriegen wir das alles hin. Und wenn nicht, nehmen wir uns mehr Zeit", sagt Häntsche. Das Jobcenter vermittelt die Jugendlichen in der Regel an das Jugendwerk, die dort maximal 18 Monate beschäftigt sein dürfen.

Förderung und neue Chancen

Für Marie bedeutet die Förderung in der Rolandmühle, dass sie um fünf Uhr früh aufstehen muss, um dann erst ihr Kind in die Kita zu bringen und dann ab sieben Uhr im Jugendwerk zu arbeiten. Nachmittags hat sie dann frei, kann sich mit ihren Freundinnen verabreden, die auch Kinder haben. Und sie führt eine neue Beziehung.

Auch Elke Häntsche bestätigt die Entwicklung, die Marie gemacht hat. Sie sei zuverlässig, möchte wieder am Leben teilhaben und teilnehmen. Maries Sohn kommt nächstes Jahr in die Schule. Seine Schulzeit soll anders laufen als die seiner Mutter.

In der Rolandmühle kann Marie noch bis Mai bleiben. Danach möchte sie einen Job finden, zum Beispiel als Küchenhilfe, um für ihren Sohn ein Auskommen zu erwirtschaften, das über die Höhe des Bürgergelds hinausgeht.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 16. Februar 2024 | 19:45 Uhr

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