Menschen mit gelben Westen und Bannern protestieren vor dem Werk in Barby
Mike Blaszynski ist einer der Cargill-Mitarbeiter, die sich am Streik im Werk beteiligt haben. Bildrechte: NGG

Streik Ost-West-Lohngefälle: Mitarbeiter einer Fabrik in Barby kämpfen für Tarifangleichung

21. August 2023, 04:54 Uhr

Im Stärkewerk in Barby erhalten die Mitarbeiter fast 200 Euro weniger Gehalt als im Schwesternwerk im nordrhein-westfälischen Krefeld, und das bei gleicher Arbeit. Die Tarifverhandlungen mit dem Unternehmen Cargill gestalten sich zäh. Die Arbeitnehmer sind wütend und streiken. Auch 2023, mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung, ist diese Situation kein Einzelfall in Ostdeutschland. Noch immer klafft eine gewaltige Lohnlücke zwischen Ost und West.

Eine junge Frau lächelt in die Kamera
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Rund 195 Beschäftigte hat das Cargill-Werk in Barby. Am Standort werden unter anderem Weizenstärke und Ethanol für Lebensmittel und Spirituosen produziert. Im Salzlandkreis ist die Fabrik damit ein wichtiger Arbeitgeber. Und trotzdem sind die Beschäftigten wütend, denn im Schwesternwerk in Krefeld wird fast 200 Euro mehr Gehalt gezahlt. Und das schon seit Jahren.

Gleiche Arbeit, gleicher Lohn – das wurde uns damals, wo unser Betrieb hier eröffnet wurde, von der damaligen Geschäftsleitung versprochen. [...] Jetzt sind wir 30 Jahre hier und es wird sich noch immer gestritten. Das kann nicht sein und das wollen wir jetzt durchdrücken.

Mike Blaszynski Betriebsrat im Cargill-Werk in Barby

"Gleiche Arbeit, gleicher Lohn – das wurde uns damals, wo unser Betrieb hier eröffnet wurde, von der damaligen Geschäftsleitung versprochen. Dass wir in zehn bis 12 Jahren die Angleichung haben. Jetzt sind wir 30 Jahre hier und es wird sich noch immer gestritten. Das kann nicht sein und das wollen wir jetzt durchdrücken", meint Mike Blaszynski. Der 54-Jährige arbeitet seit gut 30 Jahren als Betriebssanitäter im Werksschutz in Barby und engagiert sich im Betriebsrat. Über die Situation kann er mittlerweile nur noch den Kopf schütteln.

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Ost-West-Unterschiede bei Cargill: zwei Euro mehr Stundenlohn

Denn bisher haben die Angebote der Arbeitgeberseite die Angestellten nicht überzeugt. Im Juli hat die Belegschaft deshalb mehrmals die Arbeit niedergelegt. Die Stimmung bei den Streiks sei gut gewesen, sagt Blaszynski. Mittlerweile seien die Tarifverhandlungen Hauptthema unter den Kollegen. "Was der Betrieb damit erreicht, ist, dass die Gewerkschaft mehr Mitglieder bekommt. Es sind auch jüngere Mitarbeiter, die anfragen: "Habt ihr mal einen Antrag? Ich füll' den aus."

Seit 2002 gehört die Fabrik in Barby zu Cargill, einem der weltweit führenden US-Handelskonzerne für Agrargüter. Im Geschäftsjahr 2022 verzeichnete das Unternehmen eigenen Angaben zufolge einen Umsatz von 165 Milliarden US-Dollar. Bei den aktuellen Tarifverhandlungen geht es um zwei Euro mehr Stundenlohn. Die Arbeitnehmer in Krefeld hätten zudem nur eine 38-Stunden-Woche, sagen die Arbeitnehmer. In Barby seien es 40 Stunden. Cargill selbst wollte sich dazu auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT nicht äußern.

Im Osten weniger Lohn, weniger Urlaubsgeld, weniger Tarifbindung

Dass es 2023 immer noch große Unterschiede zwischen den Löhnen in den alten und neuen Bundesländern gibt, ist bekannt. Etwa 20 Prozent beträgt die Gehaltslücke laut Zahlen des Statistischen Bundesamts. Die Lohn-Unterschiede waren aufgrund von Sonderzahlungen im vergangenen Jahr zuletzt wieder angestiegen – auch, wenn von der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro vor allem Arbeitnehmer in Ostdeutschland profitiert haben. In den unteren Entgeltbereichen näherten sich die Verdienste daher an.

Trotzdem steht der Osten in Sachen Geld oft schlechter da als der Westen. In den neuen Bundesländern wird nach wie vor seltener Urlaubsgeld gezahlt. Das wiederum hängt mit der niedrigeren Tarifbindung zusammen. Nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lag die Tarifbindung der Beschäftigten im Jahr 2022 in Ostdeutschland bei nur noch bei 45 Prozent, verglichen mit 52 Prozent im Westen. Dabei könne sich diese nachweislich positiv auf Lohnverhandlungen auswirken, sagt Wirtschaftsprofessor Steffen Müller von der Universität Magdeburg.

So erreichte die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) im vergangenen Jahr, dass in der Landwirtschaft in Ost und West gleiche Löhne und Gehälter gezahlt werden. Ein echter Erfolg. In anderen Bereichen geht es jedoch nur langsam voran. Am größten sei die Lohnlücke in der Kommunikation und IT sowie in der Industrie, erklärt Müller.

Niedrigerer Lohn wegen niedrigerer Lebenshaltungskosten

In Barby will man sich nicht mehr mit weniger zufriedengeben. Nach dem Angebot der Arbeitgeber in der zweiten Verhandlungsrunde betrage der Lohnabstand immer noch 195 Euro im Monat, heißt es seitens der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Bis 2024 solle dieser dann auf 188 Euro verringert werden. Für die Region zahle Cargill zwar schon gut, doch das reiche nicht, meint Mike Blaszynski. "Wenn man dasselbe macht, dieselben Sachen produziert, sollte man dasselbe Geld dafür kriegen. Es ist vollkommen egal, ob das in Ostfriesland oder in Sachsen ist." Trotzdem ist Blaszynski auch realistisch und sagt: "Es wird auf einen Kompromiss hinauslaufen, aber wir lassen uns nicht mit einem Prozent abspeisen. Dann wird eben weiter gestreikt."

Cargill begründe den niedrigeren Lohn im Vergleich zu Krefeld mit den geringeren Lebenserhaltungskosten in der Region, erzählt Axel Seelig. Der 56-Jährige kommt aus Schönebeck und ist Arbeiter in der Produktion im Werk. Auch er ist seit 30 Jahren dabei. Die Tarifrunden beschreibt er als zäh. Auch bei ihm kommt die Wut wieder hoch, wenn es in Richtung Verhandlungstage geht. "Dann rechnet man sich aus: Das sind im Jahr so und so viel. Deshalb kämpfen wir."

Etwa 50 Prozent der Beschäftigten in Barby sind mittlerweile in der Gewerkschaft organisiert, so Holger Willem, Geschäftsführer der NGG-Region Magdeburg. "Wer gute Fachkräfte will, der muss auch gerecht bezahlen. Gerade unter dem Druck der massiv gestiegenen Verbraucherpreise, ist das das Mindeste", sagt er.

Wenn man dasselbe macht, dieselben Sachen produziert, sollte man dasselbe Geld dafür kriegen.

Mike Blaszynski Betriebsrat im Cargill-Werk in Barby

Tarifverhandlungen verschärfen Nachwuchssorgen

Aufgrund der Konflikte bei den Tarifverhandlungen macht sich Mike Blaszynski derweil auch Sorgen um den Nachwuchs im Unternehmen, denn die Fabrik in Barby habe einen Standortnachteil. "Gerade, wenn junge Leute, die noch keinen festen Wohnsitz haben, anfangen zu arbeiten: Die gucken, wo es sich lohnt, hinzugehen. Wir sind hier für junge Leute unerreichbar, die keinen Führerschein haben." Bereits jetzt suche das Werk dringend Leute. Viele Kollegen hätten vor 30 Jahren zusammen mit Blaszynski angefangen. Bis zur Rente sind es im Schnitt nur noch 15 Jahre. Ein neuverhandelter Lohn könnte jedoch zum Leuchtturm werden und wieder mehr junge Menschen ins Werk ziehen. Das würde er sich zumindest wünschen. "Ob die dann bleiben, ist nochmal was anderes", sagt er aber auch.

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Hoffnung setzten die Mitarbeiter zuletzt in eine Schlichtungsrunde Anfang August. Das Ergebnis: Cargill biete laut Holger Willem an, die Lohnlücke auf rund drei Prozent zu verkleinern. "Die Arbeitgeberseite hat sich bewegt, ohne Schlichtung wäre das nicht passiert", erklärt er. Nach wie vor denke man jedoch in alten Schablonen, was die Angleichung betreffe. Eine Abstimmung der Gewerkschaftsmitglieder entscheidet daraufhin, das Ergebnis abzulehnen. "Mogelpackung mit uns nicht machbar", heißt es in der Tarifinformation der NGG dazu. Die Gewerkschaft hoffe nun auf eine zweite Schlichtungsrunde, um die Gespräche fortzusetzen. Doch auch erneute Streiks seien möglich.

Dieses Thema bei FAKT IST!

Deutschland ist wiedervereinigt – aber nicht, wenn es um Löhne und Gehälter geht. Über Ursachen und mögliche Lösungen diskutiert die Runde bei "Fakt ist!" aus Magdeburg. Zu Gast sind Martin Kröber (SPD Bundestagsabgeordneter), Sven Schulze (Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalt), Ulrike Schielke-Ziesing (AfD Bundestagsabgeordnete) und Marco Langhof (Vorsitzender Arbeitgeberverband Sachsen-Anhalt). Zu sehen ist der MDR-Talk ab 20.30 Uhr im Livestream auf mdr.de/tv und auf dem MDR-YouTube-Kanal sowie um 22.10 Uhr im MDR-Fernsehen und im Anschluss in der ARD Mediathek.

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Über Sarah-Maria Köpf Sarah-Maria Köpf arbeitet seit Mai 2021 für MDR SACHSEN-ANHALT. Sie ist in Leipzig aufgewachsen und hat dort Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert, bevor es sie für den Master in "Multimedia & Autorschaft" nach Halle zog.

Neben dem Studium arbeitete sie für den Radiosender Mephisto 97.6, die Leipziger Volkszeitung und das Grazia Magazin. Ihr Schwerpunkt liegt in den Bereichen Social Media sowie Polititik und Gesellschaft.

MDR (Sarah-Maria Köpf)

Dieses Thema im Programm: FAKT IST! aus Magdeburg | 21. August 2023 | 22:10 Uhr

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