Personalmangel und Finanzen Was das Schließen von Kinderkliniken gefährlich macht

09. April 2023, 17:34 Uhr

Je mehr Kinderkliniken in Sachsen-Anhalt schließen, desto länger werden für manche Eltern und ihre Kinder in Notfällen die Fahrzeiten. Das hat eine Mutter nun erleben müssen. Ihre Tochter erlitt Atemnot – zur Klinik musste sie eine Stunde fahren.

In den Augen des kleinen Mädchens stehen noch immer die Tränen. In der Nase hat es zwei Schläuche, die es mit Sauerstoff versorgen. Der Blick der Kleinen ist fragend: "Wo bin ich hier?" Neben dem Bett stehen Überwachungsmonitore, die Puls und Herzschlag des Kindes anzeigen. Das Mädchen ist nicht älter als ein Jahr alt. Um es abzulenken, liest die Mutter aus einem Kinderbuch vor.

Aktuell sitzt das Mädchem munter auf ihrem Schoß im übergroßen Krankenbett. Einige Stunden zuvor sah das noch ganz anders aus, erinnert sich Mutter Stephanie Otto: "Sie hatte eine Erkältung und innerhalb von ein, zwei Stunden ist die Erkältung so schlimm geworden, dass sie gräulich angelaufen ist und Atemnot entwickelt hat."

Viel zu lange Wege in die Kinderkliniken

Otto fackelte nicht lange und fuhr sofort aus Hecklingen im Salzlandkreis in das Klinikum für Kinder- und Jugendmedizin Magdeburg. Die Fahrzeit bis dahin beträgt fast eine Stunde mit dem Auto. Laut Otto ist der Fahrtweg in einer solchen Notsituation viel zu lang: "Also die Fahrt war nicht schön und wir hatten keine Möglichkeit, irgendwo anders hinzufahren. Magdeburg ist die nächste Anlaufstation für uns gewesen." Otto hatte sich bewusst für Magdeburg entschieden, denn hier wurde ihre Tochter geboren. Mit den doch näher an Hecklingen gelegenden Krankenhäusern hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht. Daher die Entscheidung.

Dennoch: Das Problem mit den langen Fahrzeiten bleibt und es könnte sich sogar noch verschlimmern. In den letzten Jahren haben immer mehr Kinderkliniken ihre Tore schließen müssen. Schönebeck, Gardelegen – und ab Mai auch Zeitz – haben keine Kinderkliniken mehr. Somit werden die Fahrzeiten zwischen Stadt und Kinderkliniken immer länger.

Dieses Problem wurde im März 2023 in den Landtag getragen. Linken-Politikerin Nicole Anger sieht die Versorgung im Land als unzureichend an und kritisiert vor allem die langen Fahrzeiten. Sie sagte im Landtag: "Eltern fahren in Gardelegen 45 Minuten bis zur nächsten Kindermedizin. Genau diese Situation wird in Kürze auch in Zeitz eintreten. Bis Naumburg sind es mindestens 45 Minuten Fahrtzeit."

Weitere Schließungen sind abzusehen

Laut Matthias Heiduk, Chefarzt im Bereich Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Magdeburg, gibt es vor allem im Norden Sachsen-Anhalts immer weniger Standorte. Auch er sieht das Problem mit den langen Fahrzeiten: "Ein kritischer Punkt ist sicher auch die pädiatrische Notfallversorgung, die dann auch mit weiteren Anfahrzeiten verbunden ist", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT.

Das heißt in den nächsten zehn bis 20 Jahren wird ein nicht unwesentlicher Teil in den Ruhestand gehen, und es ist höchste Eisenbahn, dass wir da auch noch mehr ausbilden.

Matthias Heiduk Chefarzt im Bereich Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Magdeburg

Aus Sicht von Heiduk ist es durchaus absehbar, dass in näherer Zukunft sogar weitere Kinderkliniken schließen werden. Das hänge mit der Finanzierung und dem bestehenden Personalmangel zusammen. "Natürlich hat, wie die gesamte Medizin, auch die Kindermedizin unter Personalkräftemangel zu leiden. Es ist eben nicht leicht, einen Arzt in eine ländliche Region zu holen. Die jungen Leute bleiben heute lieber in den Städten – genauso das Pflegepersonal", sagt Heiduk.

Hinzu kommt, dass ein großer Teil der praktizierenden Ärzte über 50 Jahre alt ist, sagt der Chefarzt. "Das heißt in den nächsten zehn bis 20 Jahren wird ein nicht unwesentlicher Teil in den Ruhestand gehen, und es ist höchste Eisenbahn, dass wir da auch noch mehr ausbilden", schließt er. So kann man ihmzufolge durchaus absehen, wo die "Reise" in näherer Zukunft hingehen wird.

Mehraufwand für die übrigen Kliniken

Zurück am Krankenbett von Stephanie Otto und ihrer Tochter: Zwei Schwestern kontrollieren den Zustand des kleinen Mädchens. Der Klebestreifen, der die Sauerstoffschläuche fixiert, muss gewechselt werden. Eine schmerzhafte Angelegenheit, sodass dicke Tränen über die Wange des Mädchens laufen. Die Schwestern in den blauen Kitteln trösten die Kleine und wischen ihr liebevoll die Tränen weg.

Eine von ihnen ist die Kinderkrankenschwester Simone Kellermann. Sie ist Teamleiterin von 26 Schwestern. Durch das Schließen der Kinderkliniken sei über die letzten Jahre eine hohe Belastung auf sie zugekommen, erzählt sie. Personell sei so ein Mehraufwand dazugekommen, erklärt sie MDR SACHSEN-ANHALT.

Hinzu kommt, dass in Magdeburg die Kinder-Intensivstation reduziert wurde. Laut Kellermann sind sie oft nun auch noch für die Erstversorgung zuständig: "Wir haben deutlich mehr Intensivpatientenaufwand. Wir haben mindestens zehn Patienten in letzter Zeit nach Halle auf die Intensivstationen verlegen müssen. Die Erstversorgung hat hier stattgefunden, und dann ging es per Hubschrauber weiter." Dafür müssen aber die kleinen Patienten gesundheitlich stabil sein, heißt es.

Situation macht Eltern Angst

Ob das kleine Mädchen in Magdeburg bleibt oder auch nach Halle verlegt wird, steht noch nicht fest. Doch auch Halle wäre von Hecklingen gut eine Stunde Fahrtzeit mit dem Auto. Stephanie Otto findet diese Situation furchtbar, sagt sie. "Das macht einem Angst – also gerade jetzt in so einer Notsituation. Ja, eigentlich kann man auch nur einen Rettungswagen holen und die bringen einen nach Halle oder nach Magdeburg."

Das macht einem Angst – also gerade jetzt in so einer Notsituation.

Stephanie Otto Mutter

Solange das Mädchen aber am Klinikum Magdeburg bleibt, wird sich nicht nur um die Kleine, sondern auch um die Mutter gekümmert. "Mutter und Kind oder Vater und Kind sind eine Einheit. Und genau so müssen wir sie auch als Patienten gemeinsam versorgen und betreuen," so Kellermann.

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MDR (Maximilian Fürstenberg)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 10. April 2023 | 19:00 Uhr

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