Betreuung und Zeit Warum die Finanzierung von Kinderkliniken problematisch ist
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10. April 2023, 12:21 Uhr
Wenige Kinderärzte und eine schwierig planbare Finanzierung sind die Probleme, die Kinderkliniken zum Teil in die Knie zwingen. Denn Kinder brauchen mehr Betreuung als erwachsene Patienten, wenn sie untersucht werden. Zwar will der Bund die Kinderkliniken mit einer Einmalzahlung fördern. Doch Ärzte glauben, dass davon zu wenig bei ihnen ankommen wird.
- Durch die Schließung von Kinderkliniken werden die Fahrzeiten immer länger. Das kritisiert die Partei "Die Linke".
- Für die Kinderkliniken gibt es zu wenige Kinderärzte. In zwanzig Jahren wurden 40 Stellen abgebaut.
- Die Finanzierung der Kindermedizin ist unberechenbarer als die Medizin für Erwachsene. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Auf Sachsen-Anhalts Eltern und ihre Kinder scheint ein größer werdendes Problem zuzukommen: Denn im Bundesland haben zuletzt mehrere Kinderkliniken dicht gemacht. Anfang 2022 wurde die Pädiatrie – also die medizinische Betreuung von Kindern und Jugendlichen – am Klinikum Gardelegen geschlossen.
Knapp ein Jahr später schloss vorerst die Kinderintensivstation am Klinikum Magdeburg und ab Mai ist dann auch im SRH Klinikum in Zeitz die Pädiatrie und Geburtshilfe zu.
Barmer: Versorgung ist gewährleistet
Trotzdem sei die Versorgung durch die Krankenhäuser im Umkreis gesichert. Das meint Barmer-Landesgeschäftsführer Axel Wiedemann. Er erklärte im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT, dass die Gesundheitsversorgung keine Ländergrenzen kennt: "Die medizinischen Angebote unserer Nachbarbundesländer müssen stärker mitgedacht werden. Dass Sachsen-Anhalter, die an der Grenze zu Thüringen leben, einen Arzt aus einem anderen Bundesland konsultieren, gehört schließlich auch zur Lebensrealität."
Eltern fahren in Gardelegen 45 Minuten bis zur nächsten Kindermedizin. Genau diese Situation wird in Kürze auch in Zeitz eintreten. Bis Naumburg sind es mindestens 45 Minuten Fahrtzeit.
Mitte März 2023 kam genau dieses Thema in den Landtag. Nicole Anger von der Partei "Die Linken" sieht die Versorgung im Land als unzureichend an und kritisiert vor allem die langen Fahrzeiten. Sie sagte im Landtag: "Eltern fahren in Gardelegen 45 Minuten bis zur nächsten Kindermedizin. Genau diese Situation wird in Kürze auch in Zeitz eintreten. Bis Naumburg sind es mindestens 45 Minuten Fahrtzeit."
Und hier könnte es laut Website des Gemeinsamen Bundesausschusses eigentlich schon brenzlig werden. Der sieht nämlich eine flächendeckende Versorgung in Gefahr, wenn "durch die Schließung des Krankenhauses zusätzlich mindestens 5.000 Einwohner mehr als 30 Minuten mit dem Pkw fahren müssen, um zum nächstgelegenen geeigneten Krankenhaus zu gelangen."
Das ist der Gemeinsame Bundesausschuss Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Er bestimmt in Form von Richtlinien, welche medizinischen Leistungen die ca. 73 Millionen Versicherten beanspruchen können. Darüber hinaus beschließt der G-BA Maßnahmen der Qualitätssicherung für Praxen und Krankenhäuser. Website Gemeinsamer Bundesaussuss
Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) möchte sich zu der aktuellen Lage gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT nicht äußern. In der besagten Landtagsdebatte hieß es auch seitens Grimm-Benne, die intensivmedizinische Versorgung der Kinder sei auch "im Norden und in der Mitte des Landes weiterhin sichergestellt".
Seit der Wende: Hälfte der Kinderkliniken weg
Dass es beim Thema Kinderkliniken aber Schwierigkeiten im Land gibt, darüber sind sich immerhin alle einig. Denn als Gründe für die schließenden Kinderkliniken fallen immer wieder die Begriffe Finanzierung und Personalmangel.
Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt gab es im Jahr 2000 noch 194 ambulante Kinderarztstellen. Diese wurden mit 195 Kinderärzten im Umfang einer vollen Arztstelle besetzt, heißt es. Ende des Jahres 2022 waren knapp 154 Kinderarztstellen mit 178 Kinderärzten besetzt. Innerhalb von 20 Jahren sind etwa 40 Kinderarztstellen verloren gegangen.
Roland Haase, Chefarzt der Klinik für Neonatologie und Kinderintensivmedizin St. Elisabeth und St. Barbara in Halle, sieht den Personalmangel deutlich. Er sagte MDR SACHSEN-ANHALT, man kenne das zwar auch aus anderen Arbeitsbereichen, aber in der Medizin und der Pflege sehe man es ganz besonders. "Wir haben ein Nachwuchsproblem in Sachsen-Anhalt, gerade was die Versorgung der Kinderkliniken, aber auch der Kinderarztpraxen angeht", sagt er.
Seit der Wende hat Sachsen-Anhalt Haase zufolge etwa die Hälfte der Kinderkliniken verloren – aktuell gibt es noch 17 Kinderkliniken im Land. "Wir haben in der Fläche tatsächlich Versorgungsprobleme für Kinder. Das sieht man vor allem im Norden von Sachsen-Anhalt", sagt der Kinderarzt.
Kindermedizin ist unberechenbarer als Medizin für Erwachsene
Und wie immer spielt auch Geld eine wichtige Rolle. So ist die Finanzierung der Kindermedizin anders als für erwachsene Patienten. Haase erklärt, dass die Finanzierung der Kinderkliniken über das DRG-System nicht kostendeckend sei. DRG-System bedeutet, dass mit Pauschalen gerechnet wird. Diese werden laut der Krankenkasse AOK pro Patient und erbrachter Leistung mit der jeweiligen Krankenkasse abgerechnet.
Das Besondere der Kindermedizin daran: Die Pauschalen werden durch einen "höheren Schweregrad" und damit mit einer "höheren Vergütung bei der Erbringung der Leistung berücksichtigt", so die AOK gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT.
Höhere Vergütung klingt erstmal rentabel, aber die Kindermedizin ist nicht so berechenbar wie die bei Erwachsenen. Laut Kinderarzt Haase ist die Kindermedizin auf Notfälle angewiesen, die saisonal unterschiedlich stark anfallen. So werden zum Beispiel in Infektionszeiten deutlich mehr Personal und Betten benötigt. Es gibt außerdem sehr hohe Vorhaltekosten (fixe Kosten) und es müssen für jeden Patientenplatz drei oder vier verschiedene Bettengrößen bereitstehen, erklärt er. Das macht die Kindermedizin so teuer.
Umgang im Klinikalltag mit Kindern ist zeitaufwendiger
Und nicht nur das: Ärzte benötigen bei Untersuchungen mit Kindern oft mehr Zeit, das sagt eine Kinderkrankenschwester MDR SACHSEN-ANHALT, die aber anonym bleiben möchte. Sie sagt: "Kinder lassen meist nichts freiwillig machen, sie haben Ängste, verstehen die Notwendigkeit von Untersuchungen und Therapien nicht."
Der Krankenschwester zufolge müssen manche Kinder bei "einfachen" Vorgängen – wie etwa Blut abnehmen – fixiert werden, wenn sie sich wehren und kein Verständnis für die Untersuchung haben. "Macht braucht viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Empathie um den Erfolg einer Untersuchung zu haben", heißt es.
Hinzu kommt auch, dass Kinder nicht immer genau lokalisieren können, wie Schmerzen herkommen. Laut der Krankenschwester kann es passieren, dass ein Kind mit Bauchschmerzen auf die Station kommt und Untersuchungen zu einer Blinddarmentzündung laufen, sich aber herausstellt, dass es nur eine Verstopfung ist. "Wenn 'nur' das Letztere der Fall ist, geht das Kind nach erfolgreicher Entleerung wieder nach Hause und das Pflegepersonal und die Ärzte hatten einen enormen Zeitaufwand und unterm Strich kaum Entlohnung", sagt sie.
Bund zahlt für Kinderkliniken 300 Millionen Euro
Für 2023 hat der Bund den Kinderkliniken eine Einmalzahlung in Höhe von insgesamt 300 Millionen Euro zugesagt – ein Anfang. Kinderarzt Roland Haase denkt aber, dass davon nicht viel in Sachsen-Anhalt ankommen wird: "Wir schätzen, dass dieses Geld nur zu zwei Dritteln in den Kinderkliniken tatsächlich ankommt und dann auch nur zu einem kleineren Teil in Sachsen-Anhalt."
Wir müssen es schaffen, dass das kranke Kind in der Fläche in einer vertretbaren Zeit behandelt wird. Es wäre der falsche Weg, weiterhin blind Kinderkliniken nur aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus zu schließen.
Er wertet das dennoch als positiven Schritt, sagt er. Er meint, dass die Politik erkannt hat, dass es ein Problem gibt, das man lösen sollte. Für die Zukunft wünscht sich Haase aber, dass Sachsen-Anhalt wieder eine flächendeckende und wohnortnahe pädiatrische Versorgung für Kinder und Jugendliche schafft. "Es ist absolut klar, dass nicht alles überall und zu jeder verfügbar sein kann. Aber wir müssen es schaffen, dass das kranke Kind in der Fläche in einer vertretbaren Zeit behandelt wird. Es wäre der falsche Weg, weiterhin blind Kinderkliniken nur aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus zu schließen", schließt er.
MDR (Maximilian Fürstenberg)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 10. April 2023 | 19:00 Uhr
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