Exoskelett soll helfen Nach 26 Jahren im Rollstuhl: Querschnittsgelähmter Mann im Harz will wieder laufen lernen
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06. März 2025, 18:00 Uhr
Hartmut Wesarg aus Dingelstedt im Harz ist vollständig querschnittsgelähmt. Seit einem Autounfall vor 26 Jahren sitzt der gelernte Zimmermann im Rollstuhl. Alles, was für gesunde Menschen selbstverständlich ist, macht ihm viel Mühe. Dennoch kommt er gut klar in Haus und Hof. Aber das genügt ihm nicht. Der 53-Jährige träumt von einem Exoskelett, mit dem er wieder laufen kann.
Hartmut Wesarg fährt mit seinem Rollstuhl durch den Schnee auf seinem Hof in Dingelstedt. Er öffnet im Sitzen das Tor zum Hühnerstall. Auf dem Schoß hält er in einer Dose das Hühnerfutter bereit. Die Hennen kommen ihm entgegen und picken fleißig auf, was er ihnen zuwirft. Für Hartmut Wesarg ist der Alltag im Rollstuhl Normalität. Er kommt gut klar auf seinem Grundstück. Dennoch hat er einen Traum: "Ich möchte einmal mit meiner Frau spazieren gehen und einmal mit ihr Ballon fahren, das wär‘s! Und dazu brauche ich ein Exoskelett."
Drei Mal pro Woche Training mit Exoskelett "Gustav"
Hartmut Wesarg hat einen Plan: Drei Mal pro Woche fährt er zum Training ins Dorfgemeinschaftshaus in Dingelstedt und trifft sich dort mit seinem Ergotherapeuten Volker Kind – und mit "Gustav". Die Gemeinde überließ den dreien den großen Saal gern als Übungsstätte. "Gustav" ist der Name seines Exoskelettes, so hat er es getauft. Er darf es leihweise für 36 Trainingsstunden nutzen, finanziert von seiner Krankenkasse, allerdings erst nach einem aufwendigen Rechtsstreit.
Ich möchte einmal mit meiner Frau spazieren gehen und einmal mit ihr Ballon fahren, das wär‘s!
Während Hartmut Wesarg also in seinem Rollstuhl sitzt, wartet "Gustav" bereits neben ihm. Der kräftige Mann hieft sich allein in das Exoskelett. Auch das Anlegen der vielen Schnallen an den Beinen schafft er alleine. In den Schuhsohlen am Exoskelett sind Platten eingebaut, sie sind die Verbindung zum Bewegungsapparat von "Gustav". Am Handgelenkt trägt Wesarg eine Uhr. Damit kann er das Skelett steuern. Nach 26 Jahren im Rollstuhl ist er im November letzten Jahres zum ersten Mal aufgestanden. "Das war schon anders als zu sitzen und spannend zu sehen und zu merken, was jetzt passiert", erzählt Hartmut Wesarg sehr gefasst.
Seine Frau Susanne Wesarg begleitet ihn oft zum Training und ist wesentlich gerührter als er. Zum ersten Mal seit sie sich kennen, konnte sie ihrem Mann durch "Gustav" auf Augenhöhe begegnen und feststellen, um wie viel größer er doch im Vergleich zu ihr ist. "Das ist der Moment, wo ich Pippi in den Augen bekomme, das ist sehr emotional für mich", sagt sie und hat schon wieder feuchte Augen. Immerhin hat ihr Hartmut Wesarg stehend in seinem Exoskelett einen Heiratsantrag gemacht.
Nicht jeder ist für ein Exoskelett geeignet
Hartmut Wesarg setzt sich mit seinem Exoskelett in Bewegung, dicht hinter ihm geht sein Ergotherapeut. Schritt für Schritt drehen sie ihre Runden in dem großen Saal. Der Querschnittsgelähmte bewegt sich roboterhaft mit "Gustav" und den Krücken, das leise Motorengeräusch begleitet sie. Das Exoskelett ist selbsttragend. Es wiegt circa 30 Kilo. Der Akku ist auf dem Rücken des Patienten befestigt.
Wesarg kann mit dem Exoskelett sogar Treppen steigen. Es sei so ähnlich, wie wenn Fußgänger Segway fahren, beschreibt er sein Gehgefühl. "Drehen, Stoppen und Halten kann man durch Gewichtsverlagerung aus dem Oberkörper heraus". Seine Beine spürt er dabei nicht. "Muskelkater hatte ich nach dem ersten Gang mit 'Gustav' in den Schultern und Schmerzen in den Händen. Aber das ist jetzt durch das wochenlange Training vorbei", erzählt er und schaut dabei sehr angespannt und konzentriert.
Nicht jeder Querschnittsgelähmte ist dafür geeignet, so ein Exoskelett zu tragen, sagt Ergotherapeut Volker Kind. "Man muss gewisse Voraussetzungen mitbringen und man muss es vor allem wollen, man muss die Motivation haben. Das ist kein einfacher Weg, man muss körperlich fit sein, sodass man das Teil bedienen kann."
Nächster Streit mit der Krankenkasse befürchtet
Hartmut und Susanne Wesarg wünschen sich, dass die Krankenkasse das Exoskelett finanziert. Das kostet etwa 120.000 Euro. Hartmut Wesarg befürchtet jedoch den nächsten Streit vor Gericht, eine lange Trainingspause und dass dadurch alles umsonst war. Seine Krankenkasse will sich dazu nicht festlegen. Eine Sprecherin der Techniker Krankenkasse teilt mit, die Kasse dürfe die Kosten nur übernehmen, wenn verschiedene Voraussetzungen erfüllt, beziehungsweise Kontraindikationen ausgeschlossen sind. "Eine Aussage dazu, ob die künftige Nutzung eines Exoskeletts möglich und medizinisch sinnvoll ist, kann erst nach Beendigung aller Trainingseinheiten und nach Vorlage einer Einschätzung des Leistungserbringers (der das Training durchgeführt hat) erfolgen", heißt es weiter.
Der Leistungserbringer ist in diesem Fall die der Firma Lifeward. Sie stellt die Exoskelette für den privaten Alltagsgebrauch her, als einziger Hersteller in Deutschland. Marcel Mielke von der Firma betreut Hartmut Wesarg von Anfang an und besucht ihn bei seinen Trainingsstunden. Er kennt kaum einen Patienten, der besser geeignet wäre als Hartmut Wesarg: "Hartmut ist der absolut perfekte Nutzer für das System, dadurch, dass er physisch gut geeignet ist, sollte er das Exoskelett definitiv bekommen. Er hat alle Übungen binnen drei Monaten bestens gemeistert, das ist wirklich sehr gut."
Einer der Gründe dafür ist, dass Hartmut Wesarg seit 24 Jahren erfolgreich Rolli-Basketball spielt. Seine Mannschaft, die Rolling Baskets aus Magdeburg, ist amtierender Landesmeister! "Mit Rollstuhl ist vieles möglich, sagt er, aber es geht freilich immer besser!" Deswegen kämpft er nun darum, dass ihm sein Exoskelett "Gustav" dauerhaft zur Verfügung steht.
MDR (Anja Nititzki, Oliver Leiste)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. März 2025 | 19:00 Uhr
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