Wohnprojekt in ehemaliger Ruine Alte Lungenklinik im Harz: Vom Lost Place zum Lebensort
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13. März 2024, 18:03 Uhr
Fast 70 Jahre lang wurden in der Tuberkulose-Heilstätte Harzgerode kranke Kinder behandelt. Ende der 1990er Jahre wurde der Klinikbetrieb eingestellt. Mittlerweile ist wieder Leben in die alten Mauern eingezogen. Auf dem Gelände hat sich eine Gemeinschaft zusammengefunden, die alternative Wohnformen lebt und auch Führungen durch den ehemaligen Lost Place anbietet. Ein Ortsbesuch.
- Die ehemalige Lungenheilanstalt in Harzgerode stand jahrelang leer. Inzwischen gibt es neue Nutzer.
- Seit Ende der 1990er Jahre werden für den prächtigen Bau neue Nutzungsmöglichkeiten gesucht.
- Das Haus hat als so genannter Lost Place viele Besucher angezogen.
Zwischen Wohnlichkeit und Verfall, zwischen Selbstbau-Charme und Krankenhausflair – das Areal der ehemaligen Lungenheilstätte in Harzgerode ist ein Ort der Gegensätze. Im Treppenhaus des Hauptgebäudes steht ein Klavier. Im Keller: Werkstätten, Ateliers. In alten Krankenzimmern: Wohnzimmer-Atmosphäre. Nur einen Steinwurf entfernt: morbide Ruinen-Romantik, bröckelnde Farbe, einstürzende Decken im ehemaligen Isoliertrakt.
"Wir erobern uns die Klinik nach und nach zu einem schönen Zuhause", sagt Steffen Emrich. Er lebt auf dem Areal – mit rund 20 Mitbewohnern. Er hat eingeladen, zum Gespräch. In eine typische WG-Küche. Nur, diese WG-Küche befindet sich an einem der weitläufigen Flure des riesigen Krankenhausbaus. "Davor war es noch ein großes, leeres Zimmer."
Wohnprojekt im Harz: Leben in Gemeinschaft
Das Lebensmodell, das sie hier leben, bezeichnet Steffen Emrich als Gemeinschaftsprojekt. Doch da könnten sich wenige genau etwas darunter vorstellen. Er redet gern von einem Mehrgenerationenhaus. "Das trifft es ziemlich gut. Wir sind ja recht offensichtlich schon mehrere Generationen. Und wir wollen hier ein schönes Zuhause schaffen." Schöner Wohnen im Wald, das sei nur ein Nebenefekt.
Hier geht es um ein alternatives Wohnmodell, gemeinschaftliches Wohnen. "Das fängt ganz einfach an bei dem Teilen von Dingen, sodass nicht fünf Leute fünf Waschmaschinen und fünf Autos brauchen." Vier Autos gebe es hier. Das würde gerade so reichen. Ökologisch zu wohnen, wenig Ressourcen zu verbrauchen, das sei auch wichtig. "Das ist aber nicht unbedingt Pflicht, das ist einfach so, wer es mag, der macht es und wer nicht, muss nicht dogmatisch sein, was das angeht."
Tuberkulose-Heilstätte Harzgerode - ein Ort mit Geschichte
Dass die Gemeinschaft ausgerechnet hier, am Rand von Harzgerode, die alte Lungenheilstätte bewohnt, dafür gibt es Gründe. Gebaut wurde die ehemalige Tuberkulose-Heilanstalt Ende der 1920er / Anfang der 1930er Jahre. Generationen von Kindern mit Lungenkrankheiten sind hier behandelt worden. In Wochen-, teilweise monatelangen Klinikaufenthalten. Luft und Licht: das war damals Teil der Therapie. Deshalb gibt es auf dem Areal auch einen großen, quadratischen Teich, der das Sonnenlicht aufs Gebäude spiegeln soll. Große Balkone, ein Schulgebäude und eine Isolierstation.
Obwohl noch in den 1990er Jahren ein Krankenhausflügel saniert wurde, war 1998 Schluss mit dem Klinikbetrieb. Danach stand das Gebäude leer. Allerdings gab es einen Wachschutz. Vandalismus-Schäden halten sich deshalb in Grenzen – und weite Teile des Hauptgebäudes sind eine Zeitkapsel.
An den Fliesen der Waschräume: Aufkleber aus den 1990er Jahren. Wandbilder mit Disney-Figuren. An den Spinden auf den Fluren stehen noch die Namen von kleinen Patienten, die heute lange erwachsen sein müssten. Dass das Gelände noch so aussieht, ist ein Glücksfall. Die Klinik wurde nur acht Jahre nach dem Fritz-Heckert-Heim nebenan bei Gernrode geschlossen. Das Heckert-Heim ist heute eine Ruine.
Hier gibt es Platz für Ideen
Das alte Klinikgelände bei Harzgerode wird schon seit vielen Jahren von Menschen bewohnt, die alternative Lebensmodelle schaffen wollen. Steffen Emrich gehört nicht zur ersten Generation. 2017/2018 hätte es einen Neustart gegeben. Und seitdem ist viel passiert. Die Gemeinschaft ist gewachsen. Das Gelände in Schuss zu halten, die Gebäude zu sichern, das ist eine Riesenaufgabe. Und das alles funktioniert nur gemeinsam. Wer hier wohnt, packt mit an. Das Alltagsleben organisieren sie hier zwar basisdemokratisch. Hier zu leben bedeutet aber: mit anzupacken. Jeder, wie er kann.
„Aber es gibt keine Stundenquote. Irgendwie muss es im Ideal für alle passen, was sie mögen und können, und dann bleibt immer irgendwas übrig, wie sei es Kochen, sei es Kloputzen, sei es Bauanträge schreiben und sich um den Brandschutz kümmern"
Leben in einem ehemaligen Lost Place
Die Gebäude stehen unter Denkmalschutz, für die Nutzung sind Brandschutzfragen wichtig, Zuwegungen. „Ich bin zum Beispiel eben sehr in dieser Haustechnik-Ecke unterwegs", sagt Steffen Emrich. „Bau-Themen, neuerdings im Brandschutz, so was lernt man dann hier auch mal schnell." Gefühlt lerne er hier viel mehr, als in irgendeinem Hörsaal. Als er hergekommen sei, hätte es keine Heizung gegeben. „Also habe ich erst mal gelernt, wie ich eine Heizung baue und habe eine Heizung gebaut." Dazu Buchhaltung, gerade ist der Brandschutz ein Thema. Hier zu leben, bedeutet auch: Verantwortung zu übernehmen. Für die Gemeinschaft und für die Gebäude. Das Projekt ist in einer Genossenschaft organisiert.
„Ich komme ja selber ein bisschen aus der Lost-Place-Ecke und habe das auch als Lost Place kennengelernt." Das sei durchaus etwas, das ihn antreibe. Haustechnik, das sei auch eine Art von „Lost Place" erkunden. „Welches Kabel geht wohin und welche Rohrleitungen. Es geht ums Erkunden. Und: Zusammen sind Dinge möglich, die alleine nicht gehen", sagt er. Zum Beispiel in einem 12.000 Quadratmeter Haus zu wohnen und im Keller eine Elektronikwerkstatt, eine Holzwerkstatt, eine Metallwerkstatt, ein Nähzimmer, ein Musikzimmer zu haben. Platz gibt es hier. Und: "So eine Art Wahlfamilie ist ja so eine Gemeinschaft auch, die habe ich eben auch noch hier", sagt Steffen Emrich noch.
Führungen durch das Krankenhaus
Auch, wenn es eine sprichwörtliche Lebensaufgabe sein dürfte: Das Areal ist ein Lebensraum. Streng genommen kein Lost Place mehr. Und trotzdem stehen manchmal - auch nachts - ungebetene Gäste im Gebäude. "Wer fragt, darf sich hier umschauen", stellt Steffen Emrich fest. Außerdem bietet die Gemeinschaft regelmäßig Führungen an. Einer der wenigen legalen Lost Places, die Besucher in Sachsen-Anhalt betreten dürfen. In der Mehrweckhalle gibt es eine Ausstellung zur Geschichte der Tuberkulose-Heilstätten. Einem Ort, an der morbide Charme des Verfalls und wohnliche Heimeligkeit ganz nah beieinander liegen.
MDR (Tom Gräbe)
Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT | 13. März 2024 | 18:00 Uhr
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