John-Cage-Orgelprojekt Klangwechsel in Halberstadt: "Hektik" beim langsamsten Musikstück der Welt
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04. Februar 2024, 14:25 Uhr
Am Montag findet in Halberstadt einer der seltenen Klangwechsel bei der Aufführung des längsten Musikstückes der Welt statt. Dieses trägt den Titel ORGAN²/ASLSP und ist von John Cage. Die Abkürzung steht für "As SLow aS Possible", also "so langsam wie möglich". In der Harzstadt sind das 639 Jahre Dauermusik, die Tag und Nacht erklingt.
- Die Aufführung des Stücks ORGAN²/ASLSP von John Cage in extrem langsamer Geschwindigkeit zieht viele Interessierte nach Halberstadt.
- Jeder der seltenen Klangwechsel ist ein besonderes Ereignis.
- Die Aufführung kann auch als Plädoyer für die Wiederentdeckung der Langsamkeit verstanden werden.
Die Aufführung des Stücks ORGAN²/ASLSP in der Halberstädter St.-Burchardi-Kirche ist für mehrere Jahrhunderte angelegt. Dafür wurde extra eine spezielle Orgel konstruiert, bei der man Pfeifen hineinstellen und herausnehmen kann.
Der erste Ton war im Jahr 2001 zu hören, der letzte soll im Jahr 2640 erklingen. Zugrunde liegt eine Komposition für Orgel des 2012 gestorbenen Amerikaners John Cage, die eigentlich nur etwa eine halbe Stunde dauert. Die Initiatorinnen und Initiatoren des Projekts haben das Stück auf 639 Jahre ausgedehnt. Beim Klangwechsel am Montag wird der bisherige Klang nun um einen neuen Ton ergänzt.
Das Projekt – ein Magnet für Kulturtouristen
"Nur wegen dieses Stücks sind zehntausend Touristen aus der ganzen Welt nach Halberstadt gekommen, aus Amerika, aus Afrika, aus Japan", betont Georg Bandarau, der das Projekt in den Anfangsjahren mitverantwortet hat. Heute leitet er das Stadtmarketing in Magdeburg.
Aktuell hauptverantwortlich ist Rainer Neugebauer, Professor für Sozialwissenschaften im Ruhestand. Mit seinem markanten weißen Bart wirkt er wie ein Stellvertreter des Komponisten John Cage. Er führt häufig auch Touristen an den Ort des Geschehens.
Die "Cage-Orgel" – ein "Interims-Steckmodul"
Das Gehäuse der "Cage-Orgel" ist nur mit ein paar Pfeifen gefüllt. Diese werden durch einen Motor permanent mit Luft versorgt, im Orgel-Fachjargon spricht man von "Wind".
"Wir haben nicht das Geld, um eine Orgel zu bauen, in der alle 89 Pfeifen drin ständen, die wir für das ganze Stück brauchen, so dass es jetzt so eine Art 'Interims-Steckmodul' ist", sagt Neugebauer. Je nach Bedarf können also Pfeifen in das Orgelgehäuse hineingestellt oder herausgenommen werden. Das passiert immer dann, wenn in der auf 639 Jahre ausgedehnten Partitur des Stücks ein Klangwechsel vorgesehen ist.
Der Klangwechsel – ein Event
Der letzte Klangwechsel hat im Februar 2022 stattgefunden, also vor zwei Jahren. Die Kirche war gefüllt mit Cage-Fans – und das Medien-Echo enorm. Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Obwohl dieser Wechsel klanglich kaum wahrnehmbar war, denn nur eine einzige Orgelpfeife wurde entfernt.
Am kommenden Montag um 15:15 Uhr kommt nun eine andere dazu. Und wieder werden Cage-Fans aus aller Welt nach Halberstadt pilgern und gespannt den neuen Klang erwarten. Für Musikfachkundige: Aus dem bisherigen Klang {c‘ (16‘), des‘(16‘), dis‘, e‘, ais‘, e‘‘} wird der Klang {c‘ (16‘), des‘(16‘), d‘, dis‘, e‘, ais‘, e‘‘}. Das bedeutet, dass die Orgelbestückung um den Ton d' ergänzt wird.
Große Faszination
Die touristischen Gäste in Halberstadt sind vom Projekt fasziniert. So haben sich beispielsweise vor vier Jahren hier drei junge Musiker aus dem Iran neben die Orgel gestellt und mit ihren Stimmen zum Klang improvisiert.
Amüsant ist auch die Geschichte vom US-amerikanischen Kompositionsstudenten, der unbedingt neben der Orgel übernachten wollte und es nach längerem Hin und Her auch tatsächlich durfte.
Die (Wieder-)Entdeckung der Langsamkeit
Woher kommt diese Faszination des Publikums? Der Politiker Andreas Henke, Abgeordneter der Linkspartei im Landtag von Sachsen-Anhalt und ehemaliger Oberbürgermeister von Halberstadt, versucht eine Erklärung. Es sei eine notwendige Gegenreaktion auf den modernen Turbokapitalismus: "Wir alle näheren uns einem Ressourcenverbrauch, nicht nur auf der Erde schlechthin, sondern natürlich persönlich! Man ist immer in diesen Zwängen mit drin und man merkt gar nicht, wie man dabei selbst verschleißt!"
Das längste Musikstück der Welt – es ist in jedem Fall ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Langsamkeit.
Quelle: MDR KULTUR (Claus Fischer), Redaktionelle Bearbeitung: op
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 05. Februar 2024 | 07:10 Uhr