30 Jahre nach dem Selke-Hochwasser Nach wie vor kein wirksamer Hochwasserschutz an der Selke
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13. April 2024, 16:53 Uhr
Vor 30 Jahren sorgte ein Hochwasser an der Selke für einen Schock für viele Menschen im Harz. Doch noch immer gibt es vor Ort keinen wirksamen Hochwasserschutz. Unter anderem, weil zwei Bürgerinitiativen sich uneins sind über die Wahl der Mittel.
Am 13. April 1994 hieß es im Harz "Land unter". Nach starken Regenfällen kam es zu Überflutungen. Quedlinburg zum Beispiel entkam nur knapp einer Katastrophe, weil nach dem Überlaufen der Harzer Talsperren die Bode über die Ufer trat. Nur wenige Zentimeter fehlten damals und die Altstadt der Welterbestadt wäre überflutet worden. An der Selke, wo es kaum Hochwasserschutz gab, waren die Schäden besonders hoch. Doch auch 30 Jahre nach dem Ereignis fehlt hier noch immer ein wirksamer Hochwasserschutz.
Die Wassermassen kamen über Nacht. Es war noch dunkel, als Horst Schöne in Alexisbad am frühen Morgen des 13. April 1994 durch ein Rauschen wach wurde. Das Geräusch kam von einem kleinen Bach, der normalerweise an seinem Haus einen Hang hinunterplätschert und der nun zu einem Wasserfall geworden war. Die Selke schoss da bereits über die Bundesstraße vor dem Haus. In einem Bogen umfließt der kleine Fluss den Ort. Jetzt war er über die Ufer getreten, und die Wassermassen nahmen eine Abkürzung. Als es hell wurde, waren die Gleise der Selketalbahn gegenüber Schönes Grundstück nicht mehr zu sehen und von der Brücke dahinter war nur noch das Geländer zu erkennen.
Im Wohnzimmer bis zum Bauchnabel im Wasser
Ein paar Kilometer flussabwärts in Meisdorf dirigierte zu der Zeit Bürgermeisterin Bärbel Bürger bereits einen Großeinsatz. Das liebliche, landschaftlich schöne Selketal war eine tosende Wassermasse geworden. Durch die Straßen des Ortes bahnten sich die Fluten. "Hier war überall Wasser", sagt die heute 82-Jährige und zeigt auf den Platz vor dem Schützenhaus. In einem Gebäude in der Nähe habe sie damals einen Mann angetroffen, der bis zum Bauchnabel in seinem Wohnzimmer im Wasser gestanden habe. "Ein solches Bild vergisst man nicht", so die frühere Kommunalpolitikerin nachdenklich. Und: "Das Hochwasser war für alle ein Schock und die Schockwirkung ist heute irgendwie immer noch da".
Auch alle anderen Orte entlang der Selke waren betroffen – Ermsleben, Reinstedt, Hoym, Gatersleben, Hausneindorf. Brücken wurden beschädigt, Gleise und Straßen unterspült, in vielen Häusern stand Wasser und moderte Schlamm. Rund 27 Millionen Euro habe man am Ende als Schadenssumme erfasst, sagt Burkhard Henning, langjähriger Leiter des Landesbetriebs für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft. Nach dem Hochwasser 1994 war bald klar, dass sein Betrieb tätig werden muss.
Zwei Lager in Sachen Hochwasserschutz
Die Selke-Anrainer forderten damals einen schnellen und besseren Hochwasserschutz. Im Landes-Talsperrenbetrieb begann man zu planen – Dämme, Überflutungsflächen, zwei große Hochwasserrückhaltebecken bei Straßberg und Meisdorf. Doch gebaut worden sei davon bisher nichts, bedauert Burkhard Henning. Erst einmal hätten die Grundlagen erarbeitet werden müssen, sagt er. Dann habe es immer wieder Gesetzesänderungen gegeben, die das Anpassen der Unterlagen erforderlich gemacht hätten, und es habe auch widerstrebende Interessen entlang der Selke gegeben.
Was Henning meint, sind die zwei Lager, die seit den ersten Ideen für mehr Hochwasserschutz an der Selke existieren. Zwei Bürgerinitiativen, die sich beinah unversöhnlich gegenüberstehen. Beide wollen mehr Hochwasserschutz. Die eine Gruppe aber kämpft für den möglichst schnellen Bau eines Staudamms im Selketal kurz vor Meisdorf, die andere will dieses Hochwasserrückhaltebecken nicht und stattdessen mehrere kleine Dämme an den Zuflüssen und damit die Natur stärker schonen.
Lösung soll bis Jahresende feststehen
Der Staudamm bei Meisdorf würde zusammen mit einem Rückhaltebecken bei Straßberg am Oberlauf des Flusses einen effektiven Hochwasserschutz bieten. Gleichzeitig aber stellen die beiden Dämme auch erhebliche Eingriffe im naturschutzrechtlich besonders geschützten Selketal dar. Hochwasserschutz und Naturschutz geraten hier in ein erhebliches Spannungsfeld. Um zu einer Lösung zu kommen, wurde im Juni 2017 der Selke-Dialog begründet, ein Runder Tisch, zu dem die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden, Vertreter von Interessenverbänden und die Bürgerinitiativen unter Begleitung eines Moderators zusammenkamen. Aus dem Selke-Dialog wurde ein Jahr darauf ein kleinerer Selke-Beirat, der seitdem regelmäßig tagt.
Unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessen wurden beim Landestalsperrenbetrieb inzwischen verschiedene Varianten zum Schutz vor Hochwasser detailliert ausgearbeitet. Sie werden nun verglichen und bewertet. Bis Jahresende soll das geschafft sein. Dann, so Henning, werde das Ergebnis im Selke-Beirat präsentiert. Für die bevorzugten Lösungen würden dann die weiteren Planungen vorgenommen werden.
Staudamm ist geplant
Dem Bau eines Hochwasserrückhaltebeckens bei Straßberg haben die Mitglieder des Selke-Beirats schon vor einiger Zeit zugestimmt, auch beide Bürgerinitiativen. Der Planfeststellungsbeschluss hat seit Ende 2021 Gültigkeit. Kurz darauf begann die so genannte Ausführungsplanung. Der fast 20 Meter hohe Staudamm wird sicher demnächst gebaut werden. Bis aber die anderen Maßnahmen beginnen, wird wohl noch viel Wasser die Selke hinabfließen, hoffentlich kein Jahrhunderthochwasser.
MDR (Carsten Reuß, Alisa Sonntag)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 13. April 2024 | 19:00 Uhr
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