Moses Mendelssohn Akademie Halberstädter Akademie gibt von Nazis geraubte Bücher an Erben zurück
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15. Februar 2024, 10:46 Uhr
Die Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt hat Bücher aus dem "Buchbestand Ernst Wolff" an die Familie von Ludwig Chodziesner zurückgegeben. Der jüdische Anwalt war von den Nazis enteignet und 1942 aus Berlin deportiert worden. Die Bücher Chodziesners kamen über Umwege zu Manfred Wolff, der sie Jahrzehnte später der Akademie überließ. Diese erforschte die Bücher und konnte schließlich Nachfahren Chodziesners am anderen Ende der Welt ausfindig machen.
- Die Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt kann nach einer anderthalbjährigen Forschungsphase erste Bücher an einen Nachfahren zurückgeben.
- Der Berliner Anwalt Ludwig Chodziesner war in der NS-Zeit deportiert und enteignet worden. Die Bücher fanden sich später in einem Gebäude der Berliner Synagoge am Fraenkelufer.
- Sein Urenkel Paul Chodziesner konnte die Bücher in Berlin jetzt persönlich in Empfang nehmen und möchte sie für die Nachwelt erhalten.
Paul Chodziesner hält die Bücher seines Urgroßvaters in der Hand, die Jahrzehnte verschollen waren. Wie viele Nachfahren von Holocaust-Opfern hatte auch er bisher nichts, was an seinen ermordeten Verwandten erinnert.
Halberstädter Akademie untersuchte von Nazis geraubte Bücher
"Wir können Paul Chodziesner heute einen Teil seiner Familiengeschichte zurückgeben", sagt Angela Kolb-Janssen von der Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt glücklich. Sie hat das Forschungsprojekt in den vergangenen anderthalb Jahren geleitet. 3.500 Bücher haben sie im Zuge dessen untersucht und nach deren rechtmäßigen Erben geforscht. Paul Chodziesner ist der erste, der Bücher aus diesem Bestand zurückerhält.
Wir können Paul Chodziesner heute einen Teil seiner Familiengeschichte zurückgeben.
Die Geschichte der Bücher, die Paul Chodziesner heute in der Hand hält, beginnt vor über 80 Jahren. Im September 1942 wird der Berliner Anwalt Ludwig Chodziesner nach Theresienstadt deportiert.
Wenige Tage später folgt seine Tochter, die berühmte Lyrikerin Gertud Kolmar. Der Besitz der Familie muss zurückgelassen werden. Darunter befinden sich auch Bücherschränke. Chodziesner stirbt im Februar 1943.
NS-Raubgut wird nach dem Zweiten Krieg wiedergefunden
1945 soll eine Berliner Synagoge am heutigen Fraenkelufer wiederaufgebaut werden. Sie war über Jahre als Lagerstätte für die geraubten Güter genutzt worden. In einem Seitengebäude befinden sich auch die Bücher von Ludwig Chodziesner.
Bei den Aufräumarbeiten mit dabei: der Unternehmer Ernst Wolff. Er lässt die Bücher in Munitionskisten packen, ohne zu wissen, was sich daran befindet. Sein Ziehsohn Manfred Wolff bewahrt die Kisten nach seinem Tod weiterhin auf.
"Keiner wollte die alten Bücher haben. Sie wären weggeschmissen worden", sagt er heute auf die Frage, warum sich niemand darum kümmerte, die Bücher zurückzugeben.
Nachfahren von Holocaust-Opfern ausfindig gemacht
Vor ein paar Jahren übergibt der heute 89-jährige Wolff die Bücher dann an die Moses Mendelssohn Akademie in Halberstadt, in der er selbst Stifter ist. Dort werden sie restauriert und untersucht. Bei einigen können, durch die von den Nazis geführten Akten, die Namen der Besitzer und damit auch mögliche Nachfahren ausfindig gemacht werden.
Im Fall der Bücher von Ludwig Chodziesner gelingt die Suche nach einem Erben mit etwas Glück. Durch einen Artikel in der Berliner Zeitung wird Paul Chodziesner – am anderen Ende der Welt in Australien – auf die Forschung der Halberstädter Akademie aufmerksam.
Familiengeschichte am anderen Ende der Welt
Die Bücher jetzt in Berlin in Empfang nehmen zu können, erfüllt ihn mit großem Glück, macht ihn aber auch traurig: "In Australien bin ich natürlich unheimlich weit weg von all dem, was geschehen ist. Aber je mehr die Geschichte beleuchtet wird, desto mehr versteht man, durch was meine Vorfahren gegangen sind. Und natürlich ist das auch emotional und traurig."
Je mehr die Geschichte beleuchtet wird, desto mehr versteht man, durch was meine Vorfahren gegangen sind.
Paul Chodziesner ist mit seiner Familie extra zu diesem besonderen Anlass aus Australien angereist. Auf eine seltsame Art fühle er sich durch die Historie mit Berlin verbunden. Er wird gefragt, was nun mit den Büchern geschehe. "Ich weiß es noch nicht. Eventuell spende ich sie bei uns an ein Museum, das sie ausstellen kann."
Aller Voraussicht nach wird die Geschichte Ludwig Chodziesners also nicht nur in der Moses Mendelssohn Akademie in Halberstadt fortgeschrieben, sondern auch am anderen Ende der Welt in Australien.
Quelle: MDR KULTUR (Philipp Baumgärtner), redaktionelle Bearbeitung: td
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 14. Februar 2024 | 16:30 Uhr