Bauarbeiten seit zwei Jahren Warum Krottorf noch immer keinen Hochwasserschutz hat

12. Oktober 2023, 17:10 Uhr

Eigentlich sollte Krottorf in der Börde rund 30 Jahre nach einem schlimmen Hochwasser einen besseren Hochwasserschutz bekommen. Dafür haben vor zwei Jahren Bauarbeiten begonnen, die aber im Moment auf Eis liegen. Gleichzeitig sind die Kosten extrem gestiegen. Wann der Mühlgraben und das Wehr von Krottorf umgebaut werden können, ist weiter unklar.

Max Hensch Reporter MDR SACHSEN-ANHALT
Bildrechte: MDR/André Plaul

Nachdem 1994 die Rappbodetalsperre übergelaufen war, kam es entlang der Bode in Sachsen-Anhalt zu Überschwemmungen. Neben Oschersleben und Staßfurt war unter anderem das Dorf Krottorf an der Grenze zwischen den Landkreisen Börde und Harz betroffen. Was nun knapp 30 Jahre später vor Ort dagegen getan wird, löst bei Anwohnern und Naturschützern Kopfschütteln aus.

Frau Strümpel war im April 1994 Hortleiterin in Krottorf. Sie kann sich im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT noch gut erinnern: "Die Bode ist damals übergetreten und quer durch den Ort in den Mühlgraben geflossen. Mit gelben Plastiktüten bekleidet sind wir damals nach Hause gestapft. Mein Mann hatte schon alle Kellerfenster mit Sandsäcken zugemacht. Das hat aber nicht mehr geholfen. Auch unsere Küche war hinüber, die sollte eigentlich saniert werden. Drei Zentimeter haben gefehlt, dann wäre das Wasser auch in unsere Wohnung geschwappt."

Millionenschaden durch Hochwasser

Nicht nur bei der heutigen Rentnerin stand 1994 die Bode im Haus, insgesamt beklagte Krottorf einen Millionenschaden. Der Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW) hat nach langer Planung 2021 das Unterfangen begonnen, das Dorf hochwasser-fest zu machen. Die Idee: Der Mühlgraben, ein Seitenarm der Bode, soll künftig mehr Wasser aufnehmen können. Dazu sollen die Zuflüsse erweitert und stabilere, höhere Ufer-Wände aus Beton eingezogen werden. Doch das Projekt entpuppt sich immer mehr als Problemfall.

Kosten für Hochwasserschutz explodiert

Die Kosten-Kalkulation für den Ausbau des Mühlengrabens haben sich von anfangs rund 3,1 Millionen Euro auf heute bereits 12 Millionen Euro erhöht. In einer Stellungnahme schreibt der Landesbetrieb von "vorab unbekanntem, nicht tragfähigem Baugrund". Daher musste und muss auf beiden Ufer-Seiten nachgebessert werden.

Die bereits fertiggestellte östliche Ufer-Wand wurde massiver gebaut, die westliche Ufer-Wand wird neu geplant und soll mit zusätzlichen Pfählen verstärkt werden. Naturschützer warnen nun, dass durch die dickeren Mauern ein Nadelöhr entstehen könnte, was den Sinn des Hochwasserschutzes konterkarieren würde.

Kritik von Naturschützern und Bürgermeister

Zu den Kritikern gehört der anerkannte Naturschutzverein IG Bode-Lachs, der nicht nur das LHW-Projekt in Krottorf kritisch begleitet. "Das erschließt sich doch jedem Laien – wer nach oben bauen will, muss zuerst wissen, was drunter ist. Nach einem mehrjährigen Plan-Verfahren darf so etwas eigentlich nicht passieren", so der Vorsitzende Heimo Reilein.

Das Planfeststellungsverfahren, auf dessen Grundlage der LHW 2021 mit den Bauarbeiten am Mühlgraben begonnen hatte, stammte aus den frühen 2000er-Jahren. Reilein und seine Mitstreiter sehen darin aus heutiger Sicht deutliche Mängel und stellen die Frage, wie das Landesverwaltungsamt als Genehmigungs-Behörde einen Baustart auf diesen Grundlagen genehmigen konnte.

Auch der Verbandsbürgermeister der Westlichen Börde, zu der Krottorf gehört, ist unzufrieden. Fabian Stankewitz (SPD) bemängelt, dass die veralteten Planungen zu vielen Problemen auf der Baustelle und für die Gemeinde geführt hätten. Etwa bei den Anwohnern der Mühlstraße, deren Zufahrt für die Baustelle aufgerissen wurde, und es weiter auf unbestimmte Zeit bleibt.

Auch spricht er von einem mangelhaften Informationsfluss in Richtung Rathaus und kurzfristigen Änderungen aus dem LHW. So sei etwa entlang einer Brücke ein Glasfaseranschluss verlegt worden, weil es eine Zusage des LHW gegeben habe, die Brücke zu erhalten. Diese muss nun doch abgerissen und neu gebaut werden. Ebenso müssen dann die Glasfaser neu gelegt werden.

Bauarbeiten verzögern sich

An der westlichen Ufer-Wand des Mühlgrabens muss indes mehrfach nachjustiert werden, denn auch die Regenwasser-Einleitungen der Anlieger – orangene Rohre, die aus der Wand in den Graben ragen – sind heute nicht mehr rechts-konform. Sie wurden bei den Planungen des LHW aber außer Acht gelassen. Dort entstehen nun zusätzliche Kosten für die Gemeinde für neue Anschlüsse.

Einige Bauarbeiten am Mühlgraben müssen zudem neu ausgeschrieben werden, was die Arbeiten aktuell auf unbestimmte Zeit verzögert. Nördlich der Stadt soll ein Deich gebaut werden. Ähnlich wie im Mühlgraben selbst, wurde dort bereits gerodet, um Platz für Baumaschinen zu machen. An beiden Stellen kehrt die Vegetation dank Baustopps mittlerweile zurück. Und die wird weitere Kosten für neue Beräumungen nach sich ziehen.

Auch Zukunft des Wehres unklar

Rund zwei Jahre nach Baustart ist in Krottorf noch vieles offen. Wann am Mühlgraben selbst wieder gebaut wird, ist noch unklar. Ähnlich sieht es beim geplanten Deich aus. Weiterhin diskutiert wird die Zukunft des Wehres, südlich des Mühlgrabens. Dort soll eine Fischaufstiegsanlage gebaut werden. Bei den Naturschützern der IG Bode-Lachs schrillen die Alarmglocken. Sie hatten sich bereits umfassend mit der Fischtreppe in Dessau-Roßlau befasst, die nur eingeschränkt funktioniert und sich deswegen im Schwarzbuch vom Bund der Steuerzahler wiederfand.

Der LHW kündigte für Krottorf an, sich nicht auf die Planungen aus 2005 zu berufen, sondern aktuelle Erkenntnisse zum Thema ökologische Durchgängigkeit zu berücksichtigen und den Fischaufstieg zu prüfen. Die Gewässerschützer fordern, das Wehr durch eine Sohlgleite zu ersetzen, wie sie in den hauseigenen Fachplanungen des LHW zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie als Vorzugslösung ausgewiesen wird. Eine ähnliche Lösung wurde kürzlich auch nach dem Abriss des Bodewehrs in Oschersleben umgesetzt.

Naturschützer wollen Artenvielfalt des Mühlgrabens erhalten

Der Vorteil aus Sicht der Naturschützer: Die Sohlgleite würde deutlich weniger in die Wasserlandschaft eingreifen, wäre wartungsarm und für Fische in beide Richtungen passierbar. Diese ökologische Durchlässigkeit ist das erklärte Ziel der europäischen und deutschen Vorgaben für den Gewässerschutz. "Warum die hauseigenen Fach-Planungen immer wieder ignoriert werden, wurde vom LHW bis heute nicht plausibel beantwortet", sagt Heimo Reilein von der IG Bode-Lachs.

Ein Fischabstieg am Bode-Wehr ist demnach ebenfalls nicht vorgesehen. Ob und welche Fische sich über die Wehr-Oberkante in die Tiefe fallen lassen und von dort unversehrt abwärts wandern könnten, sei bisher noch nie wissenschaftlich untersucht oder belegt worden. Die Naturschützer drängen deshalb auf eine Lösung im Hochwasserschutz, die die vorherige Artenvielfalt im Mühlgraben von Krottorf gewährleistet.

MDR (Max Hensch, Annekathrin Queck)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 11. Oktober 2023 | 15:30 Uhr

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