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Im Video: Flüsse müssen durchgängig werden, das gibt die europäische Wasserrahmenrichtlinie seit 24 Jahren vor. Eilig hat es Sachsen-Anhalt dabei offenbar nicht. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Naturschutz Wie alte Wehre die Flüsse verstopfen

19. April 2024, 13:01 Uhr

In Sachsen-Anhalts Flüssen gibt es mindestens 2.000 Wehre. Viele davon erfüllen heutzutage keinen Zweck und hätten schon längst abgerissen werden müssen, appellieren Naturschützer in einem offenen Brief an Umweltminister Willingmann. Das Ministerium relativiert und kündigt Rückbau an. Zeitgleich plant es mit einem neuen Wassergesetz mehr Stauanlagen.

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Heimo Reilein und Ekard Reinhardt blicken von einer Brücke in die Bode
Heimo Reilein und Ekard Reinhardt blicken auf die Bode. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Heimo Reilein und Ekard Reinhardt stehen auf einer Kiesbank mitten in der Bode bei Oschersleben. In circa 100 Meter Entfernung ragte einst ein Wahrzeichen der Börde-Stadt, das alte Bodewehr aus dem Wasser. Bis in die 1970er-Jahre war hier eine Wasserkraftanlage. Einen Neu- beziehungsweise Umbau verhinderten die Naturschützer in Zusammenarbeit mit dem NABU. "Hier lag kein Wasserrecht mehr vor. Und solche Stauanlagen sind ökologisch hochproblematisch", sagt Reilein, der kurz vor dem ehemaligen Wehr-Bereich sogar Jungtiere bedrohter Fischarten findet. "Da geht jedem Naturschützer das Herz auf, man sieht wie, der Fluss sich selbst die Natur hier wieder zurecht baut".

Bode-Wehr in Oschersleben
Das Bodewehr steht nicht mehr in Oschersleben. Bildrechte: imago/Frank Drechsler

Wissenschaftler fordern Rückbau von Wehren

Alte Wehranlage am Fluss Bode
Ekard Reinhardt hat den Lebensraum der Fische im Blick. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Durchgängigkeit schaffen, also der Rückbau menschengemachter Blockaden in Gewässern, ist ein zentrales Ziel der europaweiten Bemühungen, die Qualität der Flüsse zu verbessern. Nach EU-Vorgaben sollen bis 2027 alle Oberflächengewässer in einem guten chemischen und ökologischen Zustand sein. Sachsen-Anhalt hängt hier deutlich hinterher. Gründe sind etwa Einträge von Düngern und Bodenmaterial aus der Landwirtschaft, Abwasser von Großindustrien, zu geringe Wassermengen in Folge von Trockenheit, und eben auch unnütze Blockaden in den Flüssen und Bächen des Landes, wo all das zusammenkommt.  

Zahlreiche Fischarten sind darauf angewiesen, Gewässer auf dem Weg zu Laichplätzen leicht durchqueren zu können. Die IG BodeLachs e.V., für die Reilein und Reinhardt aktiv sind, kritisiert im Besondern das Anstauen der Flüsse für Wasserkraftanlagen als häufig tödliches Hindernis für Fische und beruft sich auf ein Memorandum von Fachwissenschaftlern, das davon ausgeht, dass es in Deutschland rund 7.800 kleine Wasserkraftanlagen gibt, die keinen nennenswerten Beitrag zur Stromversorgung leisten und im Sinne des Umweltschutzes zurückgebaut werden sollten.

Ministerium reagiert auf Kritik

Die Naturschützer der IG BodeLachs verweisen in ihren Forderungen auf Paragraph 40 im Wasserhaushaltsgesetz des Landes, der den Rückbau der Stauanlagen in Sachsen-Anhalt regelt.

Paragraph 40 Wasserhaushaltsgesetz (4) Für Stauanlagen, die vor dem 8. September 1993 errichtet worden sind und deren wasserrechtliche Zulassung nicht nachgewiesen worden ist und für die die Eigentümer oder Nutznießer bis zum 31. Dezember 1999 die erforderliche Gestattung (Bewilligung, Erlaubnis) nicht bei der Wasserbehörde beantragt hatten, führt die Wasserbehörde das Verfahren von Amts wegen durch.

Diese Kriterien treffen laut Reilein auf viele Anlagen in Sachsen-Anhalt zu. Passiert sei aber zu wenig. Das Landes-Umweltministerium widerspricht nicht, relativiert aber: "Nicht für alle Stauanlagen ist eine wasserrechtliche Zulassung erforderlich (…) In den letzten Jahren sind mit Unterstützung des Landes oder durch das Land 130 Stauanlagen zurückgebaut oder angepasst worden. Ihre ersatzlose Entfernung ist nicht immer möglich. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Anlagen notwendig sind, um den Gebietswasserhaushalt zu stabilisieren, sie dem Hochwasserschutz dienen, sie aus Gründen des Naturschutzes erforderlich sind oder Anforderungen des Denkmalschutzes dem entgegenstehen. (…) Das Land hat durch § 40 WG LSA keine Ermächtigung, Stauanlagen Dritter zu entfernen. (…)"

Aber wie viele überflüssige Wehre stehen nun in Sachsen-Anhalt und wie viele müssten eigentlich abgerissen werden? Dazu machen weder Fachbehörde noch Ministerium genaue Angaben. Klar ist, in Sachsen-Anhalt gibt es mindestens 2.000 Wehre, die Bestandsaufnahme ist noch nicht abgeschlossen. Und das Land will weiter zurückbauen, verweist jedoch auf teils schwierige Rechtslagen und auf Interessen der Eigentümer der Stauanlagen.

Künftig neue Stauanlagen im Land geplant

Armin Willingmann (SPD), Wissenschaftsminister von Sachsen-Anhalt
Umweltminister Willingmann (SPD) interpretiert die Vorgaben so, dass bis 2027 noch keine Umsetzung erfolgt sein muss. Bildrechte: picture alliance/dpa | Ronny Hartmann

Unmöglich, jetzt noch das nötige Tempo beim Rückbau zu erreichen, um die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie einhalten zu können. Das Land interpretiert die EU-Vorschrift, die Gewässer bis 2027 auf Vordermann zu bringen, indes neu. Umweltminister Armin Willingmann (SPD) sagte MDR SACHSEN-ANHALT in einem Interview: "Wir wollen relativ viel auf den Weg bringen, was die Wasserrahmenrichtlinie betrifft. Aber wir verstehen sie so, dass die Dinge bis 2027 auf den Weg gebracht werden müssen. Sie werden bis dahin mit Sicherheit noch nicht erfüllt sein. (…) Wir müssen ganz schlicht feststellen, dass in der ganzen Bundesrepublik Schwierigkeiten bestehen mit dem Endtermin der Wasserrahmenrichtlinie, also dem Jahr 2027 (…)."

In der Novelle des Landes-Wassergesetzes plant Willingmann an einigen Stellen im Land sogar künftig mehr zu stauen, um Landwirtschaft und Wirtschaft für Trockenperioden zu rüsten: "Ich halte sehr viel von pragmatischen Lösungen. Ich finde es vernünftig, wenn wir hier miteinander ins Gespräch kommen. Aber ich will ganz deutlich sagen: Es gibt evidente Interessen, dass wir an dieser Stelle mehr Rückhalt von Wasser in der Fläche ermöglichen. Und das muss dann auch im Spannungsverhältnis mit dem Verhältnis mit dem Naturschutz gelöst werden."

Bode bei Oschersleben
Der Fluss Bode kann sich in Oschersleben wieder etwas besser entfalten. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Streit um Oscherslebener Wehr geht weiter

Das neue Wassergesetz wird nicht der einzige Reibungspunkt mit den Naturschützern bleiben. Das wird auch am ehemaligen Wehr in Oschersleben deutlich. Der Abriss hat hier nachweislich die Hochwassersituation und den Lebensraum für Tiere und Pflanzen verbessert, da sind sich alle Seiten einig. Nach dem Abriss sollte der Abschnitt der Bode bei Oschersleben allerdings renaturiert werden. Das heißt, es sollten Brut- und Laichplätze für Vögel und Fische geschaffen werden. Von den einst versprochenen Maßnahmen ist jedoch nichts zu sehen, der zuständige Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW) änderte die Pläne während der laufenden Arbeiten. Statt Bäumen, die in den Fluss ragen, wurde etwa neuer Kies eingetragen. Für die IG BodeLachs ist das kein adäquater Ersatz und ein Rechtsbruch, da man die Maßnahmen eigentlich klar vereinbart hätte. Das Umweltministerium schreibt:

Texttafel: Der LHW hat wegen der notwendigen Änderungen beim LVwA eine Änderung des Planfeststellungsbeschlusses zum Rückbau des Oschersleber Bodewehrs beantragt, das den Planfeststellungsbeschluss entsprechend geändert hat und alternative Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen festgelegt hat. Der geplante Einbau von Bäumen zur Unterstützung der Mäandrierung des Gewässers (Rauhbäume) mit dem Ziel der Habitverbesserung, wurde in Abstimmung mit der unteren Naturschutzbehörde, der oberen Wasserbehörde im LVwA und dem Anglerverein Oschersleben/Bode und Umgebung e.V. durch eine Kieseinbringung zur Habitatverbesserung ersetzt.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ist das so? Heimo Reilein ist neben der IG BodeLachs auch im Anglerverein Oschersleben aktiv und weist die Aussage des Ministeriums strikt zurück. Seiner Meinung nach sind fest vereinbarte Vorhaben aus der Planfeststellung nicht umgesetzt worden. Einen Vorort-Termin oder eine Beratung jeglicher Art habe es nie gegeben. Auch die Anfrage beim Landesverwaltungsamt ergibt, eine Zustimmung gab es dort nie, die Unterlagen sind nicht eingetroffen. Ein Grabenkampf um die Bode, der auch flussabwärts, wo das Sodawerk bei Staßfurt Abwasser einleitet, mittlerweile vor Gericht gelandet ist.

Heimo Reilein, Gewässerwart und stellvertretender Vorsitzender des Angelvereins Oschersleben sowie Vorsitzender der Interessengemeinschaft Bodelachs, zieht einen Fisch aus dem Wasser der Bode, den er mit einer Fliegenrute gefangen hat.
Heimo Reilein beim Angeln in der Bode Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Klaus-Dietmar Gabbert

MDR (Max Hensch, André Plaul)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 17. April 2024 | 19:00 Uhr

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