Naturschützer klagen Gerichtsstreit um Abwasser vom Sodawerk Staßfurt in der Bode

31. August 2023, 14:23 Uhr

Der Zustand der Bode bei Staßfurt ist schlecht. Seit Jahren streiten sich Naturschützer, Behörden und Unternehmen um den richtigen Umgang mit dem Fluss, nun auch vor Gericht. Auslöser des Streits ist Abwasser, das das Sodawerk Staßfurt in die Bode einleitet.

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Soda aus Staßfurt hat Tradition. Seit mehr als 140 Jahren wird an der Bode der Grundstoff produziert, der etwa in der Glasproduktion, der Pharma- oder Lebensmittelbranche wichtig ist. Der heutige Betreiber CIECH Soda Deutschland beschäftigt rund 500 Menschen im Werk, ist Wirtschaftsmotor und wichtiger Steuerzahler in Staßfurt. Um die 500.000 Tonnen Soda im Jahr – das entspricht rund acht Prozent der europäischen Gesamtmenge – werden im sogenannten Ammoniak-Soda-Verfahren produziert.

Doch bei diesem Prozess entsteht fast zu gleichen Teilen salziges Calciumchlorid als Endprodukt, das entsorgt werden muss. Zudem fällt auch Abwasser an, das laut Messungen des Landesverwaltungsamts in den vergangenen Jahren immer wieder Grenzwerte überschritten hat, etwa für zu viel Phosphor, Ammonium oder auch Quecksilber.

Zustand der Bode stark verschlechtert

Durch jahrelange Einleitung von Abwasser des Sodawerks in die Bode hat sich der Zustand der Flusses um Staßfurt stark verschlechtert. Da sind sich Gutachten von Naturschützern, vom Landesamt für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft und unabhängige Sachkundige einig. Der Bestand in Pflanzen- und Fischarten ist deutlich geschrumpft.

So heißt es in einem Gutachten des Landesamts bereits 2013: "Der Haupteinleiter Sodawerk Staßfurt macht das Erreichen des Bewirtschaftungszieles […] unter den Gesichtspunkten der Salzbelastung, der Ammonium- bzw. Ammoniakbelastung sowie der daraus resultierenden Belastung des Sauerstoffhaushaltes unmöglich." (Ingenieurbüro Ellmann / Schulze GbR, im Auftrag des LHW, 2013)

Schärfere Auflagen für chemische Einleitungen angeregt

Mike Beyer vom Sportfischerverein in Staßfurt sagt: "Hier ist der Fluss im Prinzip fischfrei." Man sehe bei niedrigem Wasserstand an der Struktur des Bodens, der Pflanzen, dass etwas nicht in Ordnung sei. Manchmal sei das Wasser milchig, gelb oder rieche schlecht.

Seit Jahrzehnten wurden schärfere Auflagen für die chemischen Einleitungen angeregt. Die Lage der Bode hat sich seither jedoch nicht bedeutend gebessert. Unter anderem wurde mehrfach über eine kilometerlange Pipeline für belastetes Abwasser in Richtung Elbe oder Saale diskutiert. Die beiden Flüsse führen deutlich mehr Wasser als die Bode, Einleitungen hätten somit einen geringeren Effekt.

Das Unternehmen CIECH hatte erklärt, die Investition wäre ohne finanzielle Hilfe nicht bezahlbar. Das zuständige Landesverwaltungsamt hatte die Idee aufgrund unkalkulierbarer Kosten nicht weiterverfolgt.

Auflagen für das Sodawerk

Im Juni 2021 hatte CIECH eine neue, unbefristete Einleitungsgenehmigung für Abwasser in die Bode beantragt. Umweltverbände schlugen Alarm und sprachen von hohen Belastungen für die Natur. Das Landesverwaltungsamt entschied letztlich, die Genehmigung auf acht Jahre zu beschränken und mehrere Auflagen zu verhängen. Dazu gehört, dass CIECH, vor allem wenn die Bode im Sommer weniger Wasser führt, weniger Chlorid und Ammonium in die Bode leiten darf.

Gegen einige Auflagen geht das Unternehmen juristisch vor, muss sich aber für die Dauer des Verfahrens an die Vorgaben halten. CIECH und auch der Konkurrent Solvay aus Bernburg waren wegen einer ähnlichen Problematik kürzlich vor dem Oberverwaltungsgericht gescheitert.

Klagen von mehreren Umweltverbänden

Auch mehrere Umweltverbände klagen. Sie zweifeln an, dass die Auflagen des Landesverwaltungsamtes ausreichen, um die Bode wirklich zu schützen. Der BUND und der Landesanglerverband (LAV) klagen gemeinsam in zwei Fällen. Eine Klage richtet sich gegen eine sogenannte artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung. "CIECH hat praktisch die Erlaubnis erhalten, Arten zu töten", sagt Anja van der Molen-Stolze, Geschäftsführerin des LAV. Konkret geht es um die Gefährdung mehrerer geschützter Libellenarten sowie um das Bachneunauge, eine Fischart. Nach einem ersten Gerichtstermin am Dienstag, bei dem das anstehende Verfahren besprochen wurde, zeigte sich BUND-Landesgeschäftsführer Kunz zufrieden.

Im zweiten Fall haben LAV und BUND die Einleitgenehmigung an sich beklagt. Nach Zahlen des Anglerverbands hat sich die Menge an Wasser, das durch die Bode fließt, seit 1990 nahezu halbiert, was die Probleme durch das konzentrierte Abwasser verschärfe. Sollten die Umweltverbände Recht bekommen, müsste das Landesverwaltungsamt die Auflagen für das Sodawerk grundlegend überarbeiten.

Auch die Vereine IG "BodeLachs" und "Wanderfische ohne Grenzen" klagen. In einem Statement der IG heißt es, das Problem der Einleitungen in Staßfurt sei jahrelang bekannt. Negative Auswirkungen wie Fischsterben sprächen eine eindeutige Sprache. "Ziel ist nicht die Schließung des Haupteinleiters, sondern die Durchsetzung von Technologien zur umweltverträglichen Aufbereitung der Industrieabwässer, so wie es andernorts bereits seit Jahren praktiziert wird", heißt es im Statement.

Ab 2027 drohen Strafzahlungen bei schlechtem Zustand der Gewässer

Die Naturschützer brauchen wahrscheinlich einen langen Atem und erhebliche finanzielle Mittel für die Prozesse. Die Verfahren werden von umfangreichen wissenschaftlicher Stellungnahmen flankiert und sich wohl über Jahre hinziehen.

Ab 2027 kann es auch teuer für die Steuerzahler werden. Denn laut EU-Richtlinien sollen alle Gewässer im Land spätestens dann in einem guten ökologischen Zustand sein. Sonst drohen Strafzahlungen. In Anbetracht der wenigen Gewässer, die die Standards aktuell erfüllen, haben Umweltexperten und die Anwälte von CIECH zuletzt betont, dass ein Einhalten der Ziele unwahrscheinlich sei.

CIECH schreibt in einer aktuellen Anfrage: "Dank der ständigen Modernisierung unserer Anlage optimieren wir die Wasserwerte und reduzieren darüber hinaus das entnommene Wasser aus der Bode." Diese Maßnahmen harmonierten mit der Wasserrahmenrichtlinie der EU und der "Erhaltung der Bode als fischreiches und sauberes Biotop".

Max-Planck-Institut forscht an Lösung

Das Max Planck-Institut (MPI) in Magdeburg forscht indes an einem Verfahren, das tatsächlich einen Unterschied machen könnte. Bis 2025 soll eine Pilotanlage in Staßfurt Soda im sogenannten CODA-Verfahren produzieren.

Das CODA-Verfahren

Die CODA-Methode (CODA steht für Carbon-negative soda ash) steckt in der Grundlagenforschung, könnte aber laut MPI ohne Abbau von Kalkstein, ohne Kohle und Ammoniak auskommen. Zudem würde CO2 aus der Luft gebunden und chloridhaltige Abwässer gäbe es nicht mehr.

Laut MPI hängt die Rentabilität des CODA-Verfahrens am Strompreis. Nach jetzigem Kenntnisstand würden übliche Börsenstrompreise zwischen 50 und 100 Euro/MWh einen ökonomischen Betrieb der CODA-Prozessvarianten ermöglichen, wenn die Produkte zu den bisherigen Marktpreisen vertrieben werden könnten – auch, weil CO2-Zertifikate verkauft werden könnten.

Das MPI schätzt, dass 2025 nach Abschluss des CODA-Projektes eine Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine solche Produktionsanlage vorliegt. Die aktuell Prognose ist, dass es ab 2035 möglich sein könnte auch große Soda-Produktionen komplett auf das CODA-Verfahren umzustellen.

MDR (Max Hensch, Tom Gräbe, Hannes Leonard)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 29. August 2023 | 17:00 Uhr

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