Kommentar zu Lehrerprotesten Warum die Zukunft von Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt bedroht ist
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16. Februar 2023, 08:05 Uhr
Die Situation an vielen Schulen in Sachsen-Anhalt ist dramatisch. Personal fehlt, ist krank oder überarbeitet. Lehrer gingen diese Woche in Halle und Magdeburg auf die Straße. Bei den Protesten ging es um die eine Wochenstunde mehr Unterricht. Es zeigt sich immer mehr, dass Sachsen-Anhalts Bildungssystem knapp vor einem Multiorganversagen steht.
- Die ständigen kleinen Reformen am Bildungssystem in Sachsen-Anhalt treiben viele Lehrer auf die Straße.
- Eine grundlegende Reform der Bildungspolitk könnte die Schulen im Land zu besseren Orten machen.
- Die Ausbildung von Lehrern oder Lehrerinnen sollte stärker an Inhalten ausgerichtet sein.
"Die Kinder können einem leidtun. Nur noch alte Leute in den Klassen." Das sagte eine der demonstrierenden Lehrerinnen und Lehrer in Magdeburg. Die von der Landesregierung verordnete eine Stunde Mehrunterricht pro Woche war sicherlich der Anlass für die Proteste, doch die Ursachen sind vielfältiger.
Hörte man den Demonstrierenden zu, so war es weniger Wut, die da die Pädagogen auf die Straße trieb, sondern vielmehr Resignation. Von fehlender Wertschätzung war oft die Rede, und da waren nicht die Schülerinnen und Schüler im Blick, sondern die Verantwortlichen für die Bildungspolitik im Land. Ein hoher Krankenstand sowie der starke Trend, früher in Rente zu gehen, zeigt, dass Sachsen-Anhalts Schulen offenbar kein guter Arbeitsort sind.
Begeistern Schulen für das Lernen?
Doch sind Sachsen-Anhalts Schulen ein guter Lernort? Auch das muss bezweifelt werden. Demotiviertes pädagogisches Personal wird wohl kaum Schülerinnen und Schüler für das Lernen begeistern können. Dass im letzten Jahr mehr als jeder zehnte in Sachsen-Anhalt die Schule ohne Abschluss verlassen hat, ist ein deutliches Zeichen für Schulversagen und zwar auf beiden Seiten der Schulbank.
Wenn mehr als 2.000 junge Leute ohne berufliche Perspektive "ins Leben entlassen werden", kann man kaum von einem funktionierenden Bildungssystem sprechen, zumal andere Bundesländer zeigen, dass es besser geht. Mit einem verstärkten Ausbau der Ganztagsbetreuung hat sich Sachsen-Anhalt frühzeitig für den richtigen Weg entschieden, die Rückständigkeit bei der Digitalisierung beschert dem Land hingegen regelmäßig Plätze im Tabellenkeller der Bildungsrankings.
Resignation unter den Schülern?
Spricht man mit Schülerinnen und Schülern, so hört man auch dort nicht selten Resignation heraus. Es passiert nicht selten, dass angekündigte Klassenarbeiten oder Tests ausfallen, weil das Lehrpersonal erkrankt oder anderweitig nicht verfügbar ist. Als Lerneffekt stellt sich unter solchen Bedingungen schnell die Erkenntnis ein, wer sich anstrengt, ist der Dumme.
Mitunter vergehen Wochen, bis der Test schließlich nachgeholt werden kann. Verlässlichkeit gehört zu jenen Tugenden, die hierzulande eine hohe Wertschätzung genießen. Diese Verlässlichkeit können Sachsen-Anhalts Schulen derzeit nicht bieten – und zwar weder für die Schülerinnen und Schüler, noch für die Eltern und auch nicht für das Lehrpersonal.
Lehrerausbildung an Inhalten ausrichten
Aber auch die Lehrerausbildung scheint dringend einer Revision zu bedürfen. Statt über Standorte zu debattieren, wäre es wichtiger, die Inhalte zu hinterfragen. Seit Jahren beklagen junge Menschen, die Ausbildungsgänge an den Universitäten seien zu weltfremd, praxisfern und hätten sich vom aktuellen Schulalltag entkoppelt. Neue Unterrichtsformen wie Blended Learning, also die Verknüpfung von Online-Angeboten und Präsenzunterricht, selbstorganisiertes Lernen oder Ideen zur Förderung der Lernbereitschaft finden nur schwer Eingang in Sachsen-Anhalts Unterricht.
Doch während man sich in den akademischen Höhen noch im Abendlicht einer versinkenden Bildungsidee sonnt, nimmt die Bildungswirklichkeit darauf kaum Rücksicht. Künstliche Intelligenz, wie zum Beispiel das Programm ChatGPT, wird in den nächsten Jahren den Schulalltag stärker ändern, als seinerzeit die Einführung des Taschenrechners.
Torsten Wahl vom Verband Bildung und Erziehung Sachsen-Anhalt räumte unlängst ein, dass es bislang kaum konkrete Überlegungen zum Einsatz der KI an Schulen gebe. Spätestens seit ChatGPT stellt sich die Frage, welche Inhalte denn Schulen noch vermitteln sollen. Übrigens ist das keine neue Erfahrung, denn auch das Herstellen von Steinäxten hat die Menschheit verlernt, ein Rückschritt war das aber wohl nicht.
MDR (Uli Wittstock, Hannes Leonard)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. Februar 2023 | 19:00 Uhr
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