Bildungspolitik in der Krise Anonymer Brief wirft schlechtes Licht auf Bildungsministerium
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19. Januar 2023, 10:19 Uhr
Der Lehrermangel in Sachsen-Anhalt wird zur Chefsache – bei einem Bildungsgipfel am Donnerstag in der Staatskanzlei. Wenige Stunden zuvor sorgt ein anonymer Brandbrief mit Kritik an der zuständigen Ministerin für Schlagzeilen. Die Verfasser sind nach eigenen Angaben Beschäftigte des Ministeriums.
Eine Seite DIN A4, eng beschrieben und politischer Sprengstoff: Das Bildungsministerium steht in der Kritik – nicht von der Opposition, den Gewerkschaften oder Verbänden, sondern mutmaßlich durch die eigenen Mitarbeiter. Ein anonymes Schreiben, das MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt und über das am Donnerstag auch die Volksstimme berichtet, trägt die Überschrift: "Wir haben Angst". 75 Prozent der Mitarbeiter sind demnach mit Betriebsklima und Zusammenarbeit unzufrieden. Die Glaubwürdigkeit der im Brief geäußerten Vorwürfe wurde MDR SACHSEN-ANHALT von verschiedenen Beschäftigten aus dem Ministerium bestätigt.
Das Schreiben kommt für Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Am Donnerstagnachmittag treffen sich in Magdeburg mehr als 40 Vertreter von Verbänden zu einem Bildungsgipfel, zu dem die Landesregierung eingeladen hat. Dabei sollen die großen, akuten Probleme des Bildungssystems besprochen werden. Seit 2018 leitet Eva Feußner die Geschicke des Bildungsministeriums – erst als Staatssekretärin unter Bildungsminister Marco Tullner, seit der Landtagswahl 2021 als Ministerin. Ihr Führungsstil: offenbar nicht ganz unumstritten.
Zuletzt äußerten Mitarbeiter und Personalrat in einer Mitarbeiter-Versammlung im November des vergangenen Jahres offen Kritik an Feußner und der Haus-Leitung. Die Vorwürfe aus dem anonymen Schreiben: ein Betriebsklima voller Angst. Mitarbeiter würden sich laut dem Schreiben, das auch offenbar der Staatskanzlei vorliegt, nicht trauen, kritische Anmerkungen schriftlich zu vermerken. Aus einer dem Brief beigefügten Präsentation des Personalrats geht hervor: 75 Prozent der Mitarbeiter stehen "Stimmungen u.a. zur Zusammenarbeit, zum Arbeitsklima und zur Umstrukturierung im BM" (gemeint ist das Bildungsministerium) mit Ablehnung gegenüber. Die Angst der Mitarbeiter sei groß, zur "Zielscheibe" zu werden, so das Schreiben.
Anerkannte Beamtin ins Abseits gestellt?
Die anonymen Verfasser werfen der Haus-Leitung des Bildungsministeriums "sinnfreie" und "unabgestimmte" Umstrukturierungen im Bildungsministerium vor. Hinweise von Beschäftigten des Ministeriums, die anonym bleiben wollen, bestätigen MDR SACHSEN-ANHALT, dass die Umstrukturierung durch den Büroleiter der Ministerin dafür verantwortlich sei. Der ehemalige Finanz-Referent der CDU-Fraktion des Landtages strukturiert offenbar im Auftrag der Ministerin das Haus seit einigen Monaten um.
Unter anderem soll hierbei eine ehemalige Staatssekretärin, die nun Abteilungsleiterin im Ministerium ist, aus ihrem Posten entfernt worden sein. Dabei handelt sich um Anne Poggemann (CDU), die bereits Staatssekretärin im Innenministerium war. Sie gilt nach MDR SACHSEN-ANHALT-Recherchen parteiübergreifend als versierte und fleißige Juristin, die in beiden Ministerien fachlich wie menschlich geschätzt wird. Derzeit ist die Stelle unbesetzt.
Kritik an hoher Arbeitsbelastung
Auch eine ungewöhnlich kurzfristige Ausschreibung einer Stabsstelle zwischen Weihnachten und Silvester mit einem Bewerbungs-Zeitraum von drei Werktagen mit sehr detailliertem Bewerber-Profil wird in dem anonymen Schreiben kritisiert. Nach MDR SACHSEN-ANHALT-Informationen war hierfür der Schulleiter des internationalen Gymnasiums in Barleben im Gespräch. Dieser zog jedoch seine Bewerbung offenbar kurzfristig zurück. Mitarbeiter des Bildungsministeriums kritisieren anonym gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT, dass zeitgleich wichtige Sachbearbeiter-Stellen über zwei Jahre hinweg nicht ausgeschrieben werden.
Kritik gibt es auch an der hohen Arbeitsbelastung der Mitarbeiter. Die Verfasser des anonymen Briefes und Mitarbeiter, die sich an MDR SACHSEN-ANHALT gewandt haben, kritisieren: Selbst ein Krankenschein sei keine Garantie dafür, der Arbeit fern bleiben zu können. Die Haus-Leitung übe Druck auf die Mitarbeiter und Beamten aus, Krankenstand und Urlaub außer Acht zu lassen und trotzdem zur Arbeit zu erscheinen. Von einer rechtlich unhaltbaren Verletzung der Fürsorgepflicht ist im Schreiben die Rede.
Lähmt mangelnde Digitalisierung die Behörde?
Mit viel Aufwand und Kosten hat das Ministerium die elektronische Akte eingeführt. Mitarbeiter berichten jedoch gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT, dass gerade in der Haus-Leitung die Verwendung der e-Akte zu Bedienungsfehlern und in einigen Fällen zum Verlust von Unterlagen geführt hat. Die Benutzung der elektronischen Akte sei im Ministerium mittlerweile versandet, da die Haus-Leitung weiterhin auf Papier besteht, heißt es im Schreiben.
Gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT beschreibt ein Mitarbeiter die aktuelle Lage mit den Worten: "Es herrscht Chaos." Die anonymen Verfasser des Schreibens fordern die Absetzung der Ministerin und werten den als Chefsache des Ministerpräsidenten ausgerufen Bildungsgipfel als guten ersten Schritt.
Reaktionen auf den anonymen Brief
Mitglieder des Personalrates wollen auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT die Vorwürfe gegen die Haus-Leitung weder dementieren noch bestätigen. Das Schreiben selbst sei nicht bekannt, die Mitarbeiter-Versammlung im November habe es jedoch gegeben. Themen, die dort von Beschäftigten angesprochen wurden, sollen zunächst mit der Haus-Leitung intern besprochen werden. Das Bildungsministerium und die Staatskanzlei wollten sich auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT am Mittwoch nicht zum Vorfall äußern. "Die Staatskanzlei beschäftigt sich grundsätzlich nicht mit anonymen Schreiben", so Regierungssprecher Matthias Schuppe gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT.
MDR (Lars Frohmüller, Luca Deutschländer)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. Januar 2023 | 12:00 Uhr
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