Kommentar Corona und die Medien — ein selbstkritischer Rückblick
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18. März 2023, 15:23 Uhr
Corona war für viele Menschen in Deutschland eine sehr einschneidende Erfahrung. Zumindest in der alten Bundesrepublik dürfte es wohl keine zweite Situation gegeben haben, in welcher der Staat so tief in die Freiheitsrechte der Bürger eingriff, meint Autor Uli Wittstock. Inzwischen seien fast alle Einschränkungen aufgehoben. Doch eine Aufarbeitung findee derzeit kaum statt. Stattdessen habe ein merkwürdiges Schweigen das Land befallen. Ein selbstkritischer Rückblick.
- Beim Umgang mit den Corona-Maßnahmen der letzten drei Jahre herrscht mittlerweile eine merkwürdige Stille, sagt unser Autor.
- Der Ausnahmezustand hat die Berichterstattung dominiert. Das ist logisch, doch die Krisennachrichten seien auch die Grundlage für politische Eingriffe gewesen.
- Nachholbedarf sieht unser Autor beim Umgang der Medien mit Desinformation und auch beim Umgang der Menschen miteinander.
Sachsen-Anhalt war ein Spätzünder in Sachen Corona. Während anderswo schon die Gesundheitsämter unter Dauerstress standen, wurde hierzulande noch gewitzelt, nach dem Motto, der Sachsen-Anhalter sei wohl besonders abgehärtet. Wer Buna und Leuna überlebt habe, der werde auch vom Virus nicht aus der Bahn geworfen.
Die Nachricht vom ersten Corona-Fall in Sachsen-Anhalt war längst geschrieben, nur noch Ort und Datum mussten eingetragen werden. Nachrichtenredaktion und Reporter waren vorbereitet, bis es dann am 10. März schließlich so weit war. Als letztes Bundesland meldete Sachsen-Anhalt an diesem Tag den ersten Corona-Fall. Sechs Tage danach schlossen deutschlandweit alle Schulen und Kindergärten.
Schweigen und weiter so?
Drei Jahre später hat das Land eine merkwürdige Stille bei diesem Thema befallen, wie nach einer schlechten Party, die im Streit endete: Am nächsten Morgen werden die Scherben zusammengekehrt, aber niemand redet darüber, um die Diskussion nicht erneut zu befeuern.
Dabei hat die Pandemie uns viel abverlangt. Menschen verloren Angehörige und Freunde. In Sachsen-Anhalt sind etwa 5.000 Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Es wurden rund 1,6 Millionen Menschen geimpft und nach Angaben des Landesverwaltungsamtes gingen 200 Anträge auf Anerkennung von Impfschäden ein, vier davon wurden bislang bestätigt.
Hinzu kommen Freundschaften, die zerbrachen, Familienstreitigkeiten, die nur mühsam befriedet sind und zudem auch noch die eine oder andere Geschäftsaufgabe. Schweigen, Misstrauen, Vertrauensverlust — das sind nichtmedizinische Folgen der Pandemie.
Berichterstattungspflicht und einer übertriebenen Sensationslust
Mann beißt Hund: So heißt ein altes Sprichwort der Nachrichtenwelt, welches die Auswahlkriterien für aktuelle Meldungen umreißt. Dass es in Sachsen-Anhalt erneut kein Erdbeben gegeben hat, ist keine Mitteilung wert, da sie den Normalfall beschreibt. Somit ist klar, dass Covid-19 sofort eine große Rolle in der Berichterstattung auch im MDR-Landesfunkhaus spielte, zumal so ziemlich jeder und jede im Sendegebiet davon betroffen war. Dass sich so mancher im weiteren Verlauf der Pandemie an eine Kriegsberichterstattung erinnert fühlte mit den täglichen Zahlen über Inzidenzen, Bettenauslastung und Sterbezahlen, ist ein Vorwurf, der immer wieder erhoben wird.
Allerdings waren diese Zahlen, so zumindest die Erklärung der Krisenstäbe, die Grundlage für die umfangreichen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte. Das journalistische Ziel war also Aufklärung und Transparenz, nicht Panikmache. Es ist möglich, dass ein anderer Eindruck entstand, denn die Schlagzeilen der morgendlichen Zeitungslektüre, gefolgt von den Meldungen der Nachrichten im Radio bis hin zu den Themen der Spätausgaben im Fernsehen standen vor allem in den ersten Monaten ganz klar unter dem Eindruck des Infektionsgeschehens.
Abzuwägen zwischen der Berichterstattungspflicht und einer übertriebenen Sensationslust fällt in solchen Situationen nicht immer leicht, zumal die Medien ja auch im Wettbewerb stehen. Ein früherer Ausstieg aus dem Krisenmodus wäre vielleicht möglich gewesen. Das allerdings zu bewerten, wäre die Aufgabe der Medienwissenschaft.
Das Problem der Systemrelevanz
Im Lockdown mischten sich die sozialen Hierarchien neu. Plötzlich wurden Berufsfelder wichtig, die in Arztserien eher nur mit Nebenrollen besetzt werden, Pflegerinnen und Pfleger zum Beispiel. Als systemrelevant galten aber auch die Beschäftigten der Super- oder Baumärkte, jedoch Yogalehrerinnen, Tätowierer und Fitnesstrainer nicht. Und auch Journalistinnen und Journalisten wurden als systemrelevant eingestuft.
Eine solche Form von politischer Umarmung hat aber Nebenwirkungen, vor allem in einer Situation, in welcher der Staat mit großen Eingriffen den Alltag der Menschen ändert. Welche journalistische Unabhängigkeit kann man geltend machen, wenn zuvor die Regierenden den Medien eine Systemrelevanz bescheinigten. Monate später wurde auf Demonstrationen auch gegen eine sogenannte Systempresse gewettert. Klar ist, dass eine unabhängige Berichterstattung die zwingende Voraussetzung für demokratische Prozesse ist, sodass es sich erübrigt, dies durch den Begriff einer "Systemrelevanz" zu unterstreichen, auch und vor allem in Krisenzeiten.
Das Virus der Desinformation
Erneut zeigte sich während Corona die Macht sozialer Netzwerke. Zahlreiche echte, halbechte und leider häufig auch nur vermeintliche Expertinnen und Experten warfen ihre Netze im Netz aus und so mancher, der auf der Suche nach schnellen Antworten war, verfing sich darin.
Die wenig ermutigende Erkenntnis ist, dass es den "etablierten" Medien leider nicht gelungen ist, in diese Blasen aus Falschinformationen hineinzuwirken. Das Ausmaß an Realitätsflucht macht aber auch deutlich, wie groß die Verunsicherung in Folge der Pandemie war. Wir Journalistinnen und Journalisten müssen uns fragen lassen, ob wir diese Entwicklung unterschätzt haben.
Die Impfdebatte
Ich persönlich glaube weder an die heilende Kraft von Steinen, noch gehe ich davon aus, dass Sternzeichen in irgendeiner Form für mein Leben relevant sein könnten. Insofern habe ich auch kein Problem, mich impfen zu lassen. Wenn mir Zeitgenossen eine gewisse Wissenschaftsgläubigkeit unterstellen würden, hätte ich dem wenig entgegenzusetzen. Und bis heute bin ich der Meinung, dass die Corona-Impfungen richtig und wichtig waren.
Allerdings ist jeder Dritte in Sachsen-Anhalt ungeimpft. Die Debatte darüber spaltete Familien, Freundeskreise und auch die Arbeitswelt. Das große Versprechen, die Impfung schütze vor einer Ansteckung, hat sich jedoch nicht bewahrheitet. Damit stellt sich die Frage, ob die Impfung tatsächlich ein so solidarischer Akt war, als welcher er im Laufe der Diskussion dargestellt wurde. Trotzdem hat sie wahrscheinlich viele Leben gerettet.
Es waren aufgeregte Zeiten und man sollte im Nachhinein den politischen Akteuren keine finsteren Absichten unterstellen. Doch ist es legitim, politische Forderungen durch eine moralisierende Debatte zu befeuern, an denen auch Journalistinnen und Journalisten beteiligt waren? Wenn jemand Angst hat, sich impfen zu lassen, aus welchen Gründen auch immer, sollte man dies ernst nehmen. Auf diese Angst mit der Warnung vor sozialem Ausschluss zu reagieren, erscheint mir als der falsche Weg.
Stattdessen wäre mindestens ein gelegentlicher Blickwechsel hilfreich gewesen. "Try walking in my shoes" heißt es bei Depeche Mode, ein Song aus dem Jahr 1993, der immerhin 14 Wochen in Deutschland die Charts anführte. Aber auch für eine bessere Debattenkultur hierzulande wäre das ein passender Soundtrack.
MDR (Uli Wittstock, Lukas Kammer)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 17. März 2023 | 11:51 Uhr
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