Böhmermann-Recherche Verweigerte Anzeige zu Hass im Netz: Ermittlungsverfahren gegen Polizisten eingestellt

25. Mai 2023, 14:35 Uhr

Ein Jahr ist es her, dass das "ZDF Magazin Royale" darüber berichtetet hat, wie schleppend die Bekämpfung von Online-Hasskriminalität in Sachsen-Anhalt läuft. Eine Strafanzeige wurde von der Polizei in Magdeburg gar nicht erst aufgenommen. Der Fall sorgte für bundesweite Aufmerksamkeit – doch Konsequenzen für den betreffenden Polizeibeamten hat es bislang offenbar nicht gegeben.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Felix Fahnert
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Tamara Zieschang versuchte gar nicht erst, die Dinge zu beschönigen, als sie vor einem Jahr vor die Presse trat. Es sei ein "absolut inakzeptabler Vorgang, ein absolutes No-Go", was beim Polizeirevier in Magdeburg geschehen sei, erklärte Sachsen-Anhalts Innenministerin. Dort war eine Strafanzeige mit mehreren Fällen von Hasskriminalität im Netz, darunter eine Hakenkreuz-Darstellung und Nazi-Parolen, gar nicht erst aufgenommen worden. Vielmehr schickte ein Beamter die Person, die Anzeige erstatten wollte, wieder weg. Öffentlich gemacht hat das das "ZDF Magazin Royale" mit Moderator Jan Böhmermann.

Staatsanwaltschaft Magdeburg sieht Straftatbestand nicht erfüllt

Der Fall sorgte für bundesweite Schlagzeilen – und für Ermittlungen. Die Polizei in Magdeburg kündigte eine "umfassende Untersuchung des Sachverhalts" an und begann, gegen den Beamten wegen möglicher Strafvereitelung im Amt zu ermitteln. Ein Jahr danach zeigt sich allerdings: Gravierende Konsequenzen für den Polizisten hat es bis dato offenbar nicht gegeben. Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT erklärten Polizeirevier und Staatsanwaltschaft in Magdeburg, dass das betreffende Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei.

Oberstaatsanwalt Frank Baumgarten sagte, das Fehlverhalten des Polizisten habe keinen Straftatbestand erfüllt. Eine Strafvereitelung im Amt erfordere Vorsatz, die Verfolgung eines Täters müsse dabei aktiv verhindert werden. Das sei in diesem Fall aber nicht erfüllt gewesen. Das Verfahren sei daher bereits "zeitnah" nach Bekanntwerden wieder eingestellt worden.

Disziplinarverfahren gegen Beamten läuft noch

Abseits der strafrechtlichen Ermittlungen ist nach Angaben des Polizeireviers Magdeburg aber auch ein Disziplinarverfahren gegen den Beamten eingeleitet worden. Sprecher Stefan Brodtrück teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, das Verfahren laufe derzeit noch. Details nannte er nicht. Unmittelbar nach der ZDF-Berichterstattung habe im Magdeburger Polizeirevier zudem "eine Sensibilisierung zum in Rede stehenden Geschehen" stattgefunden. Vorgaben für den Wach- und Anzeigendienst seien darüber hinaus "expliziter und präziser" formuliert worden, alle Beamtinnen und Beamten seien dazu belehrt worden.

Parallel zum – gescheiterten – Anzeigen der Fälle bei der Polizei in Magdeburg erstattete das ZDF-Team auch schriftlich Anzeige beim Polizeirevier im Jerichower Land. Hier wurden daraufhin tatsächlich Ermittlungen eingeleitet. Allerdings stellte die Staatsanwaltschaft Stendal die Verfahren zunächst ein. Erst nach der Ausstrahlung des "ZDF Magazin Royale" nahm man im Zuge der Berichterstattung Ermittlungen in sechs von sieben Fällen wieder auf.

In drei Fällen Beschuldigte ermittelt

Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT erklärte Staatsanwalt Thomas Kramer nun, dass bei den wieder aufgenommenen Ermittlungen in drei Fällen tatsächlich Beschuldigte ermittelt werden konnten. Die Verfahren seien dann an die zuständigen Staatsanwaltschaften in Weiden (Bayern), Bielefeld (Nordrhein-Westfalen) und Osnabrück (Niedersachsen) übergeben worden.

Wie ging es mit den drei aus Sachsen-Anhalt übermittelten Fällen weiter?

Nachfragen des MDR bei den Staatsanwaltschaften in Weiden, Bielefeld und Osnabrück ergaben, dass es die Justiz in Sachsen-Anhalt vergleichsweise spät geschafft hat, Verdächtige zu ermitteln. Hintergrund ist, dass das ZDF-Team die Fälle von Hass und Hetze im Netz in allen Bundesländern zur Anzeige gebracht hat. Dadurch sind mehrere Verfahren mit den identischen Fällen bei den zuständigen Staatsanwaltschaften gelandet. Zu den drei aus Sachsen-Anhalt übermittelten Fällen liefen jeweils bereits Verfahren oder waren abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft in Bielefeld teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, das Verfahren wegen Volksverhetzung sei eingestellt worden. Möglicherweise habe eine eingeschränkte Schuldfähigkeit beim Beschuldigten bestanden, sagte eine Sprecherin. Auch die Staatsanwaltschaft in Weiden hat das Verfahren eingestellt. Hierbei ging es um den Kommentar "An die Wand stellen". Ein Sprecher sagte dem MDR, es sei nicht eindeutig, dass es sich hierbei um die Aufforderung zu einer Straftat handele, da verschiedene Auslegungsmöglichkeiten bestünden. Daher sei zugunsten des Beschuldigten entschieden worden. Die Staatsanwaltschaft in Osnabrück erklärte, in dem betreffenden Fall habe tatsächlich jüngst eine Gerichtsverhandlung stattgefunden. Der Beschuldigte wurde demnach vor rund zwei Wochen vom Amtsgericht in Lingen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verurteilt.

Änderungsbedarf im Umgang mit Online-Hasskriminalität sieht man bei der Staatsanwaltschaft Stendal unterdessen nicht. Staatsanwalt Kramer sagte, man sei schon vor Bekanntwerden der Fälle dafür sensibilisiert gewesen, angesichts der Bedeutung der Taten alle technischen Ermittlungsmöglichkeiten zu nutzen. "Deshalb bedurfte es keiner Veränderungen."

Neue Zentralstelle: Noch keine Angaben zur Anzahl der Fälle

Mit Blick auf Hass und Hetze im Netz gibt es bei Sachsen-Anhalts Justiz allerdings seit kurzem eine entscheidende Veränderung: Vor knapp drei Wochen nahm Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität bei der Staatsanwaltschaft Halle ihre Arbeit auf. Sie war im vergangenen Jahr angekündigt worden und soll die Verfolgung von Hass und Hetze im Internet bündeln. Vier Beschäftige der Staatsanwaltschaft Halle arbeiten jeweils zu 50 Prozent für die neue Zentralstelle.

Auch ein IT-Forensiker zur Sicherung digitaler Spuren soll noch eingestellt werden – die Vorbereitung für die Ausschreibung läuft nach Angaben des Justizministeriums derzeit. Weil die neue Einheit gerade erst ihre Arbeit aufgenommen hat, gibt es nach Angaben des Justizministeriums noch keine validen Angaben zur Anzahl der Fälle, die dort bearbeitet werden. Sprecher Danilo Weiser sagte, man gehe aber von einer Fallanzahl pro Jahr im drei- oder vierstelligen Bereich aus.

Polizeigewerkschaft: Hass im Netz wird ernst genommen

Beschäftigt haben die Berichte des "ZDF Magazin Royale" im vergangenen Jahr auch Olaf Sendel. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) räumt im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT ein, dass mit der Recherche ein "wunder Punkt erwischt" worden sei – der Fall habe auch intern für Gesprächsstoff gesorgt. Allerdings habe es sich um einen Einzelfall gehandelt. Sendel erklärte, das Bewusstsein für Online-Hasskriminalität habe sich bei Polizistinnen und Polizisten im Grunde nicht verändert – schließlich sei gesetzlich vorgeschrieben, wie man sich zu verhalten habe.

Olaf Sendel, Landesvorsitzender der DPolG Sachsen-Anhalt spricht in eine Mikrofon
Olaf Sendel, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Sachsen-Anhalt Bildrechte: DPolG Sachsen-Anhalt

Dem ZDF-Beitrag warf Sendel vor, dass es vor allem um Aufmerksamkeit und Einschaltquoten und weniger um die Sache gegangen sei. Bei der Polizei gebe es den "Anspruch, nichts zu bagatellisieren" und die Fälle ernst zu nehmen – auch beim Thema Online-Hasskriminalität. Weil immer mehr Kriminalität über das Internet verübt werde, befasse sich auch die Polizei stärker mit der digitalen Welt. Man könne die Aufgaben nur erfüllen, "wenn wir diese Techniken verstehen", sagte Sendel.

Innenministerium: Anzeige erstatten auch online möglich

Auch das Innenministerium erklärte auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, dass bei dem "Einzelversagen im Polizeirevier Magdeburg" kein systemisches Versagen zu erkennen gewesen sei. Sprecherin Patricia Blei betonte, dass Sachsen-Anhalts Landespolizei auch über ein Elektronisches Polizeirevier (E-Revier) verfüge. Über dieses Portal könnten Strafanzeigen über das Internet erstattet werden. Dies sei "auch für ungeübte Personen möglich", sagte Blei.

Die Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz würden laufend überprüft und gegebenenfalls angepasst. Der zuständige polizeiliche Staatsschutz arbeite unter anderem eng mit der neu geschaffenen Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft Halle zusammen, erklärte die Ministeriumssprecherin.

MDR (Felix Fahnert)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 25. Mai 2023 | 13:00 Uhr

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