Gedenkveranstaltung in Magdeburg Messergewalt und Migration: "Terrorismus hat keine Religion und keine Nationalität"
Hauptinhalt
10. September 2024, 15:29 Uhr
Fälle von Messergewalt nehmen zu. In der öffentlichen Debatte werden die Taten oft mit Migration in Verbindung gebracht. Der Syrisch-Deutsche Kulturverein aus Magdeburg spricht sich dagegen aus – und auch ein Sozialwissenschaftler aus Halle warnt vor Vorverurteilungen.
- In Deutschland wird nach dem Attentat von Solingen über Terrorismus und Messergewalt diskutiert. Auch in Magdeburg wird den Opfern gedacht.
- Oft werden diese Fälle mit Migration in Verbindung gebracht. Welche Rolle spielt die Nationalität wirklich?
- Sozialwissenschaftler Hans Goldenbaum aus Halle beklagt fehlende Differenzierung in der öffentlichen und politischen Debatte.
Ein Strauß weißer Rosen liegt auf dem grauen Asphalt. Der Himmel ist bewölkt, aber zahlreiche Kerzen flackern inmitten der Blumen, die am vergangenen Sonnabend auf dem Willy-Brandt-Platz in Magdeburg abgelegt wurden. Die Menschen haben sich zusammengefunden, um den Opfern des mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlags mit drei Toten in Solingen zu gedenken.
Der Syrisch-Deutsche Kulturverein hatte mit anderen Initiativen zur Gedenkveranstaltung aufgerufen. 150 Menschen nahmen teil und hielten Schilder hoch, auf denen zum Beispiel geschrieben stand: "Von Magdeburg bis Solingen: Unsere Solidarität ist stärker als jeder Hass!"
Saeed Saeed vom Syrisch-Deutschen Kulturverein sagte: "Wir haben in den Medien und von manchen Politikern gemerkt, dass Geflüchtete, darunter Syrer und Afghanen, unter Generalverdacht gestellt und pauschal verurteilt wurden. Deshalb haben wir uns entschieden, diese Gedenkveranstaltung zu organisieren und eine klare Botschaft zu vermitteln: Terrorismus hat keine Religion und keine Nationalität!"
"Nicht jeder Syrer oder Afghane ist ein Mörder"
Bundesweit wird über Messergewalt diskutiert – und dabei auch über Migration. Als Konsequenz auf die Messerattacke von Solingen hat sich die Bundesregierung jüngst auf Verschärfungen im Waffen- und Asylrecht verständigt. Der mutmaßliche Täter stammte aus Syrien. Bereits Mitte Juni hatte ein Messerangriff in der Kleinstadt Wolmirstedt nahe Magdeburg in Sachsen-Anhalt für Entsetzen gesorgt. Ein Mann starb durch den Angriff, drei weitere Personen wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter wurde von der Polizei erschossen. Er stammte aus Afghanistan.
"Die Medien haben sich in letzter Zeit dazu entschieden, die Nationalität des Täters zu erwähnen. Wir wollen auch deshalb ein klares Zeichen setzen, dass nicht jeder Syrer oder Afghane ein Mörder oder schlechter Mensch ist", sagt Saeed Saeed. "Wir möchten zeigen, dass auch Syrer oder Afghanen sich gut integrieren können und ein wichtiger Teil der Gesellschaft sind."
Gleichzeitig sprachen sich die Veranstalter für strengere Sicherheitsmaßnahmen aus. "Die sollten in jedem Fall verstärkt werden", sagte Saeed vom Syrisch-Deutschen Kulturverein in Magdeburg. "Auf öffentlichen Veranstaltungen sollten auf keinen Fall irgendwelche Waffen wie zum Beispiel Messer mitgenommen werden dürfen. In diese Richtung sollten die Behörden mit Maßnahmen vorgehen."
"Es gibt Auffälligkeiten in den Zahlen"
Messerangriffe werden oft mit Migranten in Verbindung gebracht. Experten zweifeln allerdings die Aussagekraft der Statistik an, ob es wirklich einen kausalen Zusammenhang zwischen Messerkriminalität und Staatsangehörigkeit gibt. Die Statistik zu Messerangriffen wird beim Bundeskriminalamt (BKA) erst seit 2021 geführt, erscheint deshalb wenig aussagekräftig.
"Es gibt Auffälligkeiten in den Zahlen", sagt Sozialwissenschaftler Hans Goldenbaum aus Halle. "Wir sehen überdurchschnittlich hoch vertreten junge Männer mit Migrationshintergrund beziehungsweise junge Männer, die zugewandert sind. Sie sind pro Kopf gerechnet überdurchschnittlich hoch in der Statistik vertreten."
Allerdings gibt Goldenbaum zu bedenken: "Unter den Zugewanderten ist der Anteil junger Männer teilweise dreimal oder viermal so hoch wie in der deutschen Bevölkerung sonst. Und junge Männer sind kriminologisch gesehen die zentrale Gruppe, die für Gewaltstraftaten verantwortlich ist. Würden mehr Großmütter und Großväter einwandern statt junger Männer, wären diese massiv unterdurchschnittlich kriminell." Also: "Es hat weniger etwas mit der Herkunft zu tun, als vielmehr mit der spezifischen demografischen Zusammensetzung der Gruppe der Zugewanderten." Junge Männer sind demnach gewaltbereiter als andere Bevölkerungsgruppen, unabhängig ihrer Nationalität.
Außerdem sei eine Fokussierung auf Taten von ausländischen Menschen zu erkennen, sagt Goldenbaum, sowohl in der medialen Berichterstattung, als auch in der subjektiven Wahrnehmung der Bevölkerung. "Es wird stärker, intensiver und häufiger über Gewaltdelikte in Verbindung von Zuwanderung berichtet, während ähnliche Gewaltdelikte unter Beteiligung von Deutschen seltener und weniger intensiv berichtet werden. Das führt noch einmal zu einer zusätzlichen Verzerrung."
Messergewalt und Terrorismus: wichtige Differenzierung
Für Goldenbaum und auch die Vertreter des Syrisch-Deutschen Kulturvereins in Magdeburg zentral: die Unterscheidung zwischen Messergewalt im Zuge von Jugendkriminalität und terroristisch motivierten Gewalttaten. Goldenbaum sagt: "Was auffällt in der Diskussion ist, dass diese zwei verschiedenen Phänomene zusammen verhandelt werden, die an und für sich zu trennen wären."
Als Leiter der Fach- und Beratungsstelle SALAM, die sich für Gewalt- und Radikalisierungsprävention einsetzt, spricht Goldenbaum aus Erfahrung: "Wir dürfen nicht unter dem Begriff Messergewalt alles packen, wo ein Messer eingesetzt wird und plötzlich eine terroristisch motivierte Gewalttat so verhandeln wie eine Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen in einem sozialen Brennpunkt. Der Fokus muss auf den Tätern und den Tatursachen liegen, nicht auf der Tat und den Tatwaffen." Um daraus Schlussfolgerungen auch für die Präventionsarbeit zu ziehen.
Werbeverbot zielführender als Waffenverbotszonen?
Unter Jugendlichen hat Goldenbaum einen Trend zum Besitz von Messern erkannt, unabhängig von der Nationalität. Seiner Meinung nach wäre eine Diskussion über ein Werbeverbot deshalb auch zielführender als die Ausweitung von Waffenverbotszonen. "Wer soll solche Zonen denn kontrollieren?", fragt Goldenbaum. "Die Belastung der Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei ist ohnehin schon enorm."
Stattdessen sollten Waffen noch schwerer verfügbar sein, sagt der Sozialwissenschaftler. Und: "Wir sehen Waffengeschäfte in deutschen Innenstädten, gerade an Plätzen, wo Jugendliche sich gerne aufhalten wie Einkaufszentren oder zentralen Orten. Dort sind dann die Schaufenster glänzend vollgestellt mit Messern, Teleskopschlagstöcken oder Pfefferspray, also den drei Formen von Waffen, die von Jugendlichen in Auseinandersetzungen regelmäßig eingesetzt werden. Diese Werbung und die Verfügbarkeit ist ein riesiges Problem."
Am Ende ist es ein Zufall, ob ein Messer eingesetzt wird oder ein Auto oder eine Schusswaffe.
Auch bei der Diskussion über terroristische Anschläge fordert Goldenbaum einen Fokus auf Täter und Ursachen, denn: "Am Ende ist es ein Zufall, ob ein Messer eingesetzt wird oder ein Auto oder eine Schusswaffe. Häufig agieren terroristische Täter schlicht und einfach mit den Tatwerkzeugen, die ihnen zur Verfügung stehen."
Und hinterlassen damit Entsetzen, auf das es laut den Teilnehmenden der Gedenkveranstaltung vor allem eine Antwort geben sollte: "Rassismus spaltet, Menschlichkeit vereint", wie auf einem Plakat geschrieben stand.
MDR (Daniel George)
Dieses Thema im Programm: FAKT IST! aus Magdeburg | 09. September 2024 | 22:10 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/e8d8c8c5-70c0-4f4f-90ee-7189a9ef3ed0 was not found on this server.