Fragen und Antworten Wie sich die Flüchtlingssituation in Sachsen-Anhalt entwickelt
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30. Oktober 2022, 17:54 Uhr
Kommunen stehen erneut vor Herausforderungen bei der Aufnahme geflüchteter Menschen aus der Ukraine und anderen Ländern. Wie viele Flüchtlinge derzeit in Sachsen-Anhalt registriert sind, wie sich die Situation entwickelt und was getan werden müsste, um Kommunen und Kreise zu unterstützen – Fragen und Antworten.
Inhalt des Artikels:
- Wie viele Flüchtlinge leben derzeit in Sachsen-Anhalt?
- Wie wird sich die Lage in Sachsen-Anhalt entwickeln?
- Wird es einen Aufnahmestopp für Geflüchtete geben?
- Was sind derzeit Herausforderungen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten?
- Was muss getan werden, um die Unterbringung Geflüchteter besser zu gestalten?
Wie viele Flüchtlinge leben derzeit in Sachsen-Anhalt?
Sachsen-Anhalt hat nach Angaben des Innenministeriums bis Mitte Oktober 28.331 Menschen registriert und aufgenommen, die aus der Ukraine geflüchtet sind.
Des Weiteren wurden seit Jahresbeginn bis Mitte Oktober 3.745 Asylsuchende aus anderen Ländern aufgenommen sowie etwa 500 Menschen mit besonderem Status, darunter mehr als 450 afghanische Ortskräfte und besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen.
2022 sind deutlich mehr Menschen in Sachsen-Anhalt registriert worden, die in Sachsen-Anhalt Asyl gesucht haben als in den vergangenen Jahren. 2020 hat Sachsen-Anhalt nach Angaben des Innenministeriums 2.265 aufgenommen, 2021 2.995.
Im Jahr der Flüchtlingskrise 2015 hatte Sachsen-Anhalt 34.340 Menschen aufgenommen, die Asyl gesucht hatten, vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien. 2016 wurden weitere 9.116 aufgenommen.
Wie wird sich die Lage in Sachsen-Anhalt entwickeln?
Von Anfang August bis Mitte Oktober sind knapp 650 Ukrainerinnen und Ukrainer angekommen. Die Zahl steigt. Im Zeitraum von sechs Wochen zwischen August und Oktober sind knapp 650 Ukrainerinnen und Ukrainer neu registriert worden.
Zudem hat nach Angaben der Europäischen Kommission die Zahl der Menschen wieder zugenommen, die über die sogenannte Balkanroute in die EU gekommen sind. Auch über das Mittelmeer kommen demnach weiterhin zahlreiche geflüchtete Menschen in der EU an.
Wird es einen Aufnahmestopp für Geflüchtete geben?
Sachsen-Anhalt hat nach Angaben des Ministeriums für Inneres und Sport keinen Erstaufnahmestopp verhängt. Das Land ist demnach in den Verteilungssystemen aufnahmebereit. Das Ministerium teilte mit: "Bei der Annahme der Verteilung von Asylzugängen aus anderen Bundesländern kann es jedoch (wie in den letzten Jahren auch) zu stundenweisen Aussetzungen kommen." Menschen, die vom System direkt Sachsen-Anhalt zugeteilt werden, würden uneingeschränkt aufgenommen. Das betrifft nach Angaben der Behörde etwa zwei Drittel aller Zugänge.
Stichwort: Der "Königsteiner Schlüssel"
Den "Königsteiner Schlüssel" gibt es seit 1949: Die Bundesländer einigten sich damals im hessischen Königstein auf einen Schlüssel zur Finanzierung von Forschungseinrichtungen außerhalb der Universitäten.
Grundlage für dessen Berechnung sind Bevölkerungszahl (ein Drittel) und Steuereinnahmen (zwei Drittel). Die Quote wird von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz jährlich neu ermittelt.
Das Instrument wird inzwischen aber auch für andere Fragen rund um die Lastenverteilung unter den Ländern genutzt. Seit Anfang 2005 dient der Schlüssel als Basis für die Verteilung von Geflüchteten.
Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, muss sich erst einmal registrieren lassen. Meistens passiert das in der nächstgelegenen Erstaufnahmeeinrichtung im jeweiligen Bundesland. Die Verteilung auf die Länder geschieht dann ebenfalls nach dem "Königsteiner Schlüssel".
Sachsen-Anhalt könne allerdings Menschen nach der Registrierung in andere Bundesländer schicken, weil das Land bisher mehr Menschen aufgenommen habe, als laut Königsteiner Schlüssel vorgesehen. Insbesondere Halle und Magdeburg würden von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.
Was sind derzeit Herausforderungen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten?
In Sachsen-Anhalt ist die Verteilung der Menschen auf die Landkreise und Städte ein Problem: Magdeburg und Halle haben deutlich mehr Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen als andere Kreise. Landkreise, die bisher weniger Menschen registriert haben als laut Verteilungsschlüssel vorgesehen, können eine sogenannte Wohnsitzauflage aussprechen.
Für die Auflage gibt es aber laut Sachsen-Anhalts Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Andreas Dittmann (SPD), keine Kontrollmechanismen. Er hält die Auflage deshalb für wenig geeignet. Es hat dennoch bereits Wohnsitzauflagen für Menschen aus der Ukraine gegeben, unter anderem im Landkreis Harz und im Altmarkkreis Salzwedel.
Die Kommunen stehen dann vor der Herausforderung, die Menschen unterzubringen. Gerade Halle und Magdeburg mussten in diesem Jahr erneut Geflüchtete gemeinschaftlich in Hallen unterbringen. Der Landkreis Harz hat ein ehemaliges Kinder-Erholungszentrum als Anlaufstelle für Ukraine-Flüchtlinge eingerichtet. Die Stadt Halle teilte mit: "Die größte Herausforderung der kommenden Zeit wird die dezentrale Unterbringung in eigenem Wohnraum sein."
Andreas Dittmann spricht bei der aktuellen Flüchtlingssituation im Land von einer Überlagerung mehrerer Krisen: Die Unterbringung von Geflüchteten wird schwieriger, weil Handwerker und Handwerkerinnen fehlen, um Wohnraum herzurichten. Material und Dienste sind zudem durch die Inflation und den Fachkräftemangel deutlich teurer. Auch der Landrat im Harz, Thomas Balcerowski (CDU), sagte MDR SACHSEN-ANHALT, anders als 2015 hätten die Menschen auch noch zwei Jahre Corona-Pandemie hinter sich. Dadurch lasse die Hilfsbereitschaft nach.
Der Landkreis Mansfeld-Südharz betonte, dass die Aufnahme von Geflüchteten und Asylsuchenden sowie die Unterbringung und Betreuung zwar eine gesetzliche Verpflichtung sei, der der Landkreis nachkommen müsse, aber "[er] kann die hohen gesetzlichen Standards dafür aber bei wachsenden Zahlen nicht mehr vollständig erfüllen."
Was muss getan werden, um die Unterbringung Geflüchteter besser zu gestalten?
Mehrere Kreise und Städte fordern mehr Geld von Bund und Land für die Aufnahme und Organisation, darunter Halle und der Burgenlandkreis. Der Burgenlandkreis fordert etwa: "Die finanzielle Beteiligung des Bundes und des Landes muss in Höhe der tatsächlichen Ausgaben der Kommunen erfolgen." Dazu zählten auch Mittel, um die personelle Ausstattung den Erfordernissen anpassen zu können.
Das Land sieht den Bund in der Pflicht. Eine stärkere Unterstützung sei dringend erforderlich: "Die stattdessen von Bundesseite angekündigten weiteren Aufnahmeprogramme werden kritisch gesehen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Bund keine verbesserten Rückführungsmöglichkeiten in unkooperative Herkunftsländer schafft und auch die vollständige Durchführbarkeit von innereuropäischen Überstellungen nach der Dublin-Verordnung nicht gewährleisten kann."
Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) kritisierte vor wenigen Wochen die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels – unter anderem, dass der Bund zwar eine Immobilie zur Unterbringung von Geflüchteten in Stendal angeboten habe, die aber bis heute unsaniert sei. Sie bezeichnete den Gipfel als "ergebnislos".
Anmerkung der Redaktion: Die Interviews für diesen Artikel sind bereits vor dem Anschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Bautzen geführt worden.
MDR (Tanja Ries, Julia Heundorf)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 30. Oktober 2022 | 19:00 Uhr
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