Ein Mann verteilt Flyer. 3 min
CDU-Europakandidat Artjom Pusch beim Straßenwahlkampf in Magdeburg Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Reportage Europawahl: Wie sich die CDU im Straßenwahlkampf in Magdeburg schlägt

28. Mai 2024, 04:52 Uhr

Als einzige Partei hat die CDU Landeslisten für die Europawahl am 9. Juni aufgestellt. Artjom Pusch wurde auf den zweiten Listenplatz gewählt. Während er auf einer Bundesliste damit fast sicher im europäischen Parlament landen würde, hat er über die Landesliste kaum Chancen. Warum er momentan dennoch das Gesicht im Straßenwahlkampf ist und wie ihm die Menschen begegnen.

Daniel Salpius schaut freundlich
Bildrechte: MDR/Tilo Weiskopf

  • CDU/CSU haben als einzige Parteien Landeslisten für die Europawahl aufgestellt – ob es der favorisierte Kandidat schaffen kann, ist für die Wähler damit nur schwer abzuschätzen.
  • Die Magdeburger treibt am CDU-Wahlstand vor allem eines um: der Ukraine-Krieg.
  • Zweites großes Thema ist der Umgang mit Migration.

Der 83-Jährige Magdeburger im gestreiften Polo-Shirt ist eigentlich wegen Manuel Rupsch am CDU-Wahlstand in der Cracauer Straße. Er will ihm bei der Stadtratswahl seine Stimme geben, aber zuvor mit dem Kandidaten sprechen. Fast wäre der Termin angesichts eines kräftigen Gewitters buchstäblich ins Wasser gefallen. Als der Rentner hört, dass Europa-Kandidat Artjom Pusch ebenfalls zugegen ist, geht er ganz gezielt auf ihn zu.

Er will aber nicht etwa wissen, wofür der weitgehend unbekannte Pusch, der in Sachsen-Anhalt auf Listenplatz 2 gewählt wurde, inhaltlich steht. Der Mann versteht nicht, wie er sein Kreuz setzen muss, damit die hiesige Spitzenkandidatin Alexandra Mehnert ins EU-Parlament einzieht. "Ich habe ja eine Stimme und wähle damit eine Partei-Liste", setzt der Mann an. "Genau, und da machen Sie Ihr Kreuz bei der CDU", antwortet Pusch. "Aber das heißt noch nicht, dass Frau Mehnert reinkommt?", bleibt der Rentner skeptisch. – "Doch, wenn Sie CDU wählen, kommt sie rein."

Einzug ins EU-Parlament nicht garantiert

Tatsächlich ist das gar nicht so einfach. Denn während alle anderen Parteien mit einer gemeinsamen Bundesliste antreten, haben CDU/CSU als einzige Parteien in Deutschland Landeslisten aufgestellt. Und während sich die Spitzenkandidaten auf den Bundeslisten der großen im Bundestag vertretenen Parteien im Grunde schon sicher sein können, ins europäische Parlament einzuziehen, bringt der erste Platz auf einer Landesliste diese Sicherheit nicht mit sich.

Um die 200.000 Stimmen wären laut Pusch wohl nötig, damit Alexandra Mehnert, die wegen Erkrankung im Wahlkampf ausfällt, einen der 96 für Deutschland vorgesehenen Plätze im EU-Parlament ergattern kann. Wie viele Menschen aus Sachsen-Anhalt ihr Kreuz bei der CDU machen müssten, damit auch er, die Nummer 2, den Sprung nach Brüssel schafft, kann Pusch nicht genau sagen. "Das wird nach einem sehr komplizierten System errechnet und wohl erst am Montag nach dem Wahlabend feststehen."

CDU-Chef Friedrich Merz, Wirtschaftsminister Sven Schulze und CDU-Europakandidat bei einer Betriebsbesichtigung in Magdeburg
Im Windschatten der Partei-Prominenz: CDU Europa-Kandidat Artjom Pusch (rechts) besichtigt gemeinsam mit Parteichef Friedrich Merz (links) und Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (Mitte) die Magdeburger Mühlenwerke am Rande einer internen Wahlkampfveranstaltung mit Unternehmern. Bildrechte: MDR/Daniel Salpius

Sehr groß sind die Chancen des 36-Jährigen aus Burg wohl eher nicht. Aktuell ist Sachsen-Anhalt auch insgesamt nur mit einer einzigen Abgeordneten in der EU vertreten: Karolin Braunsberger-Reinhold (CDU).

Ukraine-Krieg bestimmendes Thema auf der Straße

Puschs Elan im Straßenwahlkampf trübt das nicht. Vor dem Supermarkt in der Cracauer Straße trifft der Politiker überwiegend auf Wohlwollen. Zu einem kurzen Plausch am vollgepackten Einkaufswagen sind viele bereit. Diejenigen, die lieber schnell weiterwollen, nehmen oft zumindest aus Höflichkeit einen Flyer mit.

Was die Magdeburger mit Blick auf Europa vor allem umtreibt, wird in den Gesprächen schnell klar. Russlands Krieg in der Ukraine ist das beherrschende Thema an diesem Freitagnachmittag. "Für mich ist am wichtigsten, dass wir in Europa wieder die Sicherheit bekommen, die wir mal hatten", formuliert ein Familienvater. Durch den Ukraine-Krieg gebe es diese Sicherheit nicht mehr.

Eine Rentnerin wirkt emotional angefasst. Sie floh nach dem Zweiten Weltkrieg als Vertriebene aus Pommern, wie sie Pusch erzählt. "Ich möchte keinen Krieg mehr. Putin – ich könnte ihn …", bricht es förmlich aus ihr heraus. Was die EU da tun könne, darauf hat sie selbst keine Antwort. "Deutschland macht ja schon so viel für den Frieden, wir geben schon so viel Geld." Ein anderer Wähler sagt, er wünsche sich, dass die Gewalt überall in Europa und auch im Inland nachlasse.

EU-Kandidat Artjom Pusch: Ganz persönliches Verhältnis zu Europa

Auch Pusch erachtet den Krieg in Osteuropa als zentrale Herausforderung der europäischen Gemeinschaft. Er wolle sich dafür einsetzen, dass die EU in außenpolitischen Fragen künftig mit qualifizierter Mehrheit entscheiden könne. Bislang gilt das Prinzip der Einstimmigkeit, was beispielsweise Ungarn aktuell noch in die Lage versetzt, die Union bei wichtigen Entscheidungen zur Ukraine zu blockieren.

Die CDU fordert in ihrem Wahlprogramm außerdem eine engere militärische Zusammenarbeit der EU-Staaten sowie einen Raketenabwehr-Schirm nach israelischem Vorbild. Als ehemaliger Gebirgsjäger und Reserve-Offizier der Bundeswehr kann sich Artjom Pusch als Fernziel auch eine gemeinsame europäische Armee vorstellen.

Gerade mit Blick auf Russland hat Pusch ein ganz persönliches Verhältnis zur EU. Mit zehn Jahren kam er mit seiner Mutter aus Russland nach Deutschland, er betont daher den Wert des politischen Systems. "Wir haben eine Demokratie, wir können unsere Meinung frei sagen, wir können unsere Regierung wählen und auch wieder abwählen und dieses freie, sichere, demokratische Europa möchten wir auch behalten und wir setzen uns dafür ein."

Umgang mit Arbeitslosen und Migration

Als 18-Jähriger trat Pusch in die CDU ein, studierte Wirtschaftsingenieurwesen und Management und arbeitet nach eigenen Angaben inzwischen als Prokurist einer Investment-Gesellschaft, die in innovative Technologien investiert. Ganz persönlich wolle er für Sachsen-Anhalt in Brüssel vor allem erreichen, dass sich das Land wirtschaftlich weiterentwickeln könne, dass weiterhin viele EU-Förderungen flössen, aber auch, dass Bürokratie abgebaut werde.

Vor dem Supermarkt hingegen dominieren andere Themen. Eine Frau beklagt, dass sich die Regierung so weit von der Realität der Menschen im Land entfernte habe. "Die Situation macht mich einfach traurig." Eine andere Frau regt es auf, wie Arbeitslose im Gegensatz zu Migranten behandelt würden. "Die Migranten können die Hand aufhalten und wir müssen uns für alles rechtfertigen", schildert sie ihre Wahrnehmung.

Migration und Asyl – das ist neben dem Ukraine-Krieg das zweite beherrschende Thema an diesem Nachmittag. Einen Wähler beschäftigt konkret die Frage, ob Islam und Integration überhaupt vereinbar seien. Gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT gibt er sich später als potenzieller CDU- oder "Bündnis Sahra Wagenknecht"-Wähler zu erkennen. Die AfD sei für ihn nicht wählbar.

Artjom Pusch: "Der Islam gehört auch hierher"

Artjom Pusch schlägt in Sachen Migration nicht die markigen Töne an, derer sich etwa sein Partei-Chef Friedrich Merz schon bedient hat. "Der Islam gehört auch hierher", sagt er dem Mann. "Problematisch ist der extremistische Islam, das dürfen wir aber nicht verwechseln." Und wenn jemand aus dem Krieg komme, habe er Asyl verdient. Handlungsbedarf bestehe dagegen dort, wo das Asylrecht ausgenutzt werde. Die CDU will sich in der EU für Asylverfahren in sicheren Drittstaaten einsetzen und zugleich die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften erleichtern und beschleunigen.

Wie sich in Magdeburg ebenfalls zeigt, haben auch Menschen, die ihr Kreuz bei anderen Parteien machen wollen, Forderungen an die CDU. "Ich erwarte, dass die CDU das Vakuum im rechten Spektrum wieder ausfüllt und für ein stabiles Deutschland einsteht", sagt ein junger Vater. Seine politische Heimat sei die CDU allerdings nicht. "Ich und meine Frau wollen ein offenes Europa ohne Grenzen und ein interkulturelles Miteinander, damit unsere Kinder auch noch in einem friedlichen Europa aufwachsen und leben können."

MDR (Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 25. Mai 2024 | 19:00 Uhr

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