MDRfragt Großer Wunsch an EU-Asylpolitik: Begrenzung
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25. Mai 2024, 03:00 Uhr
Kurz vor der EU-Wahl wollte MDRfragt von seinen Mitgliedern aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wissen, was sie von der europäischen Migrationspolitik halten - und vom hart errungenen Kompromiss für den künftigen Asylkurs. Die Ergebnisse sind ziemlich eindeutig: Gewünscht ist mehr Begrenzung. Innen und außen.
- Kaum jemand findet zentrale Pläne für künftige Asyl-Politik zu lasch.
- Wenige glauben daran, dass verschärfte EU-Asylregeln tatsächlich für mehr Begrenzung und Steuerung sorgen.
- Forderungen an die deutsche Migrationspolitik: konsequent abschieben und Sozialleistungen kürzen.
Während die Verantwortlichen in der Europäischen Union jahrelang um eine Änderung der Asyl- und Verteilungsregeln gerungen haben, fällt das Meinungsbild aus der MDRfragt-Gemeinschaft vergleichsweise eindeutig aus: Eine deutliche Mehrheit (84 Prozent) wünscht sich von der Europäischen Union zunächst einmal, dass sie den Zuzug von Asylsuchenden stärker als bisher begrenzt.
Wunsch nach mehr Begrenzung in allen Altersgruppen stark
Diese Ansicht zieht sich quer durch alle Altersgruppen, auch wenn der Anteil der Befüwortenden größer wird, je älter die Befragten sind. So sind bei den Unter-30-Jährigen gut zwei Drittel (69 Prozent) dafür, dass die EU die Zuwanderung von Asylsuchenden stärker begrenzt als bisher. Bei den Über-50-Jährigen sind es sogar fast 90 Prozent.
Asylverfahren an EU-Außengrenzen werden befürwortet
Um die Frage, wie sich Flucht und Migration nach Europa effektiv steuern — und auch begrenzen lassen — drehten sich auch die Verhandlungen um das Gemeinsame Europäische Asylsystem (Geas). Erst vor wenigen Tagen wurde dieser Asylkompromiss endgültig besiegelt, der unter anderem vorsieht, dass Menschen an den EU-Außengrenzen festgehalten werden können, bis über ihren Asylantrag entschieden ist.
Auch hier ergibt sich ein eindeutiges Stimmungsbild: Kaum jemand (11 Prozent) findet, diese Maßnahme geht zu weit. Der große Rest findet die Einrichtung von Lagern für Asylsuchende an den EU-Außengrenzen entweder angemessen (40 Prozent), oder meint sogar, diese Pläne gehen noch nicht weit genug.
Ganz ähnlich sieht der Meinungstrend aus Mitteldeutschland mit Blick auf die EU-Pläne aus, Asylsuchende in sogenannte sichere Drittstaaten zurückzuschicken, wenn die Betroffenen zu diesen irgendeinen persönlichen Berührungspunkt haben: Auch hier sind diejenigen knapp in der Mehrzahl, denen diese Pläne nicht weit genug gehen (48 Prozent), etwas weniger Befragte halten die Maßnahmen für angemessen (40 Prozent) und nur 7 Prozent finden, es gehe zu weit, wenn die Europäische Union Asylsuchende in Drittstaaten zurückschickt, die sie als sicher eingestuft hat.
Wenige glauben an Wirkung von EU-Asylkompromiss
Mit Blick darauf, dass der größte Anteil der Befragten meint, viele der jetzigen EU-Asyl-Pläne gingen noch nicht weit genug, ist es auch wenig überraschend, dass die MDRfragt-Gemeinschaft insgesamt wenig Hoffnungen hat, dass es der EU mit diesen Maßnahmen gelingt, irreguläre Migration stärker zu steuern und zu begrenzen.
Knapp drei Viertel (77 Prozent) glauben, dass auch die verschärften Asyl-Regeln keine spürbare Veränderung in diese Richtung bringen. Ein kleiner Teil hält die Reform für geeignet, um die Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylsuchenden gezielter zu steuern und zu begrenzen.
Einige, wie Christian (39) aus dem Saale-Orla-Kreis, vermuten hinter dem jetzt verabschiedeten EU-Asylkompromiss ein taktisches Manöver mit Blick auf die anstehenden Wahlen zum Europaparlament: "Was nutzt es, Gesetze zu verabschieden, wenn diese am Ende eh nicht eingehalten werden. Aus meiner Sicht dienen diese Gesetze lediglich dazu, kurz vor der Europawahl Aktionismus vorzutäuschen, um unentschlossene Wähler vom rechten Rand einzusammeln", argumentiert Christian.
Das MDRfragt-Mitglied aus Thüringen meint: Nach der Wahl wird sich trotz der verschärften Regeln in Sachen Migration nichts ändern: "Nach der Wahl wird es noch viele Verfahren, Verordnungen und Winkelzüge geben, damit die Wirkung der Gesetze ausbleibt."
Einige Befragte zweifeln weniger daran, dass der jetzt gefundene EU-Asylkompromiss umgesetzt wird, sondern meinen, Europa müsste zunächst die bisherige irreguläre Migration ordnen, ehe es wieder Flüchtlinge aufnehme. So gibt es etwa die Maximalforderung, zunächst überhaupt keine Asylsuchenden mehr aufzunehmen.
Dafür plädiert beispielsweise Patrick (31) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Er schreibt: "Die Grenze sollte bei null liegen, und zwar so lange, bis alle in den letzten Jahren in der EU angenommenen Asylsuchenden gezählt, erkennungsdienstlich behandelt und auf die Staaten nach geltendem Recht verteilt wurden und eine Integration stattgefunden hat." Erst danach sollten aus Patricks Sicht wieder Geflüchtete in der EU aufgenommen werden.
Es gibt aber auch Befragte, die meinen, der EU-Asylkompromiss wird deshalb die angekündigten Ziele nicht erreichen, weil Begrenzung und Abschottung nicht die Lösung sind. So schreibt Sylvia (70) aus dem Saale-Orla-Kreis: "Es sollte gerechter zwischen den EU-Ländern verteilt werden, eine Begrenzung oder gar Abweisung halte ich für unmenschlich." Ähnlich sieht es Martina (66) aus Chemnitz: "Es ist ein Irrglaube, die Anzahl der Asylsuchenden steuern zu können, außer, man ändert die Bedingungen in den Herkunftsländern zum Positiven."
Geflüchtete aufnehmen oder Geld zahlen? - Befragte uneins bei neuem EU-Verteilmechanismus
Auf die solidarische Verteilung der Asylsuchenden innerhalb der EU gehen zahlreiche Kommentare ein. So findet auch Saskia (22) aus Dresden: "Die Verteilung ist das Problem." Und Josef (23) aus dem Eichsfeld findet: "EU-Mitgliedstaaten sollten dazu verpflichtet werden, Asylsuchende aufzunehmen."
Er spielt damit auf einen weiteren Punkt des EU-Asylkompromisses an: Künftig soll die Verteilung der Geflüchteten solidarischer und gerechter ablaufen. So soll es nicht nur feste Anteile geben, die jeder Mitgliedstaat aufnehmen soll, sondern auch einen Hebel, wenn diese Staaten sich weigern: Dann sollen etwa Ausgleichszahlungen gezahlt werden. Letzteres sieht der eben zitierte Josef kritisch und findet, es sollte keine Möglichkeit geben, die Aufnahme von Asylsuchenden zu umgehen.
Die neuen Regeln zur innereuropäischen Verteilung der Geflüchteten ist eine der wenigen MDRfragt-Ergebnisse zur EU-Asylpolitik, bei der die Befragten uneins sind: So meint knapp die Hälfte (51 Prozent), dieser Verteilungsmechanismus mit verbundener Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen sei eher sinnvoll. Nur ein etwas kleinerer Anteil (42 Prozent) hält das Vorhaben hingegen für wenig sinnvoll.
Doch auch die weiter oben zitierte Forderung, lieber die Fluchtursachen zu bekämpfen, landet im Forderungskatalog der MDRfragt-Gemeinschaft im Mittelfeld.
Deutschland soll mehr abschieben und Sozialleistungen kürzen
Ganz oben auf der Liste der Maßnahmen, die sich die Befragten wünschen: konsequenter abschieben, Sozialleistungen für Asylsuchende kürzen und Geflüchtete an der EU-Außengrenze abweisen.
Stellvertretend für viele fasst Sandy (39) aus Leipzig zusammen: "Es müssten viel mehr Migranten abgeschoben werden. Auch sollten Migranten weniger Sozialleistungen erhalten."
Egal, ob die Befragten zu jenen gehören, die die Sozialleistungen für Geflüchtete kürzen würden, oder nicht; fast alle finden es gut, dass Asylsuchende jetzt vielerorts mit Bezahlkarten statt mit Bargeld ausgestattet werden, um für den täglichen Bedarf einzukaufen. Konkret sind neun von zehn Befragten für die Bezahlkarte.
Dabei argumentieren die meisten Befragten so, wie die Bundesregierung selbst: Da die Bezahlkarte nur für Einkäufe im Inland genutzt und nicht ins Ausland überwiesen werden kann, kann das Geld nicht genutzt werden, um kriminelle Schlepperbanden für weitere Familienmitglieder zu bezahlen.
Andere, wie Renate (75) aus Dresden spekulieren, wer die Limitierungen der Bezahlkarte – auch bei der Auswahl der Läden – loswerden will, hat zusätzliche Anreize, sich schnell zu integrieren: "Auch könnte das stimulieren, sich zuerst und besser mit der deutschen Sprache zu befassen, um Arbeit zu finden und damit einen besseren Lebensstatus zu haben und freizügiger mit den selbst erwirtschafteten Mitteln umgehen zu können", schreibt sie.
Apropos Freizügigkeit: Für das vom Großteil formulierte Ziel, irreguläre Migration stärker zu begrenzen, sind laut Stimmungstrend auch fast alle bereit, die eigene Beweglichkeit einzuschränken: So befürworten 86 Prozent der Befragten die Kontrollen der Bundespolizei an der Grenze zu Polen und Tschechien, obwohl das auch für den LKW-Verkehr und die damit transportierten Waren sowie für Privatpersonen Verzögerungen und Behinderungen mit sich bringt.
So schreibt Andreas (45) aus dem Erzgebirgskreis: "Trotz der Grenzkontrollen gibt es unzählige Möglichkeiten, diese Kontrollen zu umgehen. Ich lebe direkt an der Grenze zu Tschechien und mich stören die Kontrollen persönlich kaum." Gleichzeitig hat er auch beobachtet: "Allerdings ist es für die vielen Pendler und Transportunternehmen beschwerlich und oft auch zeitraubend. Ich bin aber trotzdem froh, dass überhaupt wieder verstärkt kontrolliert wird."
Diese verstärkten Grenzkontrollen im eigentlich grenzenlosen Europa würde eine deutliche Mehrheit der Befragten auch noch über längere Zeit akzeptieren: Nur knapp ein Drittel der MDRfragt-Mitglieder (30 Prozent) findet es wichtig, dass der sogenannte Schengen-Raum bald wieder ohne stationäre Kontrollpunkte an den Grenzen funktioniert. Ein fast doppelt so großer Anteil (62 Prozent) hält das für nicht so wichtig.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 19. bis 23. April 2024 stand unter der Überschrift: "EU-Wahlcheck: Migrationspolitik und Osterweiterung".
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 23.647 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt und alle Ergebnisse zum Herunterladen finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Dresden | 22. Mai 2024 | 20:45 Uhr