Correctiv-Recherche Geheim-Treffen: AfD-Fraktionschef spricht mit Rechtsextremen über Vertreibung

11. Januar 2024, 18:56 Uhr

AfD-Politiker sollen an einem geheimen Treffen mit Rechtsextremisten teilgenommen haben, bei dem die Vertreibung von Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland gefordert wurde. Laut Recherchen des Netzwerks "Correctiv" soll an dem Treffen auch der Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag teilgenommen haben. Auf Nachfrage erklärte Siegmund, er sei als Privatperson und nicht in seiner Funktion als Abgeordneter für die AfD bei dem Treffen gewesen.

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Der Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, soll mit Rechtsextremisten über einen Plan zur sogenannten Remigration von Millionen Menschen aus Deutschland beraten haben. Wie das Recherchenetzwerk Correctiv berichtet, fand das bislang nicht öffentlich gewordene Treffen im vergangenen November in Potsdam statt.

Anette Dowideit, stellvertretende Chefredakteurin Correctiv 17 min
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17 min

Ulrich Siegmund soll bei einem geheimen Treffen mit Rechtsextremen teilgenommen haben. Das hat das Netzwerk Correctiv herausgefunden. Im Interview erklärt die stellvertretende Correctiv-Chefredakteurin die Hintergründe.

Mi 10.01.2024 17:45Uhr 16:58 min

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In einem Einladungsbrief, der Correctiv vorliegt, heißt es: Bei der Veranstaltung werde ein "Strategiekonzept im Sinne eines Masterplans" vorgestellt. Teilnehmer sollen bei dem Treffen erläutert haben, wie sie eine Strategie für die Umsiedlung von Millionen Menschen gemeinsam in die Tat umsetzen wollen, sollte die AfD in Regierungsverantwortung kommen.

Ulrich Siegmund
Der Co-Vorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, soll an einem geheimen Treffen mit Rechtsextremen teilgenommen haben. (Archivbild) Bildrechte: MDR/Engin Haupt

Rede von "maßgeschneiderten Gesetzen" und "Musterstaat"

Es sei von "maßgeschneiderten Gesetzen" die Rede gewesen, die man erlassen wolle, um einen "hohen Anpassungsdruck" auf Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu erzeugen. Außerdem sei von einem "Musterstaat" in Nordafrika gesprochen worden, in dem bis zu zwei Millionen Menschen leben könnten – auch Menschen, die sich in Deutschland für Geflüchtete einsetzten.

Siegmund: Als Privatperson vor Ort

Sachsen-Anhalts AfD-Co-Fraktionschef Siegmund soll bei dem Treffen gesagt haben, man müsse in seinem Bundesland dafür sorgen, dass es "für dieses Klientel möglichst unattraktiv werde", dort zu leben.

Von dem Recherchenetzwerk mit seiner Aussage konfrontiert, betonte Siegmund, er sei als Privatperson und nicht in seiner Funktion als Abgeordneter für die AfD bei dem Treffen gewesen. In seiner Antwort auf eine MDR-Anfrage lässt Siegmund über eine Anwaltskanzlei mitteilen, dass er zu keinem Zeitpunkt deutsche Staatsbürger oder Menschen mit gültigem Aufenthaltsstatus ausweisen wollte und solche Forderungen auf dem Treffen auch nicht vernommen oder gar unterstützt habe.

Einen Tag später hat sich Siegmund erstmals öffentlich zur Berichterstattung über seine Teilnahme an dem Treffen geäußert. In einem am Donnerstagnachmittag unter anderem auf X veröffentlichtem Video bezeichnete er die Berichte als "unglaubliches Lügenkomplott". Die AfD habe seit Jahren tausende Treffen in ganz Deutschland mit allen möglichen Bereichen der Gesellschaft. Zudem bestritt Siegmund, dass es sich bei den teilnehmenden Personen um Neonazis gehandelt habe. Dies sei eine "pure Begriffsverzerrung" und "an den Haaren herbeigezogen", so der AfD-Politiker in dem etwa viereinhalbminütigen Video.

Zusammenkunft hochrangiger AfD-Politiker und Neonazis

An dem Treffen in Potsdam soll auch Mario Müller teilgenommen haben, der für den AfD-Bundestagsabgeordneten und Generalsekretär der AfD Sachsen-Anhalt, Jan Wenzel Schmidt, tätig ist. Müller ist ein mehrfach verurteilter Gewalttäter, der dem Verfassungsschutz als Funktionär der rechtsextremen Identitären Bewegung bekannt ist.

Correctiv erwähnt zudem den ehemaligen Ortsbürgermeister von Insel (Landkreis Stendal), Alexander von Bismarck, als Teilnehmer des Treffens. Von Bismarck musste sich 2011 einer Strafanzeige wegen "Volksverhetzung und Nötigung" stellen, nachdem es in seinem Ort Aktionen gegen zwei verurteilte Straftäter gegeben hatte, die nach jahrelanger Sicherheitsverwahrung frei gekommen waren.

Darüber hinaus sollen unter anderen auch der bekannte österreichische Rechtsextremist Martin Sellner sowie der persönliche Referent von AfD-Bundesparteichefin Alice Weidel, Roland Hartwig, an dem Treffen teilgenommen haben. Er sagte der Correctiv-Recherche zufolge bei dem Treffen zu, die inhaltlichen Pläne in die Partei zu tragen.

AfD: Keine Änderung der Einwanderungpolitik wegen "Einzelmeinung"

Ein Sprecher Weidels bestätigte Hartwigs Teilnahme an dem Treffen, betonte jedoch gleichzeitig, von einem Auftritt Sellners dort überrascht worden zu sein. Er teilte auf Anfrage mit: Frau Weidel "hatte aber keinerlei Kenntnis von den Teilnehmern. Auch Hartwig wusste vorab nichts von Sellner".

Ein Sprecher der Partei teilte zudem mit, die AfD werde ihre Haltung zur Einwanderungspolitik, die im Parteiprogramm nachzulesen sei, nicht wegen einer Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin gewesen sei, abändern. Hartwig habe dort lediglich auf Einladung ein Social-Media-Projekt vorgestellt, welches er im Aufbau mitbegleite.

Linke: Parlamentarisches Kontrollgremium muss zusammenkommen

Nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche hat die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt nach eigenen Angaben die kurzfristige Einberufung des Parlamentarischen Kontrollgremiums beantragt. Die Fraktionsvorsitzende, Eva von Angern, sagte dazu: "In Sachsen-Anhalt führt der AfD-Fraktionsvorsitzende eine rechtsextreme Fraktion an Abgeordneten, die offensichtlich den Umsturz der Demokratie planen. Das ist absolut nicht hinnehmbar."

Stichwort: Parlamentarisches Kontrollgremium Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) kontrolliert den Geheimdienst im Land. Es besteht aus vier Mitgliedern des Landtags, welche zur besonderen Verschwiegenheit, auch gegenüber anderen Abgeordneten, verpflichtet sind.
Die Landesregierung muss dem PKG umfassend über die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und Vorgänge von besonderer Bedeutung sowie auf Verlangen dem Gremium auch über Einzelfälle berichten. Landtag

Der innenpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Sebastian Striegel, teilte mit, die Teilnahme von AfD-Vertretern an solch einem Treffen und auch die "völkisch-rassistischen Planspiele" zur massenhaften Vertreibung von Menschen aus Deutschland seien nicht überraschend. Die AfD ist laut Striegel erkennbar verfassungsfeindlich. Es müssten alle Mittel der Demokratie gegen die AfD und ihre Unterstützer eingesetzt werden.

Eva von Angern, Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Landtag Sachsen-Anhalt, stellt auf einer Pressekonferenz vor der Bundespressekonferenz die Forderungen ihrer Partei einer gerechten Lastenverteilung der Krisenkosten und Wiedererhebung der Vermögensteuer vor.
Eva von Angern, Vorsitzende der Linken im Landtag Sachsen-Anhalt, fordert, dass das Parlamentarische Kontrollgremium einberufen wird. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm

Kritik: Siegmund als Vorsitzender des Sozialausschusses nicht mehr tragbar

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Rüdiger Erben, sagte, die Einschätzung des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt sei richtig gewesen, die AfD im Land als rechtsextremistisch einzustufen. Erben stellte im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT klar, eine Zusammenarbeit mit der AfD sei - egal auf welcher Ebene - nicht möglich. SPD-Fraktionschefin Katja Pähle ergänzte, Siegmund sei als Vorsitzender des Sozialausschusses nicht mehr tragbar. Linke und Grüne im Landtag unterstützen nach eigenen Angaben diese Forderung.

CDU-Fraktionschef Guido Heuer sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Mittwoch, er sei erschüttert. Die Fraktion werde sich am Sonntag auf der Klausur mit dem Thema beschäftigen. Heuer sprach von ungeheuerlichen Vorgängen. Die AfD müsse zwingend weiter beobachtet werden.

Aus Protest: AfD-Fraktion verlässt Sitzung des Bildungsausschuss

Die AfD-Fraktion hat am Donnerstag aus Protest die Sitzung des Bildungsausschusses im Landtag von Sachsen-Anhalt verlassen. Hintergrund ist die kurzfristige Ausladung des Sachverständigen Ulrich Vosgerau, der – wie er der Deutschen Presse-Agentur bestätigte – an dem Treffen in Potsdam teilgenommen hat.

Der Jurist war vor der Sitzung vom Ausschussvorsitzenden Stephen Gerhard Stehli (CDU) gebeten worden, "angesichts der Medienberichterstattung über Ihre Teilnahme" nicht wie beabsichtigt zu einem Gesetzentwurf zu politischen Stiftungen zu sprechen. AfD-Fraktionsvize Hans-Thomas Tillschneider sagte, mit der Ausladung würden die Rechte von Oppositionsfraktionen beschnitten.

MDR, Correctiv, dpa, zuerst veröffentlicht am 10.01.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 10. Januar 2024 | 12:00 Uhr

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