Drogenpolitik Cannabis-Legalisierung: Kritik aus Sachsen-Anhalt
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22. März 2024, 11:00 Uhr
Auch in Sachsen-Anhalt wird die Kritik an der Cannabis-Legalisierung immer lauter. Im Zentrum stehen vor allem die Abstands- und Amnestie-Regelung. Ein Überblick.
- Der Richterbund in Sachsen-Anhalt plädiert für eine Änderung der Amnestie- und Abstandsregelung des Cannabis-Gesetzes.
- Auch eine Schulleiterin aus Aschersleben hegt arge Zweifel an der Umsetzung der Abstandsregelung und Altersgrenze.
- Die Polizeigewerkschaft Sachsen-Anhalt kritisiert die geplante Legalisierung scharf und fordert stattdessen den Ausbau von Therapieplätzen.
Teillegalisierung von Cannabis inzwischen beschlossen Dieser Artikel ist vor der inzwischen beschlossenen Teillegalisierung von Cannabis entstanden. Reaktionen zu der Entscheidung im Bundesrat finden Sie hier:
Am 1. April sollte die Teil-Legalisierung von Cannabis in Kraft treten. Doch nun wackelt die Umsetzung – und das mehr als deutlich. Der Bundesrat könnte am Freitag den Vermittlungsausschuss anrufen. Das Gesetz wäre vorerst gescheitert. Vielleicht sogar ganz, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf dem sozialen Netzwerk "X" befürchtete: "Wenn Bundesländer Cannabisgesetz in Vermittlungsausschuss zwingen, kommt es nicht mehr raus."
Wird das Kiffen also doch nicht legal? Auch in Sachsen-Anhalt wächst jedenfalls der Widerstand gegen die geplante Cannabis-Legalisierung. Vor allem zwei Aspekte des geplanten Gesetzes werden kritisiert: die Abstands- und Amnestie-Regelungen. "Die Gesetzgebungskunst hat es eigentlich verdient, auf hohem Niveau betrieben zu werden", sagt Christian Hoppe, Vorstand des Bundes der Richter und Staatsanwälte in Sachsen-Anhalt. "Aber was die Technik bei diesem Gesetz angeht, habe ich da meine Zweifel."
"Erhebliche Mehrbelastung" für Justiz durch Amnestie-Regelung
Hoppe kritisiert insbesondere die Amnestie-Regelung. Das Gesetz sieht aktuell vor, dass bereits verhängte Haft- und Geldstrafen wegen Cannabis-Delikten, die in Zukunft nicht mehr strafbar sein sollen, beim Inkrafttreten erlassen werden. Bundesweit müssen deshalb laut der "Deutschen Richterzeitung" etwa 210.000 Strafakten neu überprüft werden. Dagegen schätzt das Bundesgesundheitsministerium die Zahl der komplexen Verfahren, die kurzfristig gesichtet werden müssten, auf maximal 7.500 bundesweit. Christian Hoppe vom Richterbund erwartet jedenfalls auch in Sachsen-Anhalt eine "erhebliche Mehrbelastung" für die Staatsanwaltschaften und Gerichte.
"Das könnte man auch anders regeln, indem man die Straffreiheit erst in Zukunft in Kraft treten lässt und nicht sofort", sagt Hoppe. In der Vergangenheit habe es der Gesetzgeber immer geschafft, "dass er heute ein Gesetz beschlossen hat, was übermorgen in Kraft tritt, aber inhaltlich anordnet, dass die Regelungen erst ab dem 1. Januar oder 1. Juli des Folgejahres gelten", so Hoppe. "Das wäre einfacher zu bewältigen."
Cannabis-Abstandsregeln: "Wie will ich das im Einzelfall belegen?"
Ein weiterer Kritikpunkt: die sogenannte Abstandsregelung. Das Gesetz sieht vor, dass rund um Schulen, Kitas, Spielplätzen und öffentlichen Sportstätten der Cannabis-Konsum in einem Radius von 100 Metern verboten ist. Hoppe dazu: "Die Ermittler werden künftig mit einem Maßband oder Lasermessgerät unterwegs sein müssen, um festzustellen, ob der Abstand eingehalten ist. Wie will ich das im Einzelfall belegen? Ich sehe die Gerichte künftig mit Fällen konfrontiert, in denen um Meterangaben gestritten wird."
Weiter sagt Hoppe: "Wenn die Folge ist, dass strafbares Verhalten aufgrund des hohen Aufwandes, es festzuhalten, später nicht mehr verfolgt wird, dann ist das eine Teilkapitulation des Rechtsstaates, weil er strafbares Verhalten sehenden Auges in Kauf nehmen muss." Das sei "unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sehr bedenklich", so der Landesvorstand des Richterbundes.
Christian Hoppe plädiert deshalb für den Verzicht auf Abstandsregelungen. "Der Gesetzgeber sollte stattdessen Bereiche definieren, in denen der Konsum erlaubt ist und nicht umgekehrt", so Hoppe. "Sonst haben die Ermittler gar keine Chance, hinterzukommen."
MDRfragt – das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland – hat in einer nicht-repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass viele Teilnehmende davon ausgehen, dass es durch die Cannabis-Legalisierung zu einer Überlastung von Polizei und Justiz kommen wird.
Schulleiterin zweifelt an Umsetzung des Cannabis-Gesetzes
Auch in den Schulen des Landes regen sich arge Zweifel an der Umsetzung der Abstandsregeln. Katrin Jelitte, Schulleiterin der Ganztagsschule Albert Schweitzer in Aschersleben, erklärt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, die Abstandsregelung von 100 Metern sei "sehr fragwürdig" und zeige, "dass wenig Bereitschaft besteht, Bedingungen vor Ort und die Erfahrungen aus der Praxis überhaupt in die Beratung mit einzubeziehen."
Jelitte sagte: "Wir haben seit Jahren mit unserer Schulgemeinschaft um eine Kultur gekämpft, die es eben ganz deutlich macht, was möglich und was unmöglich ist. Zu unmöglichen Dingen zählt zum Beispiel auch, dass im Umfeld von 200 Metern der Schule niemand rauchen darf. Die Uneinsichtigen sind dabei die Erwachsenen."
Die Schulleiterin äußerte außerdem erhebliche Zweifel daran, wie Minderjährige künftig davon abzuhalten seien, Cannabis zu konsumieren. Auch die Umsetzung dieses Aspektes des Cannabis-Gesetzes sei schwierig. Jelitte sagte: "Ich erwarte grundsätzlich, dass wir in die Gespräche einbezogen werden. Dabei geht es nicht um Ablehnung schlechthin, sondern um Möglichkeiten, gute Lösungen gemeinsam zu besprechen."
Die Freigabe von Cannabis wurde vor der Abstimmung im Bundesrat auch schon im Landtag von Sachsen-Anhalt debattiert – mit unterschiedlichen Standpunkten:
Polizeigewerkschaft fordert Ausbau von Therapieplätzen statt Cannabis-Legalisierung
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft warnt vor der Legalisierung von Cannabis. Die Entkriminalisierung würde kaum gelingen, außerdem bedeute das Gesetz vor allem Mehrarbeit für die Polizei. Auch fehlende Grenzwerte von Cannabis im Straßenverkehr kritisierte die Gewerkschaft jüngst in einer Mitteilung. Statt der Legalisierung von Cannabis wurde der Ausbau von Therapieplätzen gefordert.
Olaf Sendel, Vorsitzender des Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft in Sachsen-Anhalt, erklärte auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, der Landesverband teile diese Forderung. "Ich habe als Drogenermittler mehrere Jahre gearbeitet. Wenn sie die Wirkung und die Folgen des Konsums für die Familien der Konsumenten und die Gesellschaft, also auch für das Umfeld, sehen, ist dem nichts hinzuzufügen", so Sendel.
Er sei über das "unverantwortliche, unsoziale Handeln und die Inkompetenz der politisch Verantwortlichen völlig sprachlos", so Sendel weiter. "Ich empfinde die betroffenen Familien, die im Teufelskreislauf sicher verantwortlichen, aber hilflosen Konsumenten, verantwortungslos verraten."
Cannabis-Gesetz: Kritik an Höchstmenge und Altersgrenze
Auch von Seiten der Suchtprävention gibt es Kritik. Martina Engelhard-Oxe von der Drogen- und Suchtberatungsstelle Sachsen-Anhalt erklärte im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT, die Altersgrenze von 18 Jahren sei aus ihrer Sicht zu niedrig. "Das Gehirn ist erst mit Anfang 20 vollständig entwickelt", so die Fachkraft für Suchtprävention. "Eine Altersgrenze von 21 Jahren wäre sicherlich sinnvoll."
Außerdem kritisierte Engelhard-Oxe die Höchstmenge von Cannabis, die Privatpersonen künftig besitzen (25 Gramm) und pro Monat anbauen (50 Gramm) sollen dürfen. "Bisher gab es im Betäubungsmittelgesetz die geringe Menge von sechs Gramm, bei der die Staatsanwaltschaft entscheiden konnte, das Verfahren einzustellen und nicht weiter zu verfolgen. Das könnte ich mir vorstellen, eventuell zehn Gramm", so Engelhard-Oxe.
Grundsätzlich befürworte sie die Legalisierung von Cannabis, aber: "Ich sehe eben auch diese Probleme." Probleme, die am Ende zum Scheitern des Gesetzes führen könnten. Der Widerstand aus Sachsen-Anhalt wächst jedenfalls.
MDR (Daniel George), zuerst veröffentlicht am 20.03.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 21. März 2024 | 19:00 Uhr
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