Studierende schreiben für den MDR Leben an der Landebahn: Welche Folgen der Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle hat
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07. März 2024, 15:16 Uhr
Der Flughafen Leipzig/Halle soll ausgebaut werden. Die Zahl der Stellplätze für Frachtflieger könnte dadurch von 60 auf 100 steigen. Das würde für die Menschen in der Umgebung mehr Lärm und weitere gesundheitliche Folgen bedeuten. Ein Anwohner, der in der Einflugschneise wohnt, und der Verein "Nachtflugverbot" kämpfen dagegen – und das seit 20 Jahren. Ein Gastbeitrag einer Studentin aus Halle.
Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.
- Seit 2004 die Einflugschneise des Flughafens Halle/Leipzig verlegt wurde, ist das Dorf Döllnitz, in dem Peter Richter lebt, von Fluglärm betroffen.
- Richter und seine Familie spüren die Auswirkungen von dauerhaftem Lärm in der Nacht deutlich.
- Die "Interessengemeinschaft Nachtflugverbot" protestiert gegen den Fluglärm – und gegen die Pläne, das Drehkreuz zu erweitern.
Nachts wird es in der Gemeinde Döllnitz im Saalekreis besonders laut. Denn dann erwacht der 13,7 Kilometer entfernte Flughafen Leipzig/Halle erst so richtig zum Leben. Er ist der zweitgrößte Frachtflughafen Deutschlands. Während tagsüber meist nur Urlaubsflieger abheben, starten und landen jede Nacht zwischen 22 und 6 Uhr etwa 80 bis 90 Frachtflugzeuge, die meisten davon im Auftrag des Post- und Logistikkonzerns DHL. Ermöglicht hat das eine in Deutschland seltene Erlaubnis für Nachtflüge mit Expressgut.
Nun will DHL das Drehkreuz erweitern. Bis 2032 soll sich die Zahl der Starts und Landungen von 80.000 auf 120.000 im Jahr erhöhen. Die Entscheidung zum Ausbau des Flughafens könnte in diesem Jahr fallen. Aus der Bevölkerung regt sich Widerstand gegen die Pläne.
Zwischen zwei Ländern: Der Flughafen Leipzig/Halle
Der Flughafen liegt zwischen den zwei Großstädten Halle und Leipzig auf dem Gebiet der Stadt Schkeuditz in Sachsen. Zuständig für die Genehmigung des Ausbaus ist deswegen der Freistaat Sachsen. Von Lärm und Emissionen ist auch der Saalekreis in Sachsen-Anhalt betroffen. Protest und Widerstand regen sich deswegen aus beiden Bundesländern. Im Jahr 2023 verbuchte der Flughafen nach eigenen Angaben im Passagierverkehr mehr als 2,1 Millionen Fluggäste. Zudem sind am viertgrößten Frachtdrehkreuz in Euro circa 1,4 Millionen Tonnen Fracht umgeschlagen worden.
Anfang der 2000er: Die Einflugschneise wird verlegt
In der besagten Gemeinde Döllnitz wohnt Peter Richter. Er kämpft seit mehr als 20 Jahren gegen den Ausbau des Flughafens und ist Vorstandsvorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Nachtflugverbot Leipzig-Halle. "Das Problem sind nicht die Flüge am Tag, sondern in der Nacht", sagt Richter. Sein Haus aus dem Jahr 1903 steht schon länger als der Flughafen selbst. Richtig belastend wurde das Leben neben der Landebahn ab 2004. "Bis dato hatte ich nichts mit dem Flughafen zu tun", sagt Richter. In diesem Jahr verlegte man die Einflugschneise der Flugzeuge direkt über sein Haus.
In Döllnitz sind rund 1.200 Menschen vom Fluglärm betroffen. "Viele haben mittlerweile resigniert – aufgegeben", erzählt Richter. Wegziehen ist für ihn aktuell keine Option. Er kämpft vor allem für seine Familie. Neben seiner Frau leben die Schwiegereltern mit im Haus. Auch seine Tochter und Enkel wohnen in der Nähe der Landebahn. Zu Hause versuche man, den Lärm des Flughafens auszublenden. "Aber das ist faktisch nicht möglich, denn das Ohr ist das einzige Organ, das nicht ruht", sagt Richter.
Dauerhafter Lärm schädigt die Gesundheit
Und das hat Folgen, vor allem für die Gesundheit. Lärm macht nicht akut krank, sondern schleichend. Welche langfristigen Auswirkungen Lärm auf die Gesundheit hat, zeigen Studien wie die Frankfurter Lärmwirkungsstudie NORAH. Eine hohe Lärmbelastung wirkt sich unter anderem auf das Herzkreislaufsystem, den Schlafrhythmus und die Konzentration aus, sind sich die Sozialmediziner hinter der Studie einig. "Dass übermäßiger Lärm der Gesundheit nicht zuträglich ist, steht außer Frage. Dazu gibt es auch eine Vielzahl von einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen", bestätigt der Lärmschutzbeauftragte für das Land Sachsen, Jörg Puchmüller, auf Anfrage.
Die muten uns zu, dass sich neben unseren Bett sich zwei Personen unterhalten. Das ist menschenunwürdig.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte der nächtliche Lärmpegel 45 Dezibel nicht übersteigen. "Bei uns sind mittlerweile 58 Dezibel zugelassen", sagt Richter. Tatsächlich zeigt der jährliche Fluglärmreport, dass der Lärmpegel im monatlichen Durchschnitt bei 52,7 Dezibel in Döllnitz liegt. Gemessen wird der Lärm an zehn Messstellen, die rund um den Flughafen verteilt sind. An allen Messstellen wird kontinuierlich gemessen und für jede Sekunde Messwerte aufgezeichnet. Aus diesen Ergebnissen wird der durchschnittliche Monatswert erstellt.
Neben Lärm sorgen sich Anwohner um Feinstaubbelastung
Laut Nachtflugverbot-Aktivist Richter sind diese Richtwerte aber kaum mit der Realität vergleichbar: Mal starten kaum Flugzeuge, mal im Minutentakt. Es gehe um die dauerhafte Belastung. "Die muten uns zu, dass sich neben unserem Bett sich zwei Personen unterhalten. Das ist menschenunwürdig", sagt er.
Er und seine Frau leiden seit einigen Jahren unter Bluthochdruck. "Beweisen, dass es vom Fluglärm kommt, lässt es sich nicht, aber unser behandelnder Arzt sieht das im ursächlichen Zusammenhang damit." Der Döllnitzer schlafe nur noch mit Ohrstöpseln. Mittlerweile sei er abhängig von ihnen.
Neben dem Lärm ist auch die Feinstaubbelastung ein großes Thema. Wie stark sich diese vor Ort auf die Gesundheit auswirkt, ist bis heute unklar. "Die Gutachten und Messungen könnten wir nicht bezahlen", sagt Richter. Schon der Lärm der Landebahn geht nicht spurlos an Richter vorbei.
Klimaaktivisten unterstützen beim Protest gegen Ausbau
Richter ist nicht der Einzige, der gegen den Ausbau des Drehkreuzes vorgeht. Der Widerstand gegen die Flughafenerweiterung bringt alte und neue Kritiker auf die Straße. Auch wenn Richter bereits seit 2004 gemeinsam mit anderen Bürgerinitiativen und Umweltaktivisten kämpft, war vor allem das Jahr 2020 ein Wendepunkt. Denn mit dem angekündigten Ausbau kamen neue Unterstützer hinzu.
Besonders die radikale Aktion von Klimaaktivisten im Juli 2021 ist im Gedächtnis geblieben. "Damals hatten 54 Klimaaktivisten die Zufahrt zum Logistikzentrum von DHL am Flughafen blockiert", erinnert sich Richter. Er selbst ist bei Protesten vorne mit dabei – führt Interviews mit der Presse, organisiert Protestaktionen und Petitionsverfahren, klärt auf. Erst Ende Januar hielt er in Leipzig wieder einen Vortrag über die Folgen der geplanten Flughafenerweiterung. "Wir haben den Ausbau immerhin schon fünf Jahre hinausgezögert", so Richter.
Landesdirektion Sachsen entscheidet über Flughafen-Ausbau
Wie laut es nach dem Ausbau in der Nacht wird, kann noch niemand sagen. Fakt ist aber, es sollen vor allem größere Frachtflugzeuge starten. Richter erwartet, dass dadurch die nächtliche Dezibel-Zahl steigen wird. Er glaubt nicht, dass sich der Ausbau noch verhindern lässt. "Der wird kommen", sagt der Döllnitzer. Wann genau die Bauarbeiten auf dem Flughafen beginnen, ist derzeit noch unklar. Das Planfeststellungsverfahren könnte noch mehrere Monate dauern. Aktuell werden mehr als 8.000 eingegangene Beschwerden geprüft, teilte die Landesdirektion Sachsen auf Anfrage mit. Die Behörde mit Sitz in Chemnitz wird die endgültige Entscheidung zum Ausbau fällen.
Zuletzt ist im Dezember 2023 eine Petition gegen den Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle im sächsischen Landtag gescheitert. Dennoch gibt es Fälle, in denen sich ein langer Atmen für Anwohner und Aktivisten gelohnt hat. Am Flughafen Frankfurt/Main hat es nach heftigen Auseinandersetzungen um den Ausbau ein Mediationsverfahren gegeben. Am Ende stand im Jahr 2011 ein Kompromiss: Ausbau ja, aber zugleich Einführung eines Nachtflugverbots. Ob das für den Flughafen Leipzig/Halle ebenfalls infrage kommt, wird sich zeigen. Fluglärm-Gegner Richter kündigt an, auf jeden Fall weiterzukämpfen.
Über die Autorin Babett Gumbrecht studiert den Master "Multimedia und Autorschaft" an der Universität in Halle. Dort hat sie auch ihr Bachelorstudium in Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie Politik abgeschlossen. Nach dem ersten Abschluss ging es für sie im Rahmen eines Freiwilligendienstes nach Bogota, Kolumbien. Das Interesse an Zeitgeschehen, Politik und unterschiedlichen Lebensrealitäten von Menschen konnte sie dann im Rahmen eines Volontariats bei der Mitteldeutschen Zeitung ausbauen. Neben dem Studium arbeitet sie noch als Freie Journalistin im Politik-Ressort eines Digital-Verlags. Ihre Leidenschaft bleiben aber die Geschichten im Lokalen.
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, DHL wolle die Landebahnen des Flughafens Leipzig/Halle erweitern. Das ist so nicht korrekt. Unter anderem sollen die Vorfelder ausgebaut werden, damit mehr Flieger starten und landen können.
MDR (Maren Wilczek)
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