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Nach dem Femizid in Bad Lauchstädt sehen Opferschutzstellen und Polizei Verbesserungen in der Zusammenarbeit. (Archivbild) Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gewalt gegen Frauen Nach Femizid in Bad Lauchstädt: Was sich seitdem bei der Polizei verändert hat

12. August 2024, 10:02 Uhr

Nach dem Femizid in Bad Lauchstädt, bei dem eine 59-Jährige von ihrem Ex-Partner getötet wurde, hatte Sachsen-Anhalts Innenministerium diverse Sofortmaßnahmen angekündigt. Eine davon war die Einführung des Hochrisikomanagements in allen Revieren Sachsen-Anhalts. Opferschutzstellen und die Polizei sehen Verbesserungen in der Polizeiarbeit und der Zusammenarbeit zwischen den Institutionen.

Am 8. März des vergangenen Jahres tötete in Bad Lauchstädt ein 61-Jähriger seine von ihm getrennt lebende Ehefrau. Das spätere Opfer hatte den Täter bereits Wochen vor der Tat angezeigt, jedoch ohne Erfolg. Nach den tödlichen Schüssen bemängelte Sachsen-Anhalts Innenministerium die polizeilichen Ermittlungen, die die Tat hätten verhindern können. Als Folge des Femizids in Bad Lauchstädt sollten etliche Sofortmaßnahmen umgesetzt werden, um ähnlich schwerwiegende Taten künftig zu verhindern.

Das ist in Bad Lauchstädt passiert

Am Frauentag, am 8. März 2023, war eine 59-jährige Frau in ihrer Wohnung in Bad Lauchstädt mutmaßlich von ihrem Ex-Mann erschossen worden. Als die Polizei eintraf, schoss der 61-Jährige aus einem Fenster der Wohnung in Richtung der Beamten. Ein Sondereinsatzkommando (SEK) verschaffte sich Zugang zur Wohnung und fand die Frau und den Mann mit Schussverletzungen. Mutmaßlich hatte der 61-Jährige erst auf die Frau und dann auf sich selbst geschossen. Beide starben noch am Unglücksort.

Polizei prüft täglich Meldungen häuslicher Gewalt

Freitagmorgen in der Merseburger Straße in Halle: In der Polizeiinspektion Sachsen-Anhalt Süd sitzt Polizeioberkommissarin Anja Salomon: Sie kümmert sich in ihrer Region um Prävention und Opferschutz und leitete ein Modellprojekt zum "Hochrisikomanagement für Hochrisikofälle von häuslicher Gewalt und Stalking" in Halle.

Was dort im Kleinen erprobt wurde, soll nun im Großen in ganz Sachsen-Anhalt umgesetzt werden: So erfolgt nach Angaben von Salomon nun täglich eine Prüfung der gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt in allen Revieren Sachsen-Anhalts. Im Anschluss berate man über weitere polizeiliche Maßnahmen, um die Opfer zu schützen. Die Erfahrungen aus dem Projekt in Halle haben nach Angaben der Polizei dazu geführt, dass beteiligte Institutionen enger zusammenarbeiten.

Frau in Polizeiuniform schaut in die Kamera
Polizeioberkommissarin Salomon leitete das Modellprojekt zum Hochrisikomanagement für Hochrisikofälle von häuslicher Gewalt und Stalking in Halle. Bildrechte: MDR/Alicia Summer Löffler

Häusliche Gewalt ist körperliche, sexuelle und psychische Gewalt, nicht nur in der Familie, sondern auch in Beziehungen. Anja Salomon betont, wie wichtig es auch für die Beamten im Einsatz ist, über häusliche Gewalt informiert zu sein. So könnten sofort gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um Betroffen in das Hilfesystem zu bringen, so die Polizistin.

Häusliche Gewalt: Fallzahlen steigen bundesweit an

Von Jahr zu Jahr gibt es mehr Fälle von häuslicher Gewalt, nicht nur bundesweit, sondern auch in Sachsen-Anhalt. So sind im Jahr 2020 der Polizei 6.323 Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet worden.

Im Jahr 2022 stieg die Zahl auf 7.122 und im letzten Jahr waren es 7.928 Fälle. Die Opfer zu schützen ist eine Aufgabe der Polizei. Je mehr Fälle angezeigt werden, desto schwerer wird es für die Beamten, die Gefahrenlage immer korrekt einzuschätzen. Hier soll die landesweite Einführung des Hochrisikomanagements Abhilfe schaffen. Es stellt sozusagen die Weichen, die es den Polizisten ermöglichen, diese Situationen angemessen einzuschätzen. Dabei durchläuft ein Fall mehrere Prüfstufen mit dem Ziel, das Risiko, das vom Täter ausgeht, angemessen zu beurteilen.

Dabei unterscheiden die Zahlen zu häuslicher Gewalt nicht nach Gewalt gegen Frauen oder Männern. Straftaten, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik als "Partnerschaftsgewalt" erfasst werden, zeigen aber die deutlichen geschlechtsspezifischen Unterschiede: So wurden etwa im Jahr 2023 71 Fälle von Vergewaltigung erfasst, bei denen in 70 Fällen die Opfer als weiblich registriert wurden. Bei zehn von elf gemeldeten sexuellen Übergriffen waren die Opfer weiblich, in 32 von 44 Fällen der Freiheitsberaubung in 856 von 980 Fällen von Bedrohung und in 2.256 von 3.071 Fällen von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung.

Arbeiterwohlfahrt bildet Polizisten weiter

Etwas abgelegener in Halle befindet sich die Interventionsstelle der Awo, die Betroffene von häuslicher Gewalt berät. Silke Voß ist seit 22 Jahren im Amt, also seit der Gründung der Stelle. Im Regal in ihrem Büro hat sie Stoffbären in Polizeiuniformen unterschiedlichster Jahrzehnte aufgereiht. Mit der Polizei hat sie in ihrer Funktion täglich zu tun. Sie sieht Veränderung in der Polizeiarbeit nach dem Femizid in Bad Lauchstädt. So seien die Beamten jetzt sensibilisierter, was sich auch in den Polizeimeldungen an die Interventionsstelle, widerspiegele.

Die Awo bietet Weiterbildungen für die Beamten im Bereich der häuslichen Gewalt und Stalking an. Dadurch entstehe eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei und Opferschutzstelle.

Frauenrat fordert Schulungen für Richter und Anwälte

Auch der Landesfrauenrat bewertet die Veränderungen, die es seither bei der Polizei in Bezug auf Fälle von häuslicher Gewalt gab, als positiv. Im März letzten Jahres hielt der Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt einige Wochen nach dem Femizid von Bad Lauchstädt eine Mahnwache vor dem Landtag in Sachsen-Anhalt. Gerade organisieren sie wieder Protestaktionen, um für das Thema Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren. Mittendrin die Vorsitzende des Landesfrauenrats Michelle Angeli.

Auf einem der Tisch vor ihr liegen kleine Papiertüten mit der Aufschrift "Gewalt kommt nicht in die Tüte". Aus Angelis Sicht muss sich jedoch noch einiges innerhalb der Justiz ändern. Sie fordert bessere Schulungen für Richter und Staatsanwälte, damit diese für das Thema häusliche Gewalt sensibilisiert werden. Zudem sollten generell alle Berufsgruppen die Schutzbedürftigen Hilfe leisten, speziell ausgebildet sein, um das notwendige Feingefühl im Umgang mit den Opfern aufbringen zu können.

Nach Bad Lauchstädt hat sich also einiges getan bei der Polizei Sachsen-Anhalt. Dennoch wünscht sich Polizeioberkommissarin Anja Salomon mehr öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema häusliche Gewalt. Betroffene brauchen viel Unterstützung aus ihrem persönlichen Umfeld, um sich Hilfe zu suchen, so Salomon. Häusliche Gewalt sei eben keine private Angelegenheit und sollte kein Tabuthema mehr sein.

MDR (Alicia Summer Löffler, Hanna Kerwin, Julia Heundorf)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 11. August 2024 | 19:00 Uhr

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