Weiter hohe Pegel Wie die Feuerwehr in Kelbra gegen das Hochwasser an der Helme kämpft
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von Lucas Riemer, MDR SACHSEN-ANHALT
06. Januar 2024, 10:19 Uhr
In den vom Hochwasser betroffenen Regionen im Süden von Sachsen-Anhalt sind viele Feuerwehrleute seit fast zwei Wochen pausenlos im Einsatz, so auch in Kelbra. Ein Ortsbesuch bei Helfern im Dauerstress: Deiche sichern, Hilfe koordinieren und Essen verteilen.
- Zu den wichtigsten Aufgaben der Feuerwehr in Kelbra gehört derzeit, die Deiche vor dem Hochwasser zu sichern.
- Viele Menschen in dem Ort im Süden von Sachsen-Anhalt sind dankbar für die Hilfe der Feuerwehrleute.
- Im Katastrophenfall stößt die technische Ausstattung der kleinen Ortsfeuerwehr an Grenzen.
Silvester verbrachte Michael Franke diesmal an einem ungewöhnlichen Ort. Statt mit Freunden und Familie zu feiern, stand der Feuerwehrmann aus Kelbra pünktlich zum Jahreswechsel auf dem Helme-Damm. Der 39-Jährige und seine Kameraden sind seit dem zweiten Weihnachtsfeiertag beinahe ununterbrochen als Deichwachen im Einsatz, weil sich das kleine Flüsschen Helme in einen reißenden Strom verwandelt hat, der Straßen, Trinkwasserbrunnen und ganze Dörfer zu überfluten droht.
Auch am Freitagmorgen stapft Franke wieder mit zwei Kameraden über den Deich am Ortsrand von Kelbra, wo die Lage trotz leichter Entspannung weiterhin kritisch ist. Dort, wo am Nordostufer der beinahe randvollen Talsperre Kelbra das Wasser in die Helme abgelassen wird, beginnt ihr Kontrollgang.
Bis zu zwölfmal täglich überprüfen sie, ob der Schutzwall hält und wie sich der Wasserstand entwickelt. Der Schlamm spritzt bis auf Kniehöhe, während Franke in Feuerwehrmontur und wasserdichten Gummischuhen über den Damm marschiert, der nur wenige Zentimeter oberhalb der Wasserhöhe liegt.
THW und Hochwasserschutzbetrieb unterstützen Einsatz an der Helme
"So ein Hochwasser hat es in der Region in meinen knapp 30 Jahren bei der Feuerwehr noch nie gegeben", sagt Franke. Überhaupt seien Überflutungen seit der Fertigstellung der Talsperre Kelbra in den 1960er Jahren so gut wie nicht mehr vorgekommen.
So ein Hochwasser hat es in der Region in meinen knapp 30 Jahren bei der Feuerwehr noch nie gegeben.
Das Wissen, woran man erkennt, ob der Deich noch hält und wie man ihn notfalls stabilisiert, mussten sich Franke und seine Kameraden deshalb in den vergangenen Tagen im Schnellverfahren aneignen. Hilfe bekamen sie dabei vom THW und vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz.
Inzwischen wissen sie: Drückt auf der Landseite des Damms klares Wasser durch, besteht wenig Grund zur Sorge. "Dann ist es nur Grundwasser", sagt Franke. Ist das Wasser aber dunkel, ist die Lage kritischer, denn dann kommt es durch den Damm. Eine Stelle, an der etwas Wasser durch den Deich drückte, haben die Feuerwehrleute mit einem Holzstock und einem Fähnchen markiert. An diesem Tag bleibt es dort jedoch weitestgehend trocken.
Hochwasser-Lage etwas entspannter – trotzdem häufige Kontrollen am Deich
Ganz in der Nähe ragen zwei gelb-schwarze Balken aus dem Wasser. "Eigentlich sind das drei, aber einer ist komplett überflutet", sagt Franke. Die Balken zeigen den Pegel der Helme. Am Freitagvormittag liegt er bei 2,87 Meter, ein paar Tage zuvor waren es noch mehr als drei Meter.
"Damals schwappte das Wasser schon über den Damm, da habe ich schlecht geschlafen", sagt Franke. Doch mittlerweile sei das Schlimmste vorerst überstanden. Statt alle zwei Stunden kontrollieren sie die Deiche inzwischen deshalb nur noch alle vier Stunden.
Ein paar hundert Meter weiter entdeckten Franke und seine Kameraden Dachsbauten, durch die Wasser in den Deich hätte eindringen können. Also rückten sie nach Weihnachten mit Sandsäcken und Plastikfolie an, um die Stelle abzudichten. Nun droht dort zwar für den Moment keine Gefahr mehr, aber nur ein paar Kilometer flussabwärts seien Feuerwehrleute in Martinsrieth noch immer mit der Deichsicherung beschäftigt, sagt Franke.
Dankbarkeit in der Bevölkerung in Kelbra
Am Ortsrand von Kelbra kommt ein älterer Mann, der direkt an der Helme wohnt, auf Franke zu. "Ihr habt einen guten Job gemacht", lobt der Mann. Die Feuerwehr sei immer schnell vor Ort gewesen und hätte an den richtigen Stellen Sandsackbarrieren gebaut. Bei ihm sei nur der Kartoffelkeller etwas nass geworden. "Wenn das hier alles vorbei ist, spende ich was an die Feuerwehr, das habe ich mir vorgenommen", sagt er und geht zurück zu seinem Haus.
Wenn das hier alles vorbei ist, spende ich was an die Feuerwehr, das habe ich mir vorgenommen.
Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft seien überall in der Hochwasserregion spürbar, sagt Michael Franke. In den sozialen Medien gebe es zwar auch Nörgler, die alles besser wüssten, "aber die freundlichen und dankbaren Leute sind klar in der Überzahl." Immer wieder kämen Leute aus dem Ort und brächten Kaffee oder Kuchen vorbei, erzählt er.
24-Stunden-Betrieb in der Einsatzzentrale der Feuerwehr
Im Kelbraer Feuerwehrgerätehaus gibt es für die Süßigkeiten und Heißgetränke derzeit viele Abnehmer. Nicht nur die Deichwachen haben dort ihren Aufenthaltsraum, im Obergeschoss ist zudem die Feuerwehreinsatzzentrale für die Verbandsgemeinde Goldene Aue eingezogen, zu der auch Kelbra gehört. Rund um die Uhr sitzen hier mindestens zwei Feuerwehrleute, meistens mehr, und koordinieren die Hilfseinsätze von Feuerwehr, THW und Freiwilligen in der Gemeinde.
In der großen Garage, in der normalerweise die Feuerwehrautos parken, stehen jetzt Bierbänke und große Tische. Rund 15 THW-Helfer, die seit ein paar Tagen im Sportlerheim nebenan untergebracht sind, bekommen hier ihre Mahlzeiten. Gekocht und geliefert wird das Essen von der Feuerwehr im wenige Kilometer entfernten Brücken.
Und wenn Privatleute anrufen und nach Sandsäcken fragen, werden die schon mal von der Feuerwehr angeliefert, erzählt Michael Franke. Mindestens zwölf Stunden täglich sei er momentan im Einsatz. Sein eigentlicher Job im öffentlichen Dienst ruht derweil, sein Arbeitgeber hat ihn für die Zeit des Hochwassers freigestellt.
Der Zusammenhalt und die gegenseitige Hilfe, in Kelbra funktionieren sie in diesen Tagen – doch es treten auch Probleme auf: Es zeigt sich etwa, dass eine kleine Ortsfeuerwehr wie die in Kelbra für Katastrophenlagen technisch nicht ausreichend ausgerüstet ist. So gehört der Beamer, der in der Einsatzzentrale die wichtigsten Informationen für jeden sichtbar an die Wand projiziert, nicht der Freiwilligen Feuerwehr oder der Verbandsgemeinde, sondern Michael Franke. Und auch einige der Laptops, die dort nun im Dauerbetrieb laufen, gehören dem Feuerwehrmann privat.
Hoffnung auf bessere technische Ausstattung
"Es fehlt vor allem an Kommunikationstechnik", sagt der stellvertretende Verbandsgemeindewehrleiter Matthias Römert. Mit den veralteten Laptops der Feuerwehr sei etwa die Tonqualität in den Videokonferenzen mit dem Katastrophenstab in Sangerhausen so schlecht, dass man kaum etwas verstehe.
Er hoffe, dass die Freiwilligen Feuerwehren in der Region nach diesem Hochwasser eine bessere Ausstattung für künftige Katastrophenfälle bekommen, sagt Römert noch.
Michael Franke blickt derweil verhalten optimistisch in die Zukunft. Der Scheitelpunkt des Hochwassers sei wohl überschritten. Auch die angekündigten Minustemperaturen in den nächsten Tagen könnten zunächst Entlastung bringen, da dann mit weniger Wasser aus dem Harz zu rechnen sei, das Talsperre und Helme weiter anschwellen lassen könnte. "Trotzdem werden wir hier bestimmt noch mindestens eine Woche lang im Einsatz sein", so Franke. "Und danach freue ich mich drauf, einfach Ruhe zu haben und abspannen zu können."
MDR (Lucas Riemer) | Erstmals veröffentlicht am 05.01.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 05. Januar 2024 | 19:00 Uhr
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