Anspannung, Beschimpfungen, Buh-Rufe "Viele sind total gereizt" – Stimmungsbericht vom Scholz-Besuch im Hochwassergebiet
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Von Tanja Ries, MDR SACHSEN-ANHALT
05. Januar 2024, 19:58 Uhr
Die Hochwasser-Lage an der Helme bei Oberröblingen bleibt angespannt. Und so ist auch die Stimmung in Oberröblingen. Gezeigt hat sich das auch beim Besuch des Bundeskanzlers am Donnerstag. Olaf Scholz war von einer kleinen Gruppe ausgebuht, teilweise beschimpft worden. Hier zeigt sich Frust, der womöglich nicht nur mit der aktuellen Katastrophenlage zu tun hat. Ein Stimmungsbericht.
- Beim Hochwasser-Besuch von Kanzler Scholz in Mansfeld-Südharz sind die Erwartungen an den Kanzler vielerorts gering.
- Ein Team, das sich um Lebensmittel für Helfer kümmert, ist frustriert, weil ihre Hilfe offenbar abgewiesen wird.
- Die Anfeindungen gegen Scholz kommen von einer kleinen Gruppe – ob der Kanzler sie überhaupt richtig mitbekommt, ist unklar.
Der Kanzler kommt, hieß es. Nach Oberröblingen. Einem für viele Deutsche bislang blinden Flecken auf der Landkarte. Bestimmt auch für Olaf Scholz. Doch seit Weihnachten steht auch der kleine Ortsteil von Sangerhausen im Landkreis Mansfeld-Südharz im Fokus – wegen des Hochwassers an der Helme.
Seit bald zwei Wochen kämpfen sie hier darum, den Deich zu halten. Bis zu 500 Einsatzkräfte, aber auch die rund 1.500 Einwohner. Wir sind zeitig in Oberröblingen. Gute zwei Stunden bevor der Politikertross, angeführt von Olaf Scholz, kommen wird.
Zahlreiche Reporter und Kamerateams beim Hochwasser
Mit uns sind zahlreiche Reporter und auch Kamerateams vor Ort. Die Straße über die Helmebrücke ist gesperrt. Die Brückenbögen sieht man kaum noch. Und auch Einwohner sieht man wenige. Auf einem Parkplatz gleich daneben dafür zahlreiche Sandsäcke. Und auch viele Einsatzkräfte der Feuerwehr oder vom THW.
Sie wirken ein wenig genervt. Kein Wunder. Eigentlich wollen sie hier in Ruhe ihre Arbeit machen. Den Deich kontrollieren. In einer schon vollgelaufenen Gartenanlage Wasser aus dem Mühlgraben pumpen, damit Häuser nicht von diesem überschwemmt werden. Und dann laufen hier so viele Reporter rum, stehen auch mal im Weg, stellen Fragen. Und bekommen selbst welche gestellt.
Geringe Erwartungen an Scholz-Besuch im Kreis Mansfeld-Südharz
"Warum seid Ihr alle heute hier? Wegen des Kaspers?", fragt uns ein Mann im Vorbeigehen. Hinter vorgehaltener Hand sagen hier viele, den Kanzler brauchen wir hier gerade eigentlich wirklich nicht. Die Erwartungen der Einwohner an diesen Besuch scheinen eher gering.
Wir treffen ein älteres Ehepaar und ihren Sohn. Er will die Eltern, die ihr Haus unmittelbar neben der Helmebrücke haben, gleich zum Einkaufen fahren. Gefragt nach den Erwartungen an den Besuch antwortet der Sohn: "Der Kanzler soll einen Scheck mitbringen. Wie wäre es damit?" Er meint damit aber noch nicht mal die Schadensregulierung nach dem Hochwasser.
Gruppe verarbeitet Lebensmittelspenden für Helfer
Auf Nachfrage erklärt er, dass in Oberröblingen gerade sehr viele Menschen viel in ihre Hilfe investieren, die Versorgung von freiwilligen Helfern zum Beispiel. Menschen, die Zeit und auch Geld in ihre Hilfe stecken und dass das dann nicht mal anerkannt werde. Darauf macht auch ein anderer Mann aufmerksam. Er erklärt, dass sogar freiwillige Helfer weggeschickt worden seien wegen des Kanzlerbesuchs.
Später am Tag, nachdem der ganze Kanzlertrubel sich gelegt hat, fahren wir zu einem nahegelegenen, ehemaligen Rittergut. Hier in einem der Nebengelasse werden Brötchen im Akkord geschmiert. Eine Gruppe von Menschen hat sich zusammengetan, nimmt Lebensmittelspenden an und verarbeitet sie. Der Raum ist gut gefüllt. Mit Menschen und Lebensmitteln.
Frust über abgewiesene Hilfe
Sie wollen die Helfer, die bei der Kälte am Deich stehen und Sandsäcke stapeln, versorgen. Mit heißen Getränken und etwas im Magen. Egal ob Einsatzkräfte oder freiwillige Helfer, die von überall nach Oberröblingen kommen. Aber sie werden abgewiesen, sagt Anja Bütof, die auf dem Gut lebt. Man merkt ihr und allen anderen den Frust an.
Sie machen den Katastrophenstab verantwortlich. Keiner sage ihnen, wohin sie sich wenden sollen. Die Lebensmittel seien aber nur zeitlich begrenzt haltbar. Die vom Landkreis eingerichtete E-Mail-Adresse, die freiwillige Hilfsangebote steuern soll, bringe nichts. Sie haben keine Antwort auf ihre Anfrage erhalten.
Helferin in Oberröblingen: "Ganz viele sind auch total gereizt"
Die Nerven sind angespannt. Wie die Stimmung im Ort ist, wollen wir wissen. "Angespannt und ganz viele sind auch total gereizt", sagt eine Frau in der Raucherpause. Sie interessiert der Kanzlerbesuch nicht. Sie haben andere Sorgen.
Zurück zur Helmebrücke. Der Hubschrauber mit dem Kanzler, der Umweltministerin und dem Ministerpräsidenten wird gleich erwartet. Auf dem durchweichten Sportplatz soll er landen. Der Landrat des Landkreises Mansfeld-Südharz, André Schröder, ist schon da. Er kommt aus dem Lagebesprechung des Katastrophenstabes. Von Entspannung noch keine Spur. Und doch möchte Schröder Zuversicht verbreiten, lobt den Einsatz und das Engagement der Helfer.
Landrat Schröder fordert Finanzhilfen für den Wiederaufbau
Und das soll ja auch Sinn und Zweck des Besuchs von Olaf Scholz sein. Schröder sagt, es gebe auch eine Zeit danach, in der wieder aufgebaut werde. Man erhoffe sich vom Bundeskanzler Aussagen, "wie uns der Bund und dann natürlich auch das Land helfen, die Krise auch finanziell zu bewältigen".
Da ist einfach kein Vertrauen. Schauen Sie doch ins Ahrtal. Da ist bis heute nicht alles repariert und bezahlt.
Ob's wirklich hilft? Ein älterer Mann hat da seine Zweifel. Seit fast 70 Jahren lebt er hier, hat so eine Hochwassersituation noch nicht erlebt. Auf die Politikerkarte will er nicht setzen. Vom Besuch erwarte er nichts. Als wir fragen, warum nicht, antwortet er: "Kein Vertrauen. Da ist einfach kein Vertrauen. Schauen Sie doch ins Ahrtal. Da ist bis heute nicht alles repariert und bezahlt." Er und seine Frau könnten Reparaturen im Haus nicht bezahlen, wenn es zum Äußersten käme. Sie haben erst vor drei Jahren alles renoviert.
Buh-Rufe gegen Scholz nach Helikopter-Landung
Dann wird es laut. Der Hubschrauber kommt, landet und die Politiker steigen aus. Als Olaf Scholz den Rasen des Sportplatzes betritt, wird er von einem Mann lautstark ausgebuht, er solle wieder verschwinden, ruft er außerdem. Solche Rufe gibt es während des Besuches ein paar Mal. Es ist ein Gruppe von vielleicht zehn Männern, die den Kanzler mitunter auch als "Verbrecher" beschimpfen und ihn auffordern, in die Helme zu springen.
Das alles aus sicherer Entfernung, denn Olaf Scholz ist umringt von Kamerateams und Fotografen. Man sieht ihn kaum in dieser Traube von Menschen. Auf die Beleidigungen reagiert er nicht. Vielleicht hat er sie nicht mal gehört. Er hört zu bei seinem Rundgang, kommt nicht nur mit Einsatzleitern ins Gespräch, sondern auch mit anderen Helfern.
Scholz dankt Lkw-Fahrer für dessen Einsatz
Auf der Helmebrücke fährt ein großer Lkw beladen mit Sandsäcken vorbei. Der Fahrer stoppt kurz, grüßt aus dem Fenster, der Kanzler kommt heran und schüttelt ihm die Hand und bedankt sich für seinen Einsatz – das berichtet er später stolz und fährt dann weiter, die nächste Ladung holen.
Nach einer Dreiviertelstunde ist der ganze Trubel vorbei. Die Kanzler-Karawane zieht weiter. Sie wollen noch nach Berga zur zentralen Abfüllstation für Sandsäcke.
In Oberröblingen kehrt nun wieder Ruhe ein zwischen all dem Wasser, Sandsäcken, Einsatzkräften. Katastrophen-Routine. Auch viele Hauseingänge und Fenster entlang der Straße sind mit Sandsäcken geschützt. Noch ist hier kein Haus vollgelaufen. Aber die Angst davor bleibt groß.
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MDR (Tanja Ries, Felix Fahnert)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Januar 2024 | 11:00 Uhr