Pilotversuch Künstliche Intelligenz hilft Schülern in Hohenmölsen bei ihren Texten
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01. November 2024, 16:26 Uhr
Ein KI-Tool kann Schülerinnen und Schülern helfen, ihre Texte zu verbessern. 35 Schulen im Land testen Fiete derzeit. Sachsen-Anhalt war das erste Bundesland, das einen solchen Test gestartet hat. Die Nutzungszahlen sind bislang überschaubar. Aber Lehrer und Schüler finden das Feedback-Tool gut. Der Test soll nun ausgeweitet werden, um zu entscheiden, ob Fiete an allen Schulen im Land eingesetzt wird.
- 35 Schulen im Land testen das KI-Feedback-Tool Fiete. Eine davon: das Agricolagymnasium in Hohenmölsen. Aufgaben dort waren eine Gedichtinterpretation und eine Argumentation im Ethikunterricht.
- Die Schüler in Hohenmölsen finden Fiete gut. Nur manche Handschrift kann das Tool noch nicht so gut erkennen. Daran arbeiten die Fiete-Macher aber bereits.
- Ob Fiete an alle Schulen im Land kommt, ist noch nicht entschieden. Unklar ist auch, was solche KI-Tools mit dem System Schule machen und ob sie Lehrer entlasten.
"Dicht wie die Löcher eines Siebes stehn / Fenster beieinander, drängend fassen / Häuser sich so dicht an, dass die Straßen / Grau geschwollen wie Gewürgte stehn", so beginnt das Gedicht "Städter" von Alfred Wolfenstein. Der in Halle geborene expressionistische Lyriker hat es 1914 verfasst. Im Herbst 2024 beugt sich am Agricolagymnasium in Hohenmölsen im Burgenlandkreis eine neunte Klasse über das Gedicht.
Bessere Gedichtinterpretation mit KI-Hilfe
"Dafür haben wir einen Link von unserem Deutschlehrer bekommen", sagt der 14-jährige Henri. Der Link führte zu einer Aufgabe auf der Seite von Fiete. Dort hatte der Lehrer die Aufgabe erstellt, Kriterien formuliert und das Gedicht hochgeladen. "Das Gedicht handelt davon, dass man sich in der Stadt sehr isoliert und sehr bedrückt fühlt. Es spielt zur Zeit des Expressionismus, den wir als Thema hatten", sagt Henris Mitschüler Friedrich.
Die Aufgabe des Lehrers lautete: "Analysiere und interpretiere in einem inhaltlich kohärenten und sinnvoll strukturierten Fachaufsatz das Gedicht 'Städter' von Alfred Wolfenstein." Dafür hatte die Klasse am Agricolagymnasium anderthalb Stunden Zeit. Bevor die Schüler ihre Texte endgültig über Fiete abgeben, untersucht das Tool, ob sie die Kriterien des Lehrers erfüllt haben – und gibt eine Rückmeldung, ein Feedback.
Ein Teil der Schülerinnen und Schüler in Hohenmölsen hat ihren Text direkt in den Computer geschrieben – ein anderer Teil hat ihn handschriftlich verfasst. Aber das habe nicht sehr gut funktioniert, sagt Henri. "Mein Sitznachbar hat eine Sauklaue und die KI hat nur bemängelt, sie könnte nichts lesen. Das ist dann schon schlecht."
Das kann und soll fiete.ai
Aber die Handschriftenerkennung wird derzeit verbessert, sagt Fiete-Macher Hendrik Haverkamp. Und er plant noch mehr: Lehrkräfte sollen bei Fiete noch in diesem Jahr Aufgaben untereinander austauschen und nutzen können – so muss nicht jede Aufgabe von jedem Lehrer neu angelegt werden. In ganz Deutschland habe man bereits 36.000 Lehrkräfte als Nutzer. Für die Fiete-Macher rechnet sich die Unternehmung offenbar: Fiete beschäftigt bislang fünf Mitarbeiter; weitere zwei bis drei sollen demnächst eingestellt werden.
Was Fiete schon jetzt kann: Das Feedback in einfacher Sprache geben oder es vorlesen – in 16 Sprachen, sagt Haverkamp. Für die Zukunft stellt er sich vor, dass das Tool den Schülerinnen und Schülern nicht nur für eine einzige Aufgabe Feedback gibt, sondern sie länger begleitet und so insgesamt zu einem besseren Lernerfolg beiträgt. "So kann Fiete ein Lern- und Denkbegleiter werden, Schüler permanent unterstützen und das Lernen sichtbar und individuell machen."
Johannes Schleiß ist Doktorand am Artificial Intelligence Lab der Uni Magdeburg. Er forscht zu KI und Bildung und sieht sogar noch weiter in die Zukunft: "Jetzt beginnt die Integration solcher KI-Tools. Und ich halte es für wahrscheinlich, dass wir in ein paar Jahren auf unserem Handy alle einen persönlichen Assistenten haben." Um den kompetent zu nutzen, brauche es eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Technologien in den Schulen.
Mit Fietes Feedback auf seine Gedichtinterpretation konnte der 14-jährige Henri in Hohenmölsen jedenfalls gut arbeiten. "Das Feedback ist natürlich nicht die richtige Lösung. Da stand dann, ich soll das Metrum noch einmal überprüfen. Man musst selbst drauf kommen", sagt er. Dass eine Maschine ihm Feedback gibt, findet er gut. "Es gibt mir Feedback, wenn der Lehrer mal nicht da ist. Es ist auch besser zum Üben für sich selbst."
Feedback: einfacher, schneller und häufiger
Schüler Friedrich sagt: "Bei längeren Texten können Lehrer nicht alles kontrollieren. Deshalb bekommen wir dann eher allgemeines Feedback." Fiete aber könne viel häufiger ein individuelles Feedback geben. Schüler bekommen von der KI also einfacher, schneller und vor allem häufiger Feedback als von ihren Lehrerinnen und Lehrern.
Das bestätigt auch der Schulleiter am Agricolagymnasium in Hohenmölsen, Frank Hoffmann. "Als Lehrkraft hat man den Anspruch an sich, den Schülerinnen und Schülern in regelmäßigen Abständen ein qualifiziertes Feedback zu geben." Das könne auch mal eine KI übernehmen. Mit Fiete könnten Schüler viel häufiger Feedback für ihre Aufgaben bekommen.
Hoffmann hat in einer Ethikstunde in einer elften Klasse Fiete genutzt. Seine Schüler sollten eine Argumentation zu einem Thema schreiben. Für ihn als Lehrer wertet Fiete aus, auf welchem Stand seine Schüler sind, sagt Hoffmann. "In der folgenden Unterrichtsstunde könnte man dann den Unterricht individuell an die Schülerinnen und Schüler anpassen und sie gezielter fördern." Weil Fiete den Lehrkräften einen schnellen Überblick darüber gibt, wo die ganze Klasse und die einzelnen Schüler stehen, kann eine permanente Lernstandserhebung entstehen.
KI-Bildungs-Experte: Guter Test, Wirksamkeit noch nachweisen
KI-Experte Johannes Schleiß von der Uni Magdeburg findet gut, dass KI-Tools an Schulen ausprobiert werden. "Man muss aber sicherstellen, dass solche Erprobungen wissenschaftlich begleitet werden." Nur so lasse sich nachweisen, ob Technologien Schülerinnen und Schülern beim Lernen helfen und Lehrkräfte entlasten.
Wichtig sei immer, die Nutzung von Technologien an Schulen aus der Pädagogik abzuleiten. "Feedback ist wichtig und wir wollen das unterstützen. Aber dabei denken wir nicht von der Technologie her", sagt Schleiß. In den USA gäbe es bereits mehr Erfahrungen: Dort nenne sich das Ganze "Automatic Essay Scoring".
Im Audio sagt ein Forscher, inwieweit KI an Schulen eine gute Idee ist.
Kommt Fiete an alle Schulen in Sachsen-Anhalt?
Sachsen-Anhalt war das erste Bundesland, das das Tool seit den Osterferien testet. Mittlerweile sind Bayern und Nordrhein-Westfalen nachgezogen. In 35 Schulen aus allen Schulformen in Sachsen-Anhalt haben jeweils zwei Lehrkräfte einen Zugang bekommen. Rein rechnerisch sollten so bis zu 7.000 Schülerinnen und Schüler Fiete testen. Wie viele es tatsächlich genutzt haben, ist unklar.
Um endgültig zu entscheiden, dass alle Schulen im Land Fiete nutzen können, soll der Test nun ausgeweitet werden. "Wir sind zuversichtlich, dass diese Erweiterung wertvolle Erkenntnisse liefern wird, die sowohl den Lehrkräften als auch den Schülerinnen und Schülern zugutekommen", schreibt Sachsen-Anhalts Bildungsministerium.
Der Test würde vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel wissenschaftlich begleitet. Bislang haben die Forscher aber wohl zu wenig Daten. "Für die wissenschaftliche Begleitung ist jedoch eine breite Datenbasis Voraussetzung", schreibt das Bildungsministerium.
Werden Lehrkräfte durch Fiete entlastet?
In Hohenmölsen kam Fiete bisher nur zwei Mal zum Einsatz. Auch wenn dort alle mit Fiete zufrieden waren: dass es nur zwei Mal genutzt wurde, steht der Aussage der Bildungsministerin entgegen. Sie hatte in Aussicht gestellt, dass das Tool die Lehrkräfte entlastet. Dabei kam Fiete als neues Werkzeug zum Schulalltag hinzu, ohne dass etwas anderes dafür wegfiel.
Womöglich könnte die Entlastung aber anders kommen als politisch propagiert: Am Agricolagymnasium in Hohenmölsen kann sich Schulleiter und Lehrer Frank Hoffmann nämlich eine Entlastung vorstellen, die sogar Schülerinnen und Schüler treffen würde.
Lernt es sich mit KI entspannter an Schulen?
Ein KI-Tool könnte sich also in einem Punkt entscheidend auf Schulen auswirken: Wenn Schüler permanent Feedback für ihre Aufgaben bekommen und Lehrer immer einen Überblick über den Lernstand haben und deshalb weniger Tests schreiben – könnte Schule für alle entspannter werden.
MDR (Marcel Roth)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. November 2024 | 17:40 Uhr
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