Letzte Podcast-Folge "Digital Leben" Was Sachsen-Anhalts digitale Gesellschaft nervt und worauf sie sich 2025 freut
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14. Dezember 2024, 07:00 Uhr
Es gibt ordentlich Grund zu meckern: über die Digitalpolitik in Sachsen-Anhalt und Deutschland, über mangelndes Digitalwissen in Gesellschaft und Unternehmen und darüber, wie unbesorgt Menschen mit ihren Daten umgehen. Das ärgert auch viele Digital-Expertinnen und Experten aus Sachsen-Anhalt. Auf 2025 blicken sie trotzdem hoffnungsvoll.
- Staatssekretär und Oppositionspolitikerin, IT-Unternehmer aus Magdeburg und Halle, Datenschutzbeauftragte und Digitalpolitikerin, Experten und Macher für digitale Bildung, Open-Source-Fans und digital Engagierte – mehr als 100 Gesprächspartner gab es im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben".
- In der letzten Folge des Podcasts machen sie sich Gedanken über das Digitale, die Gesellschaft und Deutschland. Vieles läuft nicht optimal.
- Aber das neue Jahr ist wie immer voller Möglichkeiten und wartet darauf, gestaltet zu werden. Am liebsten möglichst besonnen.
Den Wunsch hatte schon Gerhard Schröder in seiner Zeit als Bundeskanzler: "Die Daten sollen laufen, nicht die Bürger." Aber auch 2024 gilt noch: Wenn ein Amt Bürgerinnen und Bürger auffordert, Daten zu besorgen, dann holen Bürger diese Daten mitunter von einem anderen Amt. Bürger als Bedienstete und Postboten für Ämter. Denn Ämter und Behörden können nur wenige Daten teilen.
Damit das in Zukunft nicht mehr so ist, soll die sogenannte Registermodernisierung kommen. Dazu haben alle Ministerpräsidenten gerade einem Staatsvertrag zugestimmt.
Aber Bernd Schlömer (FDP), Staatssekretär im Digitalministerium in Sachsen-Anhalt, ist pessimistisch, dass dieser Vertrag Großes leistet: "Da haben die Federführer eine Governance entwickelt, die nicht funktionieren wird." Seit vielen Jahren sei bekannt, wie digitale Projekte aufgesetzt werden müssten, um erfolgreich zu sein.
"Aber wir fangen wieder an, endlose Arbeitskreise, Steuerungsgruppen, Haushaltsvorbehalte oder verfassungsrechtliche Bedenken zu äußern." Vielleicht drehe sich die Lage noch, sagt Schlömer im MDR SACHSEN-ANHALT-Podcast "Digital Leben". Sachsen-Anhalt hatte mit Bremen einen Alternativvorschlag gemacht, der keine Mehrheit fand.
Vorgezogene Bundestagswahl 2025: Neue Chance für die Digitalpolitik
Bernd Schlömer glaubt, dass die Bundestagswahl ein günstiges Umfeld für Staatsmodernisierung und Digitalisierung bildet und 2025 ein gutes Jahr für die Digitalisierung wird. "Schnelle Wahlen im Februar führen zu einer schnellen neuen Bundesregierung." So könne man Digitalisierung, Staatsmodernisierung und Verwaltungsmodernisierung neu aufsetzen und höher gewichten, sagt Schlömer.
Dass nach der Wahl die Digitalpolitik neu aufgestellt wird, hofft auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Petra Sitte aus Halle. Sie tritt zwar nicht noch einmal zur Wahl an, sagt aber "Ich würde mich freuen, wenn es endlich Digitalpolitik aus einem Guss gäbe."
Ein Minister oder eine Ministerin sollte digitale Kernkompetenzen mitbringen, Entscheidungsbefugnisse und ein eigenes Budget haben. Sie wünscht sich, dass der Digitalausschuss im Bundestag gestärkt wird, dass es in der öffentlichen Verwaltung beim Digitalen vorwärtsgeht, dass IT-Sicherheit besser finanziert wird und dass bei IT-Fragen auch auf den Energieverbrauch geschaut wird.
Jörg Müller: Haben verlernt, uns zu verändern
Jörg Müller ist ziemlich enttäuscht, wie wenig digital Deutschland ist. Er ist Mitorganisator des SAP-Stammtischs in Magdeburg, bei dem sich IT-Expertinnen und Experten etwa einmal im Monat über verschiedene digitale Themen austauschen. Müller sagt: "Wir konnten den Rückenwind von Corona nicht nutzen. Inzwischen habe ich fast den Eindruck, dass wir gerade ein paar große Schritte zurück gemacht haben." Am Ende ginge es oft nur um Macht und Egos.
Dabei bedeute digitale Transformation nicht nur technischen Fortschritt, sondern auch Veränderung und Anpassung. Aber: "Wir haben verlernt, dass wir uns weiterentwickeln und verändern müssten. Dazu wäre jetzt die Zeit und wir bekommen das leider nicht mehr hin." Deutschland sei zu träge; es sei wohl einfacher, am Gewohnten festzuhalten. Das würde auch den Fachkräftemangel verschärfen, weil Fachkräfte Organisationen wegen ihrer Unternehmenskultur meiden könnten.
Jörg Müller versucht aber trotzdem, optimistisch ins neue Jahr zu blicken. "Ich glaube, dass wir noch genug kluge Köpfe haben, die unseren Wohlstand sichern können, wenn man sie lässt." Er will sich 2025 nicht mehr darauf konzentrieren, die Menschen mitzunehmen, wenn sie nicht wollen. "In den Organisationen bestimmen meistens die Langsamen den Takt. Aber wer zur Spitze aufschließen will, muss eine Zeit lang schneller laufen als die Führenden. Ich möchte 2025 wieder weit vorn mitlaufen!"
Ich glaube, dass wir noch genug kluge Köpfe haben, die unseren Wohlstand sichern können, wenn man sie lässt.
Frederik Kramer: Digitaler Wissensnotstand in Deutschland
Frederik Kramer, Geschäftsführer des IT-Unternehmens initOS in Magdeburg, nervt der allgemeine digitale Wissensnotstand in Deutschland. "Dabei fängt alles ganz undigital an: Wir müssen flächendeckend bereit sein, Prozesse ganz neu zu denken und die jahrzehntealten Strukturen aufzubrechen." Es würden Fachleute fehlen, die sich mit Wandlungsprozessen und Digitalisierung auskennen. Sie bräuchten Kompetenzen und Vertrauen.
Kramer hält vor allem das Prinzip "Public Money, Public Code" für wichtig. Der Grundsatz besagt, dass Software, die für die öffentliche Verwaltung entwickelt wird, Open Source sein sollte. Das stehe zwar in vielen politischen Papieren: "Aber wir müssen endlich aus den Absichtserklärungen ins Machen kommen", sagt Kramer. Das würde kurzfristig wohl teurer, weil Strukturen und Prozess verändert werden müssten und deshalb Zeit kosteten. Langfristig würde es aber erheblich Einsparungen geben. "Public Money, Public Code sorgt auch für Vertrauen in politische Akteure und ihren Willen zum Wandel." Außerdem könne sich die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft einbringen. "Das wäre eine heilsame Kur gegen die derzeitige Meckerhaltung vieler Menschen."
2025 will Frederik Kramer dabei helfen, dass die öffentliche Hand und die mittelständische Wirtschaft in Sachsen-Anhalt weniger von großen Anbietern abhängen. "So kann das Land auf die digitale Überholspur kommen. Gemeinsam sind wir stark, wenn sich viele Menschen für Open Source und das Prinzip ‘Public Money, Public Code’ engagieren."
Mathias Magdowski: Digitale Lehrer bringt Verwaltungsdigitalisierung voran
Für Mathias Magdowski krankt vieles bei der Digitalisierung der Verwaltung. Die vielen PDF-Formulare seien definitiv keine Lösung für einen schönen digitalen Prozess, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter der Uni Magdeburg. "Sie sind eher das Problem, weil sie die alten analogen Prozesse elektrifiziert und zementiert und sinnvollere digitale Prozesse verhindert haben."
Magdowski gilt als eines der Vorbilder moderner Hochschullehre in Sachsen-Anhalt. Er freut sich, dass die Uni Magdeburg 2025 ein Kompetenzzentrum für digitales Lernen und Lehren bekommen soll. Das soll herausfinden, wie Lehren und Lernen in einer Kultur der Digitalität möglichst gut funktionieren. "So können digitalisierungsaffine und engagierte Lehrpersonen und Studierenden möglichst gut unterstützt werden. Und vielleicht hilft das von hinten rum auch unserer Verwaltungs-Digitalisierung auf die Sprünge", sagt Magdowski.
Kay Adenstedt: Digitale Kompetenzen in Schule verbessern
Kay Adenstedt leitet den Fachbereich "Digitalität in der schulischen Bildung" am "Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt" (LISA). Er verweist auf die bescheidenen Ergebnisse einer aktuellen Studie, nach der sich die digitalen Kompetenzen der deutschen Schülerinnen und Schüler eher verschlechtern haben. "Viele Anstrengungen die letzten Jahre zeigen noch keine Erfolge. Das veranlasst mich zu großer Demut, weiter tatkräftig die nächsten Schritte zugehen und nicht aufzuhören."
Adenstedt leitet den Fachbereich "Digitalität in der schulischen Bildung" am "Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt" (LISA). Er hat dort dafür gesorgt, dass Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt einen datenschutzkonformen Zugang für ChatGPT bekommen und an einigen Schulen im Land ein KI-Feedback-Tool für Schülerinnen und Schüler getestet wird.
2025 will er Lernsoftware für Schüler weiter ausbauen und mehr digitale Tools bereitstellen; zum Beispiel für Mathematik und den MINT-Bereich. Außerdem will er Selbstlernangebote zur Medienkompetenz bereitstellen und weiter an der Lehrerfortbildung arbeiten. "Wir haben schon mehr als 50 Prozent der Lehrerschaft in Sachsen-Anhalt mit KI-Fortbildungen erreicht. So sind Lehrerinnen und Lehrern zu aktiven und produktiven Anwendern von generativer KI geworden."
Maria Christina Rost: Bewusster mit eigenen Daten umgehen
Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragte Maria Christina Rost ist im digitalen Raum gerade von zwei Dingen genervt: den Cookies auf Internetseiten und manchen Menschen, die ohne Hemmung ihre Daten preisgeben. "Menschen breiten sich digital aus, teilen alles Mögliche mit und denken keine Sekunde darüber nach, dass die Sachen nicht mehr zurückgeholt werden können. Und dann beschweren sie sich bei uns." Die Cookie-Einstellung für Webseiten sind ein weiteres Ärgernis. "Ich versuche, Cookies abzuwenden und nur die notwendigen und erforderlichen anzunehmen. Aber ich muss häufig suchen, bis ich die richtige Stelle finde, wo ich was einstellen kann." Das gehöre verbessert, sagt Rost.
Im neuen Jahr will Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragte neue Projekte starten und sich mit Schülerinnen und Schülern, Lehrern und Eltern über Datenschutz, Digitalisierung und Verteidigung im Netz austauschen. "Ich möchte die Errungenschaften der Digitalisierung nämlich nicht missen", sagt Rost. Für sie gehen Datenschutz und Digitalisierung nämlich Hand in Hand.
Stefan Mey: Besser Lösungen sind längst da
Stefan Mey dagegen ist genervt vom Genervtsein. Der Autor und Journalist aus Halle sagt, Medien, Politik, Unternehmen, Wissenschaft, Zivilgesellschaft scheinen in digitale Probleme verliebt zu sein. "Sie beschweren sich permanent über die digitalen Machtverhältnisse, über Datensammelei, über Fake News und Steuervermeidung von IT-Konzernen." Dabei gebe es eine digitale Befreiungs- und Widerstandsbewegung: "Ein Universum von hunderten freier Digitalprojekten, die zu fast jedem Big-Tech-Produkt eine Alternative anbieten." Mastodon statt Twitter, Linus statt Windows, Signal statt WhatsApp, Firefox statt Chrome, LibreOffice statt Microsoft Word, OpenStreetMap statt Google Maps – Mey ist Open-Source-Fan.
Nur ein paar dieser Open-Source-Alternativen seien erfolgreich – die meisten seien zu wenig bekannt. "Und statt dafür zu sorgen, dass sich das ändert, wird einfach immer wieder über Big Tech geklagt", sagt Mey. Medien sollten mehr über freie Alternativen berichten, Politik sollte sie stärker fördern, Unternehmen und Organisationen sollten sich fragen, ob sie die freien Projekte nutzen können. Einige von ihnen sind in Mitteldeutschland verwurzelt.
Stefan Mey will im neuen Jahr mehr über digitale Alternativen berichten. "Und ich möchte mehr lernen, meinen Job als freier Journalist zu genießen und mich weniger über die schlechte Bezahlung zu ärgern." 2025 will er sich mit einem neuen Open-Source-Thema beschäftigen: freie KI. "Da tut sich gerade viel und es ist langsam Zeit, für einen Zwischenstand und Überblick über die Szene."
Martina Müller: Komplexe Vorgaben behindern Schul-IT
Auch Martina Müller liegen Open-Source-Projekte sehr am Herzen. Sie leitet die Schul-IT im Landkreis Harz und hat mit einer finnischen Firma allen 13-tausend Schülerinnen und Schülern an den 40 weiterführenden Schulen im Landkreis Harz gebrauchte Business-Laptops mit Open-Source-Software ausgestattet. Aber Martina Müller ist von endloser Bürokratie genervt. "Ich arbeite seit 2017 für den Landkreis Harz. Aber so kompliziert wie jetzt war es noch nie." Vorgaben von Land, Bund und EU machten es vor Ort immer schwerer, neue, gute und dringende Projekte umzusetzen, Förderprogrammen umzusetzen, würde immer schwieriger.
2025 will sie wieder mehr mit den Lehrkräften in Kontakt kommen – das komme aktuell zu kurz, weil sie mit der Abrechnung vom Förderprogramm "Digitalpakt Schule" beschäftigt sei. "Wir arbeiten im nächsten Jahr aber an spannenden Projekten, wie zum Beispiel der Integration einer Open-Source-Prüfungsplattform für Schulen."
Marian Kogler: Verrückte Ideen wagen
Marian Kogler ist Geschäftsführer des IT-Sicherheitsunternehmens syret in Halle. Der gebürtige Österreicher wird bei der Frage, was ihn nerve, grundsätzlich: "Mich nervt am meisten, dass man gern so tut, als könnte man eine neue Technologie irgendwie verhindern." Natürlich könne man sie verbieten oder regulieren. "Aber wenn man sie nicht selbst zu guten Zwecken nutzt, heißt das nicht, dass sie dann weg ist. Das heißt dann nur, dass sie von anderen nicht zu guten Zwecken genutzt werden kann."
2025 will Kogler die eine oder andere verrückte Idee ausprobieren: "Ich möchte nicht sagen, das wird sowieso nichts, sondern die Ideen einfach einmal umzusetzen oder zumindest versuchen umzusetzen."
Ann Cathrin Riedel: Mehr Besonnenheit und Denken nicht vergessen
Ann Cathrin Riedel ist Mitglied in Sachsen-Anhalts Digitalrat, der die Digitalministerin beraten soll. Sie ist genervt davon, dass manche Leute das Denken vergessen. "Wir haben ständig hitzige Diskussionen und später merkt man, dass man vielleicht etwas mehr nachdenken, jemanden fragen oder etwas googeln hätte sollen." Denn dafür sei das Digitale besonders gut. Deshalb wünsche sie sich für 2025, dass die Leute häufiger mal die Zeitung gucken – digital oder auf Papier. "Ein bisschen mehr Ruhe, ein bisschen mehr Nachdenken, ein bisschen mehr Besonnenheit tut uns allen und jedem einzelnen selbst richtig gut."
MDR (Marcel Roth)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 13. Dezember 2024 | 10:10 Uhr
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