Podcast "Digital leben" Digitale Technologien machen das Finanzwesen besser – und schlechter
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16. November 2024, 08:22 Uhr
Die Finanzkrise 2008 hat die Bankenwelt erschüttert. Sie war auch deshalb möglich, weil digitale Technologien eingesetzt werden konnten. Risiken gibt es auch heute. Und digitale Technologien machen das Finanzwesen nicht automatisch besser oder gar sicherer.
- Die Finanzkrise 2008 wäre so wohl ohne digitale Technologien nicht möglich gewesen. Das Buch eines Bankers erzählt den Hintergrund der Krise anschaulich.
- Der Finanzwissenschaftler Elmar Lukas warnt auch heute vor Fehlern, die zu einer Finanzkrise führen könnten.
- Eine neue Organisation will, dass die Gesellschaft mehr Einfluss auf den Finanzsektor hat. Denn es drängen mittlerweile auch große US-Daten-Konzerne in dei Finanzmärkte.
Es ist ein bedrückendes Zitat im Buch "Trust – Ein Finanzthriller": Am Ende der Finanzkrise 2008 sitzen Banker, Politiker und Experten zusammen und beratschlagen darüber, was falsch gelaufen ist und was sich ändern muss. Und es fällt der Satz: "Diejenigen, die zu den Verlierern im bisherigen System gehört haben, sind es auch weiterhin. Diejenigen, die zu den Gewinnern des Systems gehörten, sind auch weiterhin Gewinner."
Jeder hat sich an seine Rolle gewöhnt. Warum sollte dieses geändert werden?
Geschrieben hat "Trust" Stefan Polter. Er ist Regionaldirektor bei der Münchener Hypothekenbank eG und als solcher für Sachsen-Anhalt zuständig. Seine Bank ist genossenschaftlich organisiert, vergibt Immobilienkredite über die Volks- und Raiffeisenbank und Polter hält sie für eine gute Bank.
Banker 2008: Gottes Werk
Polters Buch "Trust" begleitet das Leben von zwei Bankern seit Mitte der 1970er Jahre und erklärt, wie es zur Finanzkrise 2008 kommen konnte. Wissenschaftler und Banker erfinden Finanzprodukte; ein Schneeballsystem reißt das ganze Finanzsystem in den Abgrund. "Die Menschen sind erfunden. Aber die Systematik, die Herangehensweise, die Strukturierung der Finanzmarktpapiere, ihre weltweite Verteilung und die Aufarbeitung – all das ist real", sagt Polter im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben".
Polter kann sich genau erinnern, wann er die Idee zu seinem Buch hatte: "Am 9. November 2009 stand ein Zitat des führenden Investmentbankers, der Chef von Goldman Sachs, in der Presse: ‘I'm a banker doing God's work.‘" Ein Banker, der Gottes Werk verrichtet. "Diese Hybris hat mich auf die Palme gebracht", sagt Polter.
Die Figuren in seinem Buch argumentieren, dass die Wirtschaft laufen muss, weil die Wirtschaft laufen muss. Ihre Erklärung für die Finanzkrise: Weil weniger Häuser verkauft wurden, hat man den Menschen, die sich Häuser nicht leisten konnten, Kredite gegeben. Aus diesen Krediten wurden neue Finanzkonstruktionen gemacht, erfunden. Sie sollten das Risiko minimieren. Das hat nicht geklappt. Polter sagt, auch heute könnte es grundsätzlich zu einer Finanzkrise wie 2008 kommen. "Nicht identisch aber in ähnlicher Art und Weise."
Finanzkrise 2008: die digitale Mitschuld
Außerdem: "2008 wäre ohne digitale Technologien nicht möglich gewesen." Sie seien nicht schuld gewesen aber ein Werkzeug. "Denn die Datenmengen und das Verteilen der Kredite in der Welt wäre ohne Digitalisierung gar nicht möglich gewesen."
Das sieht auch Elmar Lukas so. Er ist Professor für BWL insbesondere Innovations- und Finanzmanagement, unterrichtet Financial Engineering und sein Lehrstuhl betreibt das FintechLab an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. 2008 habe es Ansteckungseffekte gegeben. Und Lukas sagt: "Die Fehler werden wiederkommen. Das Absichern von Krediten oder irgendwelchen Gütern ist eine Art Urtrieb." Beispielsweise hätte 2008 eine Bank in Schleswig-Holstein ihr Risiko in der Schiffsindustrie loswerden wollen und nach Bayern oder in die USA verkaufen können. "Das Handelbarmachen solcher Assets mit Wasser, Lebensmitteln, Rohstoffen oder Wetter passieren."
Risiko vermeiden oder Spekulation ermöglichen?
Ein Risiko klein zu halten, sei zum Beispiel im Immobilienbereich nichts Schlechtes, sagt Lukas: "Kommunen können so flexible oder variable Zinsen absichern. Da sind diese ‘Waffen’ gut, weil sie vor Verlusten schützen. Aber man kann das auch umdrehen und darauf spekulieren."
Hinter jedem Handeln muss Moral stecken. Wenn dahinter keine Moral steckt, kann man mit jedem Instrument etwas Böses machen.
In Lukas’ FintechLab an der Uni Magdeburg versuche man, digitale Technologien und ihre Disruption für die Finanzwelt begreifbar und zugänglich zu machen. Lukas sagt, er kommt aus der Naturwissenschaft. "Und mit komplexer Mathematik lässt sich die Zukunft der Finanzwelt ein wenig testen."
Auch Carolina Melches von der "Bürgerbewegung Finanzwende" glaubt, dass die Finanzkrise 2008 ohne digitale Technologien in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen wäre: "Denn durch die Digitalisierung wurden extrem komplexe Prozesse und Verfahren überhaupt erst möglich. Das darf aber nicht heißen, dass die Digitalisierung im Großen und Ganzen schlecht ist."
Digital-Konzerne wollen in Finanzmärkte dringen
Sie sei ein Prozess, der von öffentlicher Seite begleitet werden müsse. Die Organisation Finanzwende setzt sich für faire und stabile Finanzmärkte ein und versucht, neben der Finanzlobby der Gesellschaft eine Stimme auf den Finanzmärkten zu geben. Finanzwende wurde vom ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick gegründet. Seit diesem Jahr ist die ehemalige Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker Finanzwende-Geschäftsführerin. Sie hatte gegen Cum-Ex-Verdächtige ermittelt.
Melches sagt, es lasse sich kaum sagen, ob digitale Technologien die Finanzmärkte besser oder schlechter gemacht hätten. Es sei eine Medaille mit zwei Seiten. "Viele neue Anwendungen sind total bequem für den Endnutzer. Aber dahinter stecken oft riesige Konzerne, die in anderen Bereichen schon viel zu groß und viel zu mächtig sind." Konzerne würden sich mit dem Finanzmarkt einen weiteren Lebensbereich der Gesellschaft erschließen, wertvollste Daten einsammeln und seien kaum zu kontrollieren, sagt Melches im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben".
Allzu selbstverständlich gehen wir davon aus, dass Vertrauen einfach so besteht, aber Vertrauen aufzubauen ist ein langer Weg. Andererseits ist Vertrauen in wenigen Augenblicken verspielt. Dabei ist Vertrauen der Kitt unserer Gesellschaft. Ohne Vertrauen gibt es keine Werte.
Autor und Banker Polter glaubt, dass die wichtigste Währung das Vertrauen ist. Es schwinde, je größer ein Unternehmen oder eine Organisation werde. "Bei einer global agierenden Bank habe kann man schnell sagen, sie diene nur ihrem eigenen Interesse." Bei Volks- und Raiffeisenbanken und Sparkassen sei das anders. Trotzdem vertraue er den Banken. "Alles andere wäre eine große Überraschung". Vertrauen habe etwas mit "in die Augen schauen" zu tun. "Ich glaube nicht, dass wir das digital machen können."
MDR (Marcel Roth)
MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir
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