Medizinische Versorgung Wie sich der Ärztemangel in Sachsen-Anhalt bemerkbar macht
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15. Juni 2022, 18:01 Uhr
In Sachsen-Anhalt sind aktuell etwa 300 Arzt- und Psychotherapeutenstellen unbesetzt. In den nächsten Jahren wird sich diese Zahl weiter erhöhen. Die Auswirkungen des Mangels sind allerdings schon jetzt spürbar: Patientinnen und Patienten müssen zur Arztpraxis nicht nur weitere Fahrtwege in Kauf nehmen, sondern auch länger auf einen Termin warten. Besonders betroffen ist unter anderem die Region Dessau-Roßlau. Ein Besuch.
- In Dessau-Roßlau sind aktuell 15 Hausarztstellen unbesetzt.
- Durch die höhere Anzahl an Patienten, die in den Praxen behandelt werden müssen, kommen persönliche Gespräche oft zu kurz, bemängelt Dr. Ulrike Meister, Hausärztin in Dessau-Roßlau.
- Über den Terminservice der Kassenärztlichen Vereinigung werden Facharzttermine innerhalb von vier Wochen vergeben.
Vor der Hausarztpraxis von Dr. Ulrike Meister hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Pünktlich zu Beginn der Sprechstunde öffnen sich die Praxistüren und die Patientinnen und Patienten betreten den modernen Wartebereich. Grüne Wände mit Holzvertäfelung, graue Polstermöbel und ein Wasserspender im Gang: 20 bis 30 Patienten werden hier jeden Tag behandelt.
Voraussetzung ist, dass sie im Einzugsgebiet Dessau-Nord und Zentrum leben. Die Hausarztpraxen in der Stadt teilen sich die Patienten auf. Noch seien dafür genügend Hausärzte in Dessau-Roßlau im Dienst, erzählt Ulrike Meister. Der Ärztemangel in Sachsen-Anhalt hinterlässt aber auch bereits hier Spuren: Aktuell sind in der Region 15 Hausarztstellen unbesetzt, weitere werden in den kommenden Jahren dazukommen.
Weniger Zeit für persönliche Gespräche beim Arzt
"Es gibt Praxen von älteren Kollegen, die haben schon von vornherein die Patientenaufnahme gedrosselt", erzählt Ulrike Meister. Auch in ihrer Praxis sei die angespannte Situation zu spüren. "Wir haben viele Anfragen und dadurch natürlich auch weniger Zeit für den einzelnen Patienten. Wir merken, dass wir teilweise ganz schön durchschleusen müssen, damit wir alles schaffen." Die privaten Gespräche, die besonders die älteren Patienten gern hätten, kämen dadurch oft zu kurz, gibt die 48-Jährige zu.
Wir merken, dass wir teilweise ganz schön durchschleusen müssen, damit wir alles schaffen.
Ulrike Meister betreibt ihre Praxis seit 2008 – zunächst nur als Fachärztin für Innere Medizin. Da aber immer mehr Hausärzte in der Region fehlten, entschied sie sich, ihr Angebot zu erweitern. Dass es schon seit Kindheitstagen ihr Traum war, als Hausärztin zu praktizieren, kam begünstigend hinzu. Allerdings wollte sie ursprünglich auf dem Land arbeiten. Schließlich fehlen dort bekanntlich die meisten Arztpraxen. Am Ende hielt es sie aber doch in der Stadt.
So wie Ulrike Meister geht es vielen jungen Medizinerinnen und Medizinern nach dem Studium. Das Leben in der Stadt erscheint attraktiver als auf dem Land. Auch der Wunsch nach familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten, die Frage nach der lokalen Infrastruktur und finanzielle Anreize können eine Rolle spielen. Projekte wie die Landarztquote oder Stipendien einzelner Städte und Kommunen versuchen, wieder mehr junge Medizinstudierende aufs Land zu ziehen. Doch bis die Programmteilnehmenden ihr Studium abgeschlossen haben, werden noch einige Jahre vergehen.
Ärztemangel in Sachsen-Anhalt bahnt sich seit 90er Jahren an
Das Problem des Ärztemangels in Sachsen-Anhalt zeichnet sich schon seit vielen Jahren ab. Die Kassenärztliche Vereinigung warnte bereits 2002 vor einem möglichen Ärztemangel und begann mit dem Anwerben von Medizinern und Medizinerinnen aus dem Ausland. Der Ursprung des Problems liege nicht in der sogenannten Bedarfsplanung, sondern habe sich schrittweise durch die verringerte Anzahl an Medizinstudienplätzen angebahnt, die Anfang der 1990er Jahre gekürzt wurden, erklärt Bernd Franke von der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KSVA). Auch die sich veränderten Ansprüche an die Work-Life-Balance sowie die Möglichkeit für Medizinstudierende, auch in versorgungs- und patientenferne Tätigkeiten zu gehen, würden zu dem aktuellen Mangel an Ärzten beitragen.
Was ist die Bedarfsplanung?
Mit der Bedarfsplanung setzt die Kassenärztliche Bundesvereinigung fest, wie viele Ärzte sich an welchem Ort niederlassen dürfen. Die Planung soll eine wohnortnahe Versorgung gewährleisten. Seit der Reform der Bedarfsplanung 2019 wird die Zahl der Ärzte, die sich an einem bestimmten Ort niederlassen können, jedes Jahr auf die Entwicklung der Bevölkerung angepasst.
2019 wurde die Bedarfsplanung in Sachsen-Anhalt noch einmal angepasst. Neue Stellen wurden geschaffen, die allerdings nicht besetzt werden können. Engpässe in der Versorgung treten neben den Hausärzten besonders bei Hautärzten, Nervenärzten, Augenärzten und Frauenärzten spürbar auf.
Terminservicestellen sollen Entlastung bringen
Wer einen Termin beim Facharzt oder Psychotherapeuten sucht, kann sich auch an die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung wenden. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSGV), das 2019 in Kraft trat, ist das Angebot unter der Rufnummer 116117 bundesweit 24 Stunden erreichbar und vermittelt jeder versicherten Person innerhalb von vier Wochen ein Terminangebot beim Arzt.
In der Bevölkerung scheint dieser Service aber noch nicht jedem bekannt zu sein. "Bei mir ist die Anfrage nicht so groß und auch bei den Fachärzten höre ich, dass das überschaubar ist", erzählt Ulrike Meister. Grundsätzlich würden die Patienten eher in die offene Sprechstunde kommen. Über die Terminservicestellen könnten nur wenige Patientinnen und Patienten in ihre Praxis vermittelt werden. Etwa drei bis vier im Monat seien es. Die Hälfte davon lasse den ausgemachten Termin zudem verfallen – ein Problem, das auch die KSVA zuletzt bemängelte und sogar über einen Ausschluss der jeweiligen Patienten von der Nutzung der Terminservicestellen nachdenkt.
Für die Vermittlung vom Hausarzt zum Facharzt sei durch das TSGV aber vieles einfacher geworden, so Ulrike Meister. "Ich muss mich nicht mehr kümmern. Die Patienten kriegen einen Überweisungscode, können in den Servicestellen anrufen und dann wird die Vermittlung zentral geregelt." Das TSGV sei für sie eine gute Sache und funktioniere auch. Manche Patienten, die sie darüber zu Facharztpraxen vermittelt, seien allerdings nicht so glücklich darüber, dass sie dafür dann auch mal in die nächste Stadt fahren müssten.
Mehr Kollegialität könnte die Terminvergabe erleichtern
Deshalb wünscht sich Ulrike Meister, dass die Terminvergabe auch auf dem kurzen Weg besser funktionieren würde und Patienten direkt zu Facharztpraxen in Dessau-Roßlau vermittelt werden könnten: "Es wäre schön, wenn mehr Kollegialität herrschen würde, ohne dass man über die Terminservicestellen gehen muss." Das Problem sei hier aber, dass viele Fachärzte bereits ihren Patientenstamm voll hätten, den sie immer wieder bestellen. Darüber hinaus gebe es dann auch keine finanzielle Entschädigung mehr. Deshalb würden keine neuen Patienten mehr aufgenommen.
MDR (Sarah-Maria Köpf, Katharina Gebauer, Engin Haupt)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. Juni 2022 | 19:00 Uhr
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