Podcast "Digital leben" Die Zukunft des Gesundheitswesens
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27. März 2022, 12:45 Uhr
Start-Ups, Wissenschaftler und eine Apotheke arbeiten an der Zukunft des Gesundheitswesens – mit Hilfe digitaler Technologien. Und Sachsen-Anhalt kann dabei Vorreiter werden. Ideen dafür gibt es genug. Ein Blick in die Zukunft der Gesundheitsbranche.
Dr. Karsten Schwarz hat die Zukunft des Gesundheitswesens im Büro. Der Wirtschaftsinformatiker leitet an der Uniklinik Halle das Projekt FORMAT, das Sachsen-Anhalts Gesundheitssystem nach vorne katapultieren will: mit digitalen Technologien. Und in seinem Zukunftslabor hat Schwarz quasi alles da, damit zum Beispiel Pflegeheime Technologien ausprobieren können: VR-Brillen, Papp-Möbel, Roboter oder Exoskelette.
Geht es nach Schwarz, ist Sachsen-Anhalt das beste Bundesland, um solche neuen Gesundheitstechnologien auszuprobieren: "Sachsen-Anhalt surft ganz oben auf der demografischen Welle. Das stellt unsere Gesundheitsversorgung vor sehr viele Herausforderungen, bietet aber auch große Chancen."
Und die lotet er in seinem Labor aus: "Man kann die Sachen anfassen und man kann sich überlegen, passt das zu meinen Arbeitsalltag? Oder ist das nur ein nettes Gimmick, das sich ein Ingenieur ausgedacht hat?" Für diese kritische Diskussion bietet das Zukunftlabor Raum.
Mit der Wissenschaft in die Gesundheitszukunft blicken
Schwarz und sein Team wollen vor allem, dass Pflegefachkräfte Hand an die Technik legen können – das sei der richtige Weg, um zu testen, welche Technik sinnvoll ist und auch, um Pflegefachkräfte dafür zu begeistern, sagt Schwarz. "Beim Sachen anfassen und ausprobieren kann man sehen, ob das in den Arbeitsalltag passt und wirklich hilft."
Dazu können Pflegeeinrichtungen eine Woche lang die Pflegeforscher der Uni Halle und ihre Technik quasi buchen. "Am ersten Tag kommen wir und zeigen die Technologien. Am zweiten Tag wählen die Mitarbeiter aus, welche Sachen sie behalten wollen und probieren die dann zwei Tage lang aus. Am letzten Tag holen wir die Technik wieder ab und sprechen darüber."
Diese Technologien probieren Karsten Schwarz und sein Team mit Pflegefachkräften aus
Exoskelette
"Damit kann man seine Rückenmuskulatur schonen und die physisch anstrengende Arbeit am Patienten entlasten."
Grüß-Roboter
"Der Pepper-Roboter kann in Pflegeheimen die Besucher an den Mundschutz erinnern und macht das immer gleichbleibend freundlich."
Emotionsroboter
"Ein Roboter in Form einer Robbe reagiert auf Berührung und Bewegung und macht Geräusche. Das soll bei emotionaler Kommunikation mit demenzkranken Patienten helfen, damit man mit ihnen ins Gespräch kommt."
Bett
"Senioren können zum Beispiel ein Bett ausprobieren, das einen auf Knopfdruck ins Sitzen oder Stehen bringen kann, damit es nicht Angehörige mit ihren Rückenmuskeln machen müssen."
Ultraschallsensor
"Wir haben einen Ultraschallsensor für Menschen, die Probleme mit ihrer Blase haben und ihren Harndrang nicht verspüren. Eine App zeigt den Füllstand der Blase an und die Menschen können wieder selbstbestimmter werden, weil sie sich unterwegs nicht sorgen müssen, nicht schnell genug eine Toilette zu finden."
Pappmöbel
"Damit können wir schnell häusliche Szenarien nachbauen: eine Küche oder ein Badezimmer aus Pappe. So kann man feststellen, welche Geräte in der persönlichen Umgebung funktionieren und welche nicht."
Virtual-Reality-Brillen
"Damit lässt sich eine Spiegeltherapie nachempfinden, erweitern und immersiver darstellen, um zum Beispiel besser mit chronischen Schmerzen umzugehen."
Scanner für Räume
"Damit könnten Patienten ihren Wohnraum einscannen und in Virtual Reality begehbar machen. Zum Beispiel mit ihrem Physiotherapeuten können sie sich dann adäquat auf die Übungen zu Hause vorbereiten. "
Augmented-Reality-Brillen
"Damit können sich Pflegekräfte Informationen quasi direkt ins Auge legen und haben trotzdem die Hände frei und können ihre Patienten versorgen. Darin ist auch eine Kamera, mit der man sich einen Experten dazu holen kann, der dasselbe sieht wie die Pflegekraft und sie beraten oder anleiten kann."
Wirtschaftsmotor Technologien im Gesundheitsbereich
Ein Ziel der Forschenden ist auch, herauszufinden, wie Technologien in Pflegeeinrichtungen angenommen werden. "So trennt sich die Spreu vom Weizen. Das ist eine Möglichkeit, Technologien in die Versorgung zu bringen, die gut funktioniert", sagt Karsten Schwarz. Mehr als 100 Partner gäbe es dafür, 21 Projekte seien angestoßen, 12,6 Millionen Euro würden insgesamt investiert.
Auf dem Uni-Gelände selbst haben Schwarz und sein Team ein Zukunftslabor eingerichtet – auch das kann besucht werden. So könnten zum Beispiel auch technikaffine junge Menschen für einen Job in der Gesundheitsbranche begeistert werden, glaubt Schwarz.
Wir hoffen, dass solche Menschen nicht zu einem Autobauer gehen, sondern in ihrem Heimatland bleiben.
Die Drohnen-Apotheke aus Dessau
Ein anderer Mann, der an der Zukunft des Gesundheitswesens arbeitet, ist Martin Grünthal. Ihm gehören zwei Apotheken in Dessau. Und Grünthal forscht daran, wie sich Medikamente in der Zukunft per Drohne zustellen lassen. An dem Projekt sind auch Kollegen von Karsten Schwarz von der Uni Halle, die Hochschule Anhalt, der IT-Dienstleister Brain-SCC aus Merseburg und der Berliner Drohnenhersteller DiAvEn beteiligt.
An der Berliner Charité würden bereits Testflüge stattfinden, aber Grünthals Bauhaus-Apotheke ist deutschlandweit die einzige, die an einem solchen Versuch teilnimmt. "Die Drohne hat ein etwa 15 mal 15 Zentimeter großes Fach für die Medikamentenpackungen." Die Drohne hat derzeit einen Radius von 30 Kilometern. Er wird aber größer werden, ist sich Grünthal sicher. "Die Drohnen können ja mit einem Flug auch mehrere Lieferungen erledigen, außerdem werden Aerodynamik und Akkuleistung besser", sagt Martin Grünthal im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben"
Apothekendrohne braucht Hardware und Software
Aber hinter der Drohnen-Lieferung steckt noch mehr, vor allem auch Arbeit an Software: "Der Kunde selbst legt den Lieferstandort fest, bei dem ein Operator im Hintergrund noch einmal überprüft, ob der Standort für die Übergabe geeignet ist." Denn bei der Lieferung selbst soll die Drohne nicht landen, sondern quasi die Lieferung abseilen.
Rein technisch ist all das grundsätzlich machbar.
Grünthals Idee ist es, am Ende anderen Apotheken das System anbieten zu können, mit einer App, die die jeweilige Apotheke individuell gestalten kann und über die Menschen Medikamente bestellen können. "Und die Apotheke kann die Drohne dann kaufen oder beim Hersteller leasen." Damit die Medikamentenlieferung per Drohne auch akzeptiert wird, arbeitet Grünthal mit den Wissenschaftlern rund um Karsten Schwarz von der Uni Halle zusammen. Sie befragen unter anderem Ärzte, Apotheken, Pflegedienste und Patienten.
Wie geht Technologieakzeptanz? Ausprobieren!
Wie Menschen neue Technologien in ihrem Arbeitsumfeld annehmen, erfährt Grünthal auch an anderen Stellen, an denen er seine Apotheke in den vergangenen Jahren modernisiert hat: Er kann Rezepte digital einlesen und bearbeiten und ist als Fan des elektronischen Rezepts auch darauf vorbereitet, wann auch immer das eRezept eingeführt wird.
Und Apotheker Grünthal hat einen Kommissionier-Automaten, der über Förderbänder automatisch die Medikamente aus dem Warenlager an die Theke liefert und der eine tägliche Inventur ermöglicht. Auch solche Geräte werden in Sachsen-Anhalt hergestellt, zum Beispiel von der Firma Gollmann aus Halle. "Als wir den eingeführt haben, haben Mitarbeiter in meinen beiden Apotheken gesagt, wir brauchen das nicht unbedingt." Als dann allerdings eine Kollegin in der Apotheke war, in der es einen Komissionierautomaten gab, hätte sie ihn für ihre Apotheke auch gewollt, sagt Grünthal.
Das Start-Up CareTable aus Dessau
Anfassen, ausprobieren – und verbessern: so hält es auch Christoph Schneeweiß. Er ist Gründer des Start-Ups CareTable aus Dessau. Im MDR SACHSEN-ANHALT-Podcast "Digital leben" stellt er CareTable vor: "Das ist ein digitaler Aktivitätstisch für bis zu vier Menschen mit einem großen 43-Zoll-Display. Er hat Räder und ist in der Höhe verstellbar, so dass sich auch ein Mensch im Pflegerollstuhl daran setzen kann."
Gedacht ist der Tisch für Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeeinrichtungen, die dort gemeinsam spielen und so ins Gespräch kommen können. Er wird in Dessau gebaut und programmiert.
Der CareTable ist robust und wasserdicht. In Kürze sollen auch die Familien der Bewohner von Zuhause aus mitspielen können, zudem sind Videotelefonie und Mediatheken geplant. 8.000 Euro kostet der Aktivitätstisch, inklusive Updates und ohne monatliche Pauschale, sagt Schneeweiß. "Uns ist bewusst, dass das eine große Investition ist, Systeme aus den Niederlanden kosten teilweise bis zu 20.000 Euro."
Von Anfang an habe man mit den Betreuungskräften zusammengearbeitet, um auf Ideen zu kommen, die im Arbeitsalltag auch nützlich sind und um neue Apps zu entwickeln. In etwa 200 Einrichtungen in Deutschland und Österreich gibt es bereits einen CareTable. Das Potenzial ist deutlich größer: "In Deutschland gibt es mehr als 10.000 Einrichtungen."
Nachdem bei den 80-Jährigen die erste Hemmschwelle im Umgang mit modernen Geräten gefallen ist, finden sie das richtig gut und nutzen es.
Die Zukunft des CareTables sieht Schneeweiß groß: "Digitale Betreuungswerkzeuge können in allen Pflegeeinrichtungen weltweit etabliert werden. Ich glaube, der Bedarf ist überall da." Er plant, die Angebote auf dem CareTable für die Nutzer zu personalisieren. "Zum Beispiel mit einem Armband, anhand dessen der CareTable den Nutzer erkennt und zum Beispiel automatisch die Höhe einstellt, Spielstände oder Familienkontakte lädt."
Die Daten auswerten und verkaufen – das schließt Schneeweiß aus. Er sagt aber auch: Die Daten könnten Forschende nutze – um zum Beispiel herausfinden, welche Aktivitäten auf dem CareTable Demenzkranken gut tun würden. "Aber bis dahin ist es aber noch eine lange Reise."
MDR (Marcel Roth)
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