Das Duell im Chemie-Gebiet So ist die Stimmung vor der Oberbürgermeisterwahl in Bitterfeld-Wolfen

07. Oktober 2023, 17:51 Uhr

Bitterfeld-Wolfen wählt am Sonntag einen neuen Oberbürgermeister. Im ersten Wahlgang setzte sich vor zwei Wochen der AfD-Kandidat Henning Dornack mit 34 Prozent der Stimmen gegen Amtsinhaber Armin Schenk von der CDU (29 Prozent) durch. Vielleicht schreibt die AfD bei der Stichwahl wieder kommunalpolitische Geschichte. Nach dem Landrats-Posten in Sonneberg in Thüringen und dem ersten hauptamtlichen Bürgermeister-Posten in Raguhn-Jeßnitz könnte die Partei nun den ersten Oberbürgermeister stellen.

MDR-Reporter André Damm
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Henning Dornack von der AfD, der Wahlsieger der ersten Runde, hat seinen Wahlwerbungs-Stand auf dem Bitterfelder Marktplatz aufgebaut. Auf einem Stehtisch liegen Flyer, die den 61-Jährigen etwas näher vorstellen sollen. Daneben steht sein Auto – darauf ist Dornacks Konterfei abgebildet. 

Nur wenige Schritte weiter macht sein Kontrahent Werbung in eigener Sache. Christdemokrat Armin Schenk versucht mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Der Amtsinhaber spricht sie an, man kommt ins Plaudern, aber nicht alle bleiben stehen. Szenen eines typischen Straßen-Wahlkampfes. Auffällig ist dabei, dass sich Dornack und Schenk kaum eines Blickes würdigen, aber genau beobachten, wer sich wo wie lange aufhält.

Nur fünf Prozentpunkte Unterschied im ersten Wahlgang

Die gegenseitige Belauerung hat mit dem knappen Wahlausgang in der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl in Bitterfeld-Wolfen zu tun. Nur fünf Prozentpunkte trennen beide Kandidaten. Dornack gibt sich selbstbewusst. Er sei angetreten, neuer Rathauschef zu werden. Er traue sich das zu. Und das liege nicht nur am Rückenwind durch die AfD. "Eine Bürgermeisterwahl ist doch eine Personen-Wahl. Mir kommt zupass, dass ich hier geboren bin und dass ich in dieser Stadt als Kriminalist tätig war. Dadurch kennen mich viele Leute. Ich bin früher in Wolfen-Nord Streife gelaufen. Da gibt es einen gewissen Bekanntheitsgrad. Das macht eine Menge aus."

Er stehe, erzählt er weiter, für den Neuanfang in Bitterfeld-Wolfen. Denn in den letzten Jahren sei wenig passiert. Es gebe einen Investitionsstau. Als Beispiele nennt er den Innenstadt-Ring Bitterfeld und die Fuhneaue in Wolfen.

"Hier geben wir ein schlechtes Bild ab". Das betreffe, so Dornack, auch die umstrittenen Grundstücks-Verkäufe an der Goitzsche. In seinem Flyer steht, er wolle Filz und Vetternwirtschaft bekämpfen.

Zerstrittene Christdemokraten

Armin Schenk fühlt sich hier nicht angesprochen, aber Unterstützung durch die CDU erfährt er nur bedingt. Die Christdemokraten in der Region sind ziemlich zerstritten. Doch der amtierende Oberbürgermeister ist auch ein Kämpfer und wird durch ein sogenanntes Bündnis der Demokraten unterstützt, dem Politiker, Gewerkschafter und Kirchenvertreter angehören. Schenk findet auch, dass Bitterfeld-Wolfen überhaupt kein schlechtes Bild abgibt. Die fünftgrößte Stadt des Landes mit ihrem Chemiepark, in dem 360 Unternehmen mehr als 13.000 Mitarbeiter beschäftigen, sei ein wirtschaftliches Schwergewicht in Sachsen-Anhalt.

Der Tagebausee Goitzsche habe sich zum Touristen-Magnet entwickelt. In den vergangenen sieben Jahren berichtet der 62-jährige gebürtige Wolfener, habe er viel anschieben können. Bei der Verschuldung sei die Stadt aus dem Sumpf herausgekommen. "Wir haben schon unglaublich viel erreicht: von 80 Millionen Euro Schulden runter auf 15 Millionen Euro. Zu diesem Konsolidierungskurs stehe ich. Außerdem haben wir schon viele Schrott-Immobilien zurückgebaut, aber das reicht noch nicht aus. Denn mein Ziel ist, Bitterfeld-Wolfen zu einer familienfreundlichen grünen Industriestadt am See zu entwickeln."

Diffuse Stimmungslage

So klar die Botschaften der beiden OB-Kandidaten sind, so diffus ist die Stimmungslage in Bitterfeld-Wolfen. Eine ältere Rentnerin schimpft darüber, dass es zu wenige Begegnungsstätten gibt und sagt im gleichen Atemzug, dass sie nicht die AfD wählen würde. Eine junge Frau mit Tattoos und Nasenring wäre happy über einen Wahlerfolg der Partei, der viele rechtsextreme Ansichten und Demokratie-Feindlichkeit unterstellen: "Hier auf dem Bitterfelder Marktplatz ist man als Frau nicht sicher. Hier lungern nur Ausländer rum. Und keiner – außer die AfD – macht was dagegen."

Eine andere Frau gibt sich als CDU-Wählerin zu erkennen. So schlimm sei es gar nicht mit den Ausländern, sagt sie. Viele Einwohner würden alles nur negativ sehen. Für einen älteren Mann komme nur die AfD in Frage. Das sei die einzige Friedens-Partei, sagt er und erzählt davon, wie er als Ingenieur an der russischen Gas-Trasse mitgebaut habe. 

Unentschlossen oder Desinteresse

Ein Mann im besten Alter wirkt dagegen unentschlossen. Vom Amtsinhaber sei in den vergangenen zwei Jahren zu wenig gekommen, kritisiert er, da hätte er sich mehr erhofft. Doch wenn einer von der AfD das Sagen hat, gibt er zu bedenken, sei das für Bitterfeld-Wolfen nicht gut. Das könne wirtschaftlich nachteilig sein. Er macht das ratlose Gesicht eines Nichtwählers.

Die Ausländer, die schon lange in Bitterfeld-Wolfen leben, geben sich betont gelassen. Ihr sei der Wahlausgang egal, sagt die vietnamesische Inhaberin eines Nagelstudios. Sie habe ein Geschäft, sie zahle Steuern, erzählt sie, deshalb habe sie auch nichts zu befürchten. Auch der Imbiss-Verkäufer bleibt entspannt. Seine Kinder seien deutsche Staatsbürger. Er habe keine Angst. Aber vor dem Mikrofon will er sich nicht äußern. "Man weiß ja nie."

Inzwischen sind die Wahlkampfstände vom Marktplatz wieder verschwunden. Fast einträchtig packen die beiden OB-Kandidaten ihre Sachen zusammen, um woanders um Wähler zu werben.

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MDR (André Damm, Moritz Arand) | Erstmals veröffentlicht am 05.10.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Oktober 2023 | 07:10 Uhr

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