Statt Beton Warum Lehm der Baustoff der Zukunft sein könnte
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11. April 2024, 09:38 Uhr
Im Süden Sachsen-Anhalts stehen tausende Lehmhäuser, die man aber kaum als solche erkennt, denn sie sind oft verputzt und verklinkert. Doch die Dichte an Lehmhäusern ist europaweit einmalig. Das Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege hat die Golehm-Initiative ins Leben gerufen, um den Lehmbau wieder anzukurbeln.
- Die Familie Rückauf aus Pouch baut derzeit ihre alte Scheune um – mit Lehmtechnologie.
- Bauen mit Lehm ist heutzutage nicht mehr wirklich verbreitet. Das will die Initiative Golehm ändern.
- Auch in der DDR wurde mit Lehm gebaut. Etwa eine heute noch bestehende Grundschule.
Auf der Baustelle der Familie Rückauf in Pouch findet man weder einen Betonmischer noch die üblichen Steine zum Bauen. Die alte Scheune ist ein Familienerbstück, vor über einhundert Jahren vom Urgroßvater errichtet. Andere träumen vom Häuschen auf der grünen Wiese, Stefanie Rückauf und ihr Mann träumten vom Wohnen in der alten Scheune. Stefanie Rückauf arbeitet als Pressesprecherin der Stadt Sandersdorf-Brehna. Mit dem Thema Bauwesen hatte sie bislang kaum etwas zu tun.
Die Idee, die alte Lehmscheune auch mit Lehmtechnologie umzubauen, habe sich erst allmählich entwickelt, so Stefanie Rückauf: "Und wie es der Zufall so wollte, lag bei mir auf Arbeit ein Flyer von Golehm und da habe ich Kontakt aufgenommen. Da gibt es Netzwerktreffen, man tauscht sich aus, trifft Leute, was man eben so als Bauherrin braucht." Denn voller Überraschung stellte Stefanie Rückauf fest, dass sie nicht die einzige ist, die sich für Lehmbau interessiert.
Golehm – Archäologie als Wirtschaftsmotor?
Eigentlich gelten Archäologen auf Baustellen als Risiko, je mehr sie finden, um so mehr kommen die Termine durcheinander. Norma Henkel kennt diese Vorurteile gegenüber ihrem Berufszweig, doch das Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege will nun selbst zum Wirtschaftsförderer werden. Lehm zählt zum regulären Fundmaterial eines Archäologen, erklärt Norma Henkel. Doch die Beschäftigung mit dem Material schärft den Blick für das Material.
"Wenn man in Mitteldeutschland durch die Dörfer fährt, dann sieht man eigentlich, dass überall noch Lehmhäuser, Lehmscheunen, Lehmställe stehen. Und das ist eine Besonderheit für Mitteldeutschland. Das ist in dieser Dichte und Häufigkeit in Europa einzigartig." Im Jahr 2020 gründete das Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege gemeinsam mit der Uni Halle und weiteren Partnern das Bündnis Golehm, um zum einen die noch vorhandenen Lehmbauten zu erforschen und zum anderen neuen Lehmbau anzustoßen.
Lehm, Klima und Kreislaufwirtschaft
Lehm als Baustoff kennt man vor allem aus afrikanischen Regionen, wo es eher selten regnet. Und das ist auch ein Grund, warum Lehmbau in Mitteldeutschland verbreitet ist, ein weiterer sei die Fruchtbarkeit der Böden, so Archäologin Henkel: "In Mitteldeutschland gibt es eine lange, intensive Siedlungstätigkeit. Das heißt, es wurde viel gerodet. Deshalb war wenig Bauholz vorhanden. Die Verfügbarkeit des Materials, der Holzmangel und zusätzlich noch das trockene Klima haben zu verstärktem Lehmbau geführt." An diesem Befund hat sich bis heute nichts geändert, allerdings dürfte das Thema Trockenheit wegen des Klimawandels an Bedeutung gewinnen.
Und auch aus ökonomischen Gründen mache es Sinn, den alten Baustoff Lehm neu zu interpretieren: "Die Baustoffbranche steht vor riesigen Veränderungen. Dazu zählt nicht nur die Baustoffknappheit, denn weltweit sind Sand und Kies knapp. Und zum zweiten ist es so, dass die Zement- und Betonherstellung viel Energie braucht und damit eben auch an der CO2-Emissionen einen großen Anteil hat." Zumal Lehm auch noch sehr gut recycelt werden kann, zum Beispiel im Vergleich zu einem Plattenbau.
Am Anfang war die Stampflehmwand
Die Ausbauscheune von Familie Rückauf ist ein Mitmachprojekt. Stefanie Rückauf ist nicht nur Bauherrin sondern auch Vorarbeiterin. Zunächst fing sie mit einer einfachen Lehmstampfwand an, inzwischen hat sie sogar für die Küche einen Lehmofen gebaut.
Lehm lädt ein zum Selbermachen: "Wir sind hier selbst sehr aktiv. Das ist auch der Anspruch, der mit so einer Baustelle in einem wächst, wenn man sich dafür wirklich entscheidet. Auf der einen Seite ist es unbezahlbar, wenn man dafür Handwerker einsetzt. Das muss man ganz klar sagen. Lehmbau ist eine harte Arbeit, man muss viel schleppen. Und auf der anderen Seite möchten wir unser Haus so gestalten, wie wir das wollen."
Vorbehalte sind groß
Nun sind Handwerker nicht unbedingt erfreut, wenn sie auf eine Baustelle kommen, die offenbar ganz anders funktioniert als bislang üblich. Das kann dann schon mal zu Debatten führen, zum Beispiel beim Thema Elektrik, erinnert sich Stefanie Rückauf: "Das geht dann um solche Fragen, ob die Elektrodose in die Lehmwand mit Gips eingesetzt werden muss. Ich habe das dann selber gemacht – mit Lehm. Aber nach anderthalb Jahren Bauzeit gibt es auch wirklich Respekt dafür, dass man das selber in die Hand nimmt."
Deutschland ist stolz auf seine Vorschriften, die es natürlich auch für den Bau gibt. Und da hat es im vergangenem Jahr tatsächlich eine Zeitenwende gegeben, erklärt Norma Henkel: "Mit dieser DIN-Norm ist es ab sofort möglich, ohne Genehmigung im Einzelfall, also ganz regulär, im Wohnungsbau bis zu vier Geschosse mit Lehmsteinen zu bauen. Da steckt ganz viel Potenzial drin." Neu ist das ganze jedoch nicht, denn schon die DDR setzte in ihren frühen Jahren auf Lehmbauten. Als erster Lehmbau des Ostens gilt die Grundschule in Wallwitz bei Halle, 1949 errichtet und noch immer in Betrieb.
Lehm – Baustoff der Armen?
Schlösser, Dome und Paläste wurden nicht im Lehmbauweise errichtet und bei Wikipedia liest man: "Lehmbauten sind insbesondere in bäuerlichen Gesellschaften mit beschränktem Zugang zu industriell gefertigten Baustoffen heute noch verbreitet." Es braucht also mehr, als nur das Versprechen einer klimafreundlichen und umweltschonenden Bauweise, um den Beton aus den Köpfen zu bekommen. Andererseits werden steigende Energiekosten auch die Preise für Baustoffe weiter nach oben treiben.
Vorreiter Pömmelte
Inzwischen gibt es aber in Sachsen-Anhalt immerhin auch ein modernes Bauwerk, das die Lehmtradition wieder aufnimmt, an einem Ort, an dem schon vor mehr als 4.000 Jahren mit Lehm gebaut wurde, nämlich in Pömmelte. Das Besucherzentrum erinnert an die Bauhaus-Tradition, doch statt Beton wurden 130 Tonnen Stampflehm verbaut.
Stefanie Rückauf hofft bei ihrer Wohnscheune vor allem auf ein anderes Raumklima durch den Lehm: "Das Material ist hat eine Verbindung nach draußen. Es nimmt Feuchtigkeit auf und gibt sie ab. Das ist gut für das Raumklima. Und letztens habe ich gelesen, dass Lehm antistatisch sein soll. Also ich hoffe, dass sich nirgendwo Staub sammelt." Das freilich wäre ein echte Killerapplikation für Lehm als Baustoff.
MDR (Uli Wittstock, Sebastian Gall)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 10. April 2024 | 13:00 Uhr
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