Verfassungsschutz Unsichtbares Immobilien-Netz: Wo Rechtsextremisten sich treffen

08. November 2024, 20:19 Uhr

Kampfsport-Events, Rechtsrock-Konzerte, T-Shirts mit Aufschriften wie "Inzidenz bei 1933": Der Verfassungsschutz hat drei Dutzend Orte in Sachsen-Anhalt ausgemacht, an denen Rechtsextremisten ungestört ihre Ideologie ausleben. Besonders dicht ist das Netz der rechtsextremistisch genutzten Immobilien im Süden des Bundeslandes. Wo sie stehen und was dort passiert.

Porträt David Wünschel
Bildrechte: David Wünschel

Manchmal passieren in kleinen Orten seltsame Dinge. Vergangenes Jahr verteilte die rechtsextremistische Partei "Der III. Weg" in Sotterhausen im Landkreis Mansfeld-Südharz Flugblätter mit der Aufschrift "Gesunde Familien statt Homo-Propaganda". Dass die Flugblätter mit der fragwürdigen Botschaft ausgerechnet in das 240-Seelen-Dorf gelangten, dürfte auch damit zusammenhängen, dass einer der Einwohner der deutschlandweit bekannte Rechtsextremist Enrico Marx ist.

Auf Marx' Grundstück fanden in der Vergangenheit zahlreiche Rechtsrock-Konzerte, Liederabende und ein "nationaler Kunst- und Handwerkermarkt" statt. Sotterhausen geriet wegen solcher Veranstaltungen immer wieder in die Schlagzeilen. Nach Angaben des Rechtsextremismus-Experten Torsten Hahnel vom sachsen-anhaltischen Verein Miteinander ist das Grundstück von Marx "ein wichtiger Knotenpunkt im Netz der rechtsextremistisch genutzten Immobilien".

Rechtsextremistisch genutzte Immobilien Wann die Behörden eine Immobilie als rechtsextremistisch genutzt einstufen, regeln von Bund und Ländern abgestimmte Kriterien. Von einer rechtsextremistisch genutzten Immobilie ist demnach auszugehen, wenn eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit auf diese durch ein Eigentums- oder Besitzverhältnis (wie Miete oder Pacht) oder ein Kenn- und Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen besteht. Weitere Erfassungskriterien sind die politisch ziel- und zweckgerichtete sowie die wiederkehrende Nutzung durch Rechtsextremisten. Bundestag Drucksache 20/11534

Besonders viele Immobilien in Sachsen-Anhalt

Bundesweit hat der Verfassungsschutz 225 solcher Immobilien ausgemacht (Stand 28. Februar), rund anderthalb mal so viele wie noch 2017. Die meisten davon befinden sich laut einem Bericht der Bundesregierung in Sachsen (37) und Sachsen-Anhalt (36). Obwohl in den ostdeutschen Bundesländern nur rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung lebt, liegen hier fast zwei Drittel der erfassten Immobilien.

Türen, die mit Fäden verbunden sind.
Deutscher Bundestag, Drucksache 20/11534 Bildrechte: MDR

Dass es ausgerechnet im Osten so viele dieser Immobilien gibt, liege schlichtweg daran, dass die rechtsextremen Strukturen hier besonders stark seien, sagt Torsten Hahnel. Der Rechtsextremismus-Experte analysiert seit Jahren die Szene in Sachsen-Anhalt und berät zum Beispiel Kommunen, die den Zuzug von Rechtsextremisten verhindern wollen. Auch aus Westdeutschland kämen Rechtsextremisten nach Sachsen-Anhalt.

Westdeutsche Rechtsextremisten, die in den Osten ziehen

Nach Recherchen des Spiegel sollen beispielsweise mehrere in Dortmund bekannte Rechtsextremisten nach Halberstadt im Landkreis Harz gezogen sein, um sich dort mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Solche Zuzüge seien kaum zu verhindern, sagt Hahnel: Zum einen sei Deutschland ein freies Land, in dem Menschen sich unkontrolliert bewegen dürfen, und zum anderen könne eine Person, die ihr Haus verkaufen wolle, ja nicht automatisch wissen, dass sie es mit einem Rechtsextremisten oder Neonazi zu tun haben könnte. Bekanntere Rechtsextremisten würden bei Hauskäufen auch oft Strohleute vorschicken, um sich zu tarnen.

Wie wichtig diese Orte für die Szene aus Sicht der Behörden sind, zeigt eine Antwort des Landesinnenministeriums auf eine Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. In rechtsextremistisch genutzten Immobilien könnten die Nutzerinnen und Nutzer "ihre verfassungsfeindliche Ideologie ungestört ausleben", schreibt ein Sprecher des Ministeriums, "frei von den korrigierenden Einflüssen demokratischer Gesellschaften". Sie hätten eine "identitätsstiftende Funktion" und seien für die Stabilisierung und Vernetzung "von großer Bedeutung".

Außerdem böten sie die infrastrukturelle Voraussetzung für Konzerte, Kampfsportveranstaltungen, Gaststätten und rechtsextremistische Musik- oder Modelabels, kurzum: für viele Aktivitäten, mit denen die Szene sich finanziert.

Besonders dicht ist das unsichtbare Immobilien-Netz der Rechtsextremisten im Süden Sachsen-Anhalts. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung Sachsen-Anhalt auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion (Drucksache 8/3935) aus dem März hervor. Dort sind 64 Immobilien aufgelistet, die nach Angaben des Landesverfassungsschutzes mindestens einmalig von Rechtsextremisten genutzt wurden. Die meisten davon entsprechen auch der Definition einer rechtsextremistisch genutzten Immobilie.

Dazu zählt beispielsweise ein ehemaliges Rittergut in Schnellroda im Saalekreis, von wo aus Götz Kubitschek den rechtsextremen Antaios-Verlag leitet. Auch das Anwesen von Enrico Marx in Sotterhausen und ein Versandhandel des Rechtsextremisten Sven Liebich im Osten von Halle tauchen in der Antwort der Landesregierung auf: In seinem Online-Shop verkauft Liebich T-Shirts mit Aufdrucken wie "Inzidenz bei 1933".

Die Parteizentralen der AfD zählen ebenfalls zu den aufgelisteten Immobilien. Der AfD-Landesverband wird – anders als die Gesamtpartei – seit November 2023 vom Landesverfassungsschutz Sachsen-Anhalt als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft. Hiergegen hat der AfD-Landesverband im April 2024 geklagt.

"Gefahr für die lokale demokratische Kultur"

Nach Einschätzung des Landesinnenministeriums Sachsen-Anhalt suchen sich die Szene-Mitglieder dabei gezielt Objekte in ländlichen Regionen aus. Dort seien zivilgesellschaftliche Strukturen meist weniger ausgeprägt als in größeren Städten und das Risiko von Protestaktionen deshalb geringer. Rechtsextremistisch genutzte Immobilien würden der "Verankerung der rechtsextremistischen Szene vor Ort Vorschub leisten", so ein Ministeriumssprecher, daher seien sie eine "Gefahr für die lokale demokratische Kultur der betroffenen Kommunen".

Vereinzelt gibt es laut einem Bericht der ostdeutschen Landesinnenministerien auch rechtsextremistische Siedlungsprojekte, die darauf abzielen, Ortschaften ideologisch zu prägen oder zu vereinnahmen. Der Bericht nennt als Beispiel den völkischen Verein "Weda Elysia", dessen Mitglieder mehrere Immobilien im Blankenburger Ortsteil Wienrode (Harz) erworben haben und dort kommunalpolitisch aktiv sind.

exactly: Rechtsextreme Nachbarn im Ort 25 min
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Hausprojekt der Identitären in Halle scheiterte nach massivem Widerstand

Ein weiteres Beispiel für eine von rechten Akteuren genutzte Immobilie war ein Hausprojekt der Identitären Bewegung in Halle. 2017 zogen die Identitären in ein Gebäude in der Nähe des Stadtzentrums, direkt am geisteswissenschaftlichen Steintor-Campus der Martin-Luther-Universität. Mehrere rechte Organisationen waren an dem Projekt beteiligt, auch der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider bezog ein Büro. "Es sollte ein Leuchtturmprojekt der rechten Szene werden", sagt Hahnel.

In der Folge sprach sich ein breites Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Akteuren und Lokalpolitikern gegen das Hausprojekt aus, Nachbarn wehrten sich. Es kam zu einer Bürgerinitiative, zu zahlreichen Demonstrationen und Protestaktionen, zum Teil auch mit illegalen Mitteln – so bewarfen Unbekannte das Haus mit Farbbeuteln. Nach etwas weniger als drei Jahren verließen die Identitären das Gebäude wieder. Das Projekt scheiterte.

Der Bericht der ostdeutschen Landesinnenministerien befasst sich auch mit rechtsextremistisch genutzten Immobilien in ländlichen Regionen. Besteht der Verdacht, dass Szene-Mitglieder Immobilien erwerben wollen, können Kommunen demnach die Sicherheitsbehörden kontaktieren und sich beraten lassen, wie sich ein Kauf verhindern oder die Nutzung der Immobilie einschränken lässt. Der Bericht enthält zahlreiche Informationen dazu.

In Sotterhausen wurde in der Vergangenheit beispielsweise schon einmal eine Veranstaltung durch die Behörden verhindert. Im April 2023 sollte auf dem Grundstück von Enrico Marx ein Rechtsrock-Konzert stattfinden. Die Namen einiger angekündigter Bands: "Eishammer", "Ahnenerbe" und "Ewige Eiche". Am Tag des Konzerts riegelte die Polizei den Ort jedoch ab und ließ keine Besucher durch. Die Begründung: Es habe "Anhaltspunkte für eine Veranstaltung mit gewerblichem Charakter zur Unterstützung der in Deutschland verbotenen Organisation 'Blood and Honour'" gegeben.

MDR (Maximilian Fürstenberg, David Wünschel)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. November 2024 | 19:00 Uhr

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