Ein Demozug läuft an Häusern vorbei, daneben einig Polizeibeamte. Eine Person in der Demo hält eiin Schild hoch, auf dem steht "Die Würde aller Menschen ist unantastbar".
Nach den Enthüllungen von Correctiv haben rund 230 Menschen am Protest in Schnellroda teilgenommen. Bildrechte: MDR/la

Studierende schreiben für den MDR Warum Protest gegen Rechtsextremismus auf dem Land oft schwieriger ist

23. Mai 2024, 10:25 Uhr

Seit Beginn des Jahres haben in Sachsen-Anhalt zahlreiche Proteste gegen Rechtsextremismus stattgefunden. Auch in Schnellroda im Saalekreis wurde im Februar demonstriert. Dort setzt sich das Kollektiv "IfS dichtmachen" seit Jahren gegen Veranstaltungen des selbsternannten "Instituts für Staatspolitik" (IfS) ein. Das IfS ist mittlerweile aufgelöst. Aktivisten erzählen, warum Protest gegen Rechts auf dem Land wichtig ist und Unterstützung braucht. Ein Gastbeitrag eines Studenten aus Halle.

Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.

Am 18. Februar hat das Kollektiv "IfS dichtmachen" erneut gegen die "Winterakademie" des selbsternannten "Instituts für Staatspolitik" (IfS) in Schnellroda protestiert. Rund 230 Menschen sind dem Aufruf in das Dorf im Saalekreis gefolgt.

Warum Aktivisten zum Protest gegen das IfS aufrufen

Das IfS verknüpfe neurechte Gedanken und werde immer extremistischer dadurch, dass immer extremistischere Kreise zusammenfinden, erklärt Lena vom Kollektiv "IfS dichtmachen". Es gehe dem IfS darum, eine Art neurechte Denkfabrik zu gründen, um sich zu vernetzen – mit der Identitären Bewegung (IB) und auch mit der AfD, der Jungen Alternative und Burschenschaften, so Lena weiter. Vernetzungen wie diese würden deutlich machen, dass das IfS nicht nur menschenverachtende Gedanken und Ideologien schüre, sondern damit Personen dazu anstifte, neurechte Gedanken in die Tat umzusetzen.

Das von Correctiv aufgedeckte Geheimtreffen Rechtsextremer in Potsdam hat bundesweit zu Massenprotesten geführt. Die Recherchen haben das Kollektiv "IfS dichtmachen" nicht überrascht. Die Aktivisten sind sich sicher: Solche Treffen werden hier schon seit Jahren geplant.

Ein hellgrünes Haus mit der Aufschrift "Verlag Antaios"
Der Verlag Antaios in Schnellroda: Der hier ansässige Verleger Götz Kubitschek ist einer der Mitgründer des IfS. Bildrechte: MDR/la

Mitte Mai wurde bekannt, dass Vorstandsmitglied Götz Kubitschek das IfS aufgelöst hat. Laut dem Vereinsregister des Amtsgerichts Stendal wurde die Auflösung des Vereins bereits im Februar und März beschlossen. Kubitschek kündigte allerdings an, eine neue Gesellschaft zu gründen, die ebenfalls Akademien und Tagungen veranstalten solle.

Mehr über das "Institut für Staatspolitik"

Der Bundesverfassungsschutz hat das IfS im vergangenen Jahr als "rechtsextremistisch" eingestuft. Zuvor galt es als Verdachtsfall, wurde allerdings von Sachsen-Anhalts Landesverfassungsschutz bereits 2021 als "gesichert rechtsextreme Gruppierung" eingestuft. Gegründet worden ist es nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung im Jahr 2000. Einer der Gründer ist demnach der in Schnellroda ansässige Verleger des Antaios-Verlags und neurechte Denker Götz Kubitschek.

Kubitschek spielt eine zentrale Rolle für das Netzwerk der Neuen Rechten. Das haben unter Anderem die Recherchen der Autoren Christian Fuchs und Paul Middelhoff gezeigt. In einem Vortrag für "Freunde der Zeit – Unter Freunden" zum eigenen Buch "Das Netzwerk der Neuen Rechten", erläuterte Fuchs 2019, dass Kubitschek engen Kontakt zu Rechtsextremen, wie zum Beispiel rechtsextremen Politikern der AfD oder auch zur Identitären Bewegung pflegt.

Führender Kopf der "Identitären Bewegung" ist Martin Sellner. Sein Buch "Remigration. Ein Vorschlag", aus dem er die bekannten Pläne zur Massenabschiebung beim Geheim-Treffen in Potsdam vorgetragen hat, hat er in Kubitscheks Antaios-Verlag veröffentlicht.

Protestierende reisen auch aus Leipzig nach Schnellroda

Auch aus Leipzig sind Protestierende im Februar nach Schnellroda gereist. Das Aktionsnetzwerk "Leipzig nimmt Platz" hatte dafür Shuttle-Busse organisiert. Zwischen der Großstadt und dem beschaulichen Dorf Schnellroda liegt etwa eine Stunde Fahrt. Während das Leipziger Umland von Industrien wie den Leuna-Werken geprägt ist, sind in der Umgebung von Schnellroda vor allem Hügel und Felder zu sehen.

In Schnellroda haben am Tag des Protests nur die Banner des IfS, die den Eingang der Pension und Gaststätte "Schäfchen" abschirmten, auf die "Akademie" selbst hingewiesen. Im "Schäfchen" haben sich die Teilnehmenden der "Winterakademie" des IfS erneut für Vorträge zusammengefunden. Im Gegensatz zu den Protestierenden und einigen Schaulustigen aus dem Dorf, waren vor der Gaststätte die Teilnehmenden der "Winterakademie" des IfS kaum zu sehen.

Ein Demozug läuft an einer Wiese und einigen Bäumen vorbei, daneben einige Polizeibeamte.
Rund 230 Menschen haben gegen die diesjährige "Winterakademie" des IfS in Schnellroda protestiert. Bildrechte: MDR/la

Es braucht Mut zum Protestieren

Den Protest hat das Kollektiv "IfS dichtmachen" dieses Jahr größer geplant. Gerade jetzt, wo der Fokus der Zivilgesellschaft dahin tendiere, die Problematik des zunehmenden Rechtsrucks nochmal ernster zu nehmen, sei das wichtig, erklärt Lena. Die Leipziger Band "100 Kilo Herz" hat vor Ort gespielt. Lena zufolge ist das erste mal seit Jahren wieder neben einem Bus-Transfer aus Halle auch ein Bus aus Leipzig organisiert worden.

Die Unterstützung der Großstädter sei wichtig, löse aber nicht das Problem, sagt Desi von "IfS-dichtmachen". Wichtig sei insbesondere, dass die Menschen vor Ort gegen das IfS aufstehen. Das sei jedoch einfacher gesagt als getan. Recherchen von MDR Investigativ und "Spiegel" zeigten im Februar, dass Rechtsextreme sich erneut im Umfeld von Halle, in Schkopau im Saalekreis, angesiedelt haben. Rechte Landnahme schüchtere die Menschen im Umland ein, so Lena. Daher sei es gut, dass Menschen Proteste dagegen unterstützen. Das gebe den Menschen vor Ort Mut. Desi betont, dass das Bild gegenüber dem IfS erst durch die Gegenproteste des Kollektivs kritischer geworden sei.

Politikwissenschaftler: Risiken für Aktivisten im ländlichen Raum größer

Erik Vollmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden, bestätigt in einem Gespräch, dass für Aktivisten im  ländlichen Raum die Risiken größer seien, wenn sie vor Ort leben und versuchen, tatsächlich präsent zu sein. Es sei schwieriger, Flagge und Gesicht zu zeigen, wenn alle Menschen in der Umgebung wissen, wo man wohne, so Vollmann.

Vor Ort in Schnellroda versuche Kubitschek, das Bild einer friedlichen Neuen Rechten zu erhalten, erklärt Aktivistin Lena. Seine Strategie bestehe darin, die linken Proteste als linksextrem und gewalttätig zu bezeichnen, um damit diesen Protesten ihre Legitimität zu entziehen. Die Erfahrung von Desi zeigt jedoch: Auch in Schnellroda ist es gefährlich, sich gegen Rechts zu positionieren. Nach jahrelangem Engagement gegen Rechts sei sie den Leuten aus dem IfS bekannt, berichtet Desi. Im Alltag sei sie bereits mehrfach von Rechten angesprochen und bedrängt worden.

An einem Holzturm hängt ein Transparent mit der Aufschrift "Schnellroda ist bunt"
In Schnellroda zu protestieren, kann gefährlich werden, berichtet die Aktivistin Desi vom Kollektiv "IfS dichtmachen". Bildrechte: MDR/la

Aktivist Jakob Springfeld: Nicht alle können sich der Bedrohung entziehen

Der Student und Aktivist Jakob Springfeld berichtet im Gespräch ebenfalls, dass er aufgrund seines Aktivismus bereits seit Jahren bedroht werde. Er ist aktuell an vielen Protesten im ländlichen Raum beteiligt. Häufig hält er dort eine Rede, so auch beim Protest am 18. Februar in Schnellroda. Bedrohungen erlebe er in Form von Hasskommentaren im Netz oder durch Neonazis, die vor den Räumen stehen würden, in denen er seine Lesungen hält, sagt Springfeld. Vor wenigen Jahren hätten Neonazis sogar vor der Haustür seiner Eltern gestanden und rechte Sticker am Briefkasten hinterlassen.

Ihm ist es wichtig zu betonen, dass es sich bei ihm nicht um einen Einzelfall handele. Er fügt hinzu: Im Gegensatz zu Menschen, die von Rassismus oder von Anti-Queerer Gewalt betroffenen sind, könnte er sich den Bedrohungen entziehen, wenn er sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen würde.

Ein junger Mann in einer dunkelblauen Jacke hält lächelnd ein Mikrofon in die Höhe. 1 min
Bildrechte: Demokrateam

Was können Proteste im ländlichen Raum bewirken?

Dass Protest im ländlichen Raum wichtig ist, bestätigt auch Michelle von der Grünen Jugend in Halle in einem Telefonat. Ihr gehe es darum, ein Zeichen dafür zu setzen, dass die Menschen dort Parteien wie die AfD und Rechtsgesinnte im Allgemeinen nicht unterstützen. Denn oft gebe es das Vorurteil, alle Menschen im ländlichen Raum seien rechts.

Noah, ein Aktivist, der beim Gegenprotest vor Ort gewesen ist, bereitet hingegen die Sicht der Menschen vom Land Unbehagen. Er ist im Erzgebirge aufgewachsen und wohnt in Leipzig. Menschen auf dem Land würden ihre Möglichkeit zu protestieren nicht so wahrnehmen, wie in den Großstädten, meint er. Er hofft, dass durch die vielen und wachsenden Proteste im ländlichen Raum mehr Menschen auf rechtsextreme Strukturen aufmerksam werden. Die Proteste könnten dazu führen, dass Menschen, die sich politisch noch unschlüssig sind, gegen die AfD entscheiden, so Noah weiter.

Ein Plakat auf einer Demo. Darauf steht "Unsere Stadt ist bunt"
Proteste können Menschen dazu bewegen, sich zu engagieren, meint der Rechtsextremismus-Experte David Begrich. Bildrechte: MDR/la

Experten: Proteste unterstützen Aktivisten vor Ort

Der Magdeburger Rechtsextremismus-Experte David Begrich erklärte Anfang Februar in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung", Proteste in Kleinstädten könnten den Anspruch der AfD, eine Vormachtstellung zu haben, vor Ort infrage stellen. Sie könnten zudem Menschen dazu bewegen, sich ebenfalls gegen Rechts zu engagieren. Komplett zum Umdenken bewegen könnten sie jedoch im besten Fall nur die Unentschiedenen. Damit die Proteste nachhaltig wirken, sei vor allem wichtig, dass das Engagement langfristig Struktur bekomme und sich beispielsweise Bürgerinitiativen gründen.

Dem Dresdner Politikwissenschaftler Erik Vollmann zufolge können Proteste im ländlichen Raum vor allem dazu dienen, Aktivisten in Ihrem Vorhaben zu unterstützen. Es sei dabei wichtig, dass Proteste von breiten Bündnissen getragen werden, wie beispielsweise zu Beginn dieses Jahres im Rahmen der bundesweiten Straßenproteste gegen Rechtsextremismus. Um alle Menschen zu erreichen, müsste zum einen ein lokales Thema angesprochen und andererseits die Sprechweise der Menschen vor Ort einbezogen werden, die häufig konservativer sei.

Vollmann macht deutlich, dass es nicht immer möglich sei, als Aktivist den Protest für alle Menschen zu öffnen. Besonders, wenn das Ziel sei, Aktivisten zu unterstützen und weniger die lokale Bevölkerung zu überzeugen. Beim Protest gegen das IfS gehe es darum, auf das IfS als Zentrum der Neuen Rechten und die potentielle Gefahr für Aktivisten aufmerksam zu machen, erklärt Vollmann.

Gerade in diesen Orten ist es so wichtig, die bedrohte demokratische Zivilgesellschaft zu stärken.

Jakob Springfeld Aktivist aus Zwickau
Ein junger Mann in einer dunkelblauen Jacke spricht in ein Mikrofon 1 min
Bildrechte: Demokrateam
1 min

Der Zwickauer Aktivist Jakob Springfeld erklärt, warum es wichtig ist, dass Menschen aus der Großstadt Proteste im ländlichen Raum unterstützen.

MDR FERNSEHEN Mi 20.03.2024 12:49Uhr 00:45 min

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Politisches Engagement kann mehr als Protest sein

Neben Protest auf der Straße sehen die Aktivistinnen und Aktivisten in Schnellroda, aus Halle, Leipzig und dem Erzgebirge, noch weitere Wege, sich für die Demokratie zu engagieren. Michelle von der Grünen Jugend Halle hält es für besonders wichtig, sich in der Gesellschaft aktiv einzubringen. Man könne sich beispielsweise bei einem Verein oder einer Partei engagieren. Die Arbeit müsse nicht viel Zeit einnehmen. Es sei vollkommen ausreichend erstmal mit einer kleinen Aufgabe zu beginnen. Sich einer Gruppe anzuschließen, gebe einem Mut und helfe, seinen Ängsten vor dem zunehmenden Rechtsruck in der Gesellschaft Raum zu geben.

Für Lena und Desi vom Kollektiv "IfS dichtmachen" ist es von besonderer Bedeutung, dass Menschen informiert bleiben und sich austauschen, zum Beispiel zu Themen wie dem IfS und Kubitscheks Netzwerk. Ein wichtiger Teil des Engagements sei zudem, rassistische Äußerungen zu kommentieren, ob im Supermarkt oder im Bekannten- oder Familienkreis.

Menschen mit Schildern stehen vor einer Bühne, hinter der ein Transparent mit der Aufschrift "IfS dicht machen!" hängt 2 min
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Lena und Desi vom Kollektiv "IfS dichtmachen" erklären im Audio, warum es in ihren Augen wichtig ist, dass Menschen aus der Großstadt Protest im ländlichen Raum unterstützen.

MDR FERNSEHEN Mi 20.03.2024 12:50Uhr 01:45 min

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Jakob Springfeld sagt: Durch extrem rechte Demos und gewaltbereite Neonazis seien im ländlichen Raum Angsträume entstanden. Dort würden sich viele Demokraten nicht mehr trauen, offen klare Haltung gegen Rechts zu zeigen. "Gerade in diesen Orten ist es so wichtig, die bedrohte demokratische Zivilgesellschaft zu stärken. Das ist möglich, in dem man den Betroffenen stärker zuhört, zum Demonstrieren auch mal die Großstadtblase verlässt oder mit Spenden die Menschen vor Ort unterstützt", meint Springfeld.

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MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 18. Februar 2024 | 15:00 Uhr

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