Ende einer Familientradition Wenn Wasser fehlt: Das Schicksal des Deetzer Teichs
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26. Oktober 2022, 05:00 Uhr
Seit Jahrhunderten bewirtschaftet die Familie von Hannelore Sachse den Deetzer Teich. Doch nun sieht die 75-Jährige dem Ende der Tradition entgegen. Der Teich droht zu Grunde zu gehen. Denn das Wasser fehlt. Über die Gründe wird gestritten.
- Das große Abfischen am letzten Sonnabend im Oktober war am Deetzer Teich bei Zerbst jahrhundertelang eine Tradition. Doch bereits seit 2018 findet es nicht mehr statt.
- Der Deetzer Teich hat immer weniger Wasser. Fischerin Hannelore Sachse sieht das Abpumpen von Trinkwasser in der Region als Hauptgrund.
- Doch Landesregierung und Trinkwasserversorgung widersprechen. Wie es mit dem Deetzer Teich weitergeht.
Hannelore Sachse steht im Modder. Nur mit Schilf zugewachsene Karpfenbecken erinnern noch daran, dass hier früher Wasser war. Zwanzig Meter liegen mittlerweile zwischen dem alten und dem neuen Ufer.
Dieser Tage, kurz vor dem letzten Sonnabend im Oktober, erinnert sich Hannelore Sachse wieder öfter an die guten alten wasserreichen Zeiten. Damals, als ihr Deetzer Teich noch genügend Wasser hatte, jahrhundertelang war das so, fand immer das große Abfischen statt.
"Ein richtiges Fest war das", erzählt die Fischerin aus dem Dorf nahe Zerbst. Mehr als tausend Menschen bestaunten das Spektakel mitunter. Sie kamen zum Teil aus ganz Deutschland, kauften frischen Fisch – oder verzehrten ihn direkt vor Ort. 40 Verkaufsstände gab es.
Solange ich gesundheitlich dazu in der Lage bin, werde ich dafür kämpfen, den Teich am Leben zu erhalten.
"Aktuell fragen wieder immer mehr Leute, ob das Abfischen denn stattfindet", sagt Hannelore Sachse und wirft wehmütige Blicke über den Teich. Der letzte Sonnabend im Oktober naht schließlich. Aber: "Ich muss ihnen dann leider sagen: Das hat sich erledigt. Das wird es nie wieder geben."
Wie sich das anfühlt? Sachse stockt kurz, sichtlich um Fassung bemüht. "Schlecht", sagt die 75-Jährige, ehe sie sich mit Tränen in den Augen wegdrehen muss. "Wirklich schlimm."
Vielerorts sinken Grundwasserstände
Veränderungen wie extreme Wetterlagen durch die Klimakrise erschweren die Neubildung von Grundwasser. Die Folge: Das Wasser wird knapp. Versiegelte Städte und die Landwirtschaft erschweren zudem das Versickern der Niederschläge. Auch der Umgang der Industrie mit Wasser verschärft die Situation.
In vielen Regionen Sachsen-Anhalts ist der Grundwasserpegel in den vergangenen 30 Jahren gesunken. Das zeigt nun eine Recherche von CORRECTIV.Lokal und MDR Data. 77 Prozent der Messstellen in Sachsen-Anhalt verzeichneten von 2018 bis 2021 demnach den tiefsten Grundwasserstand der vergangenen 30 Jahre. So auch in der Region um Zerbst. Zu welchen Problemen das führen kann, dafür ist die Geschichte der Teichwirtschaft Deetz das beste, wenngleich ein tragisches Beispiel.
Ende der Tradition nur noch eine Frage der Zeit
Der Deetzer Teich bedeutet Hannelore Sachse alles. Seit 1638 besteht die Teichwirtschaft. Ein Familienbetrieb. Bereits ihr Vater, Großvater und Urgroßvater hatten hier Fische gezüchtet.
1972 wurde der Betrieb enteignet. 20 Jahre später kaufte Hannelore Sachse die Deetzer Teichwirtschaft von der Treuhand ab. Sie wurde zur ersten Frau, die den Teich bewirtschaftet. Seitdem schuftete sie jeden Tag, mindestens zwölf, oft 14 Stunden – auch, um den Kredit abbezahlen zu können.
Das ist mittlerweile erledigt. Doch genießen kann sie ihren Ruhestand nicht. Denn das Ende der fast 400 Jahre alten Familientradition ist nur noch eine Frage der Zeit. "Ich habe selber keine Kinder. Meine Nichten und Neffen haben anderen Berufe", sagt sie. "Die tun sich den Plack nicht an."
Noch schlimmer für sie als das Ende der Tradition: Zu sehen, wie ihr Teich allmählich zu Grunde geht. Die 75-Jährige sagt: "Das tut wirklich weh."
Letztes Abfischen vor fünf Jahren
Die Erinnerungen an die großen Feste von einst sind schließlich noch präsent. Beim Abfischen wurde für zwei Wochen lang Wasser in einem Staubecken hinter dem Teich angestaut. Über den Umflutgraben floss das angestaute Frischwasser am Tag des Abfischens dann in die Fanggrube und lockte die Fische an. Diese wurden lebend gefangen, sortiert und zum Verkauf in kleineren Becken aufbewahrt.
Um die Fische fangen zu können, musste allerdings auch Wasser abgelassen werden. Das sei seit 2018 aber nicht mehr möglich, erzählt Hannelore Sachse. Denn: "Ich würde den Teich danach nicht wieder voll bekommen", sagt sie. Das grundlegende Problem: Wasser fehlt.
Die Nuthe-Quelle, die den Teich lange versorgt hat, ist bereits 1996 versiegt. Seitdem reichten lange mehrere kleinere Quellen aus, um den Wasserstand zu halten. Doch 2018, nach einem Sommer großer Trockenheit, war auch damit Schluss. Das Abfischen musste erstmals in der Geschichte der Deetzer Teichwirtschaft ausfallen – und fand seitdem nicht mehr statt.
"Die pumpen uns hier tot!"
Die Frage nach dem Warum ist für Hannelore Sachse schnell beantwortet: "Natürlich spielt die Umwelt, der Klimawandel, die Trockenheit und damit verbunden sinkende Grundwasserstände eine Rolle", sagt sie, aber: "In meinen Augen liegt unsere Situation vor allem an der Trinkwasserversorgung. Die pumpen uns hier tot!"
Was die Fischerin meint: Die Trinkwasserversorgung Magdeburg GmbH (TWM) bedient sich an mehreren umliegenden Brunnen. Dass das tatsächlich der Hauptgrund für das Versiegen der Quellen ist, blieb bislang allerdings nur eine Vermutung. Brigitte Gube jedenfalls pflichtet ihrer alten Schulfreundin Hannelore Sachse bei. Die Beiden stehen an diesem Tag Ende Oktober dort, wo früher ein Badestrand war, aber längst niemand mehr badet. Zu dreckig ist das Ufer, zu niedrig der Wasserstand.
Der Fläming ist sowieso schon trocken. Wir sind die reinste Sandbüchse. Und dann pumpen sie auch noch das Grundwasser ab.
"Natürlich gibt keiner zu, dass es an dem Abpumpen für das Trinkwasser liegt, aber es ist ganz offensichtlich. Der Fläming ist sowieso schon trocken. Wir sind die reinste Sandbüchse", sagt die ebenfalls 75-Jährige aus Deetz. "Und dann pumpen sie auch noch das Grundwasser ab. Da, wo die Quellen waren, sieht man nur noch die Gräben", sagt Gube. Und: "Seitdem Anfang der 1990er Jahre mit dem Abpumpen angefangen wurde, sind die Quellen versiegt."
Zurückgehende Grundwasserstände "haben viele verschiedene Ursachen"
2018, nach dem so trockenen Sommer, wandte sich Brigitte Gube deshalb an den Petitionsausschuss des Landtages von Sachsen-Anhalt. Sie klagte das Leid über die "Versteppung des Vorflämings", wie sie schrieb. Und Gube erhielt auch eine Antwort, die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt.
Darin hieß es: "Mit dem Wasserhaushalt im Westfläming beschäftige sich die Landesregierung schon seit vielen Jahren intensiv. Die Summe der Untersuchungen habe zu der Erkenntnis geführt, dass die zurückgegangenen Grundwasserstände im Westfläming viele verschiedene Ursachen haben, die zusammenwirken. Dazu gehören der Waldumbau der vergangenen Jahrzehnte genauso wie die landwirtschaftliche Komplexmelioration zu DDR-Zeiten."
Was bedeutet Melioration?
Klassischerweise wird unter dem Begriff der Melioration oder Bodenverbesserung die Wertsteigerung einer landwirtschaftlichen Fläche verstanden, auf der Ackerbau betrieben wird. Maßnahmen sind unter anderem die Verbesserung des Wassergehaltes durch Bewässerung oder die Ableitung von überschüssigem Bodenwasser.
Kritik am Meliorationswesen der DDR wurde vor allem deshalb laut, weil dem langfristigen Bodenschutz und den Wechselwirkungen zwischen Landwirtschaft und ökologischer Diversität dabei kaum Beachtung geschenkt wurde.
Und weiter stand geschrieben: "Entscheidend für die wasserwirtschaftliche Betrachtung eines Grundwasserkörpers sei, dass nicht mehr Grundwasser entnommen werden dürfe als sich wieder neu bilde. Grundlage dafür seien überjährige Betrachtungen. Diese Bedingung werde im Westfläming eingehalten, auch wenn es natürlich im Umfeld einer Wasserfassung immer zu lokalen Grundwasserabsenkungen komme."
Vorwürfe an Trinkwasserversorgung "nicht sachgerecht"
Die Trinkwasserversorgung Magdeburg GmbH, die auch das Wasserwerk in Lindau nahe Deetz betreibt, kennt die Kritik seit Jahren. Geschäftsführer Alexander Ruhland erklärt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT: "Das Absinken der Pegel in den letzten Jahren ist auch im Einzugsbereich des Wasserwerks Lindau in erster Linie auf die außergewöhnliche Dürreperiode der letzten Jahre zurückzuführen. Wir erinnern uns, dass noch Anfang der 2010er Jahre in der Region mancher Orts über zu viel anstehendes Wasser geklagt wurde."
Wir haben eine Dürreperiode historischen Ausmaßes. Da ist es klar, dass es insbesondere im oberflächennahen Grundwasser zu entsprechenden Auswirkungen kommt.
Weiter erklärt Ruhland: "Es ist aber auch Ergebnis von Maßnahmen zur landwirtschaftlichen Melioration, die in den 1970er Jahren in der Region durchgeführt wurden. Aus heutiger Sicht wurden dabei sehr nachteilige Veränderungen im Wasserhaushalt herbeigeführt, etwa die Verlagerung von Bach- beziehungsweise Flussläufen. Neben der Entnahme von Grundwasser zur Gewinnung von Trinkwasser für die Bevölkerung, trägt auch die Entnahme großer Mengen von Wasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung zum derzeitigen Zustand des Grundwasserhaushaltes bei."
Die aktuelle Situation der Trinkwasserversorgung zuzuschreiben, sei nicht "sachgerecht", so Ruhland. "Wir haben eine Dürreperiode historischen Ausmaßes. Da ist es klar, dass es insbesondere im oberflächennahen Grundwasser zu entsprechenden Auswirkungen kommt", so der TWM-Geschäftsführer.
Auf den Spuren der versiegten Nuthe-Quelle
Zehn Kilometer vom Deetzer Teich entfernt wandern Hannelore Sachse und Brigitte Gube durch den Wald. Sie wissen, wie die Kritik seit Jahren zurückgewiesen wird. Doch sie, die in der Region und mit den Problemen tagtäglich leben, sind mit den Antworten unzufrieden. Hier im Wald, am Rand des Nachbarortes Nedlitz, war früher die Quelle der Nuthe. Diese führte dem Deetzer Teich ausreichend Wasser zu.
Drei, vier Meter breit sei sie früher gewesen, erzählt Brigitte Gube. Doch heute ist nur noch ein Graben zu sehen. Wer es nicht weiß, ahnt nicht, dass hier früher ein fließendes Gewässer war.
"Als kleines Kind war ich mit meinem Onkel einmal Blumen sammeln und wurde mitgerissen, so stark ist sie geflossen", erinnert Gube sich. "Da wäre ich fast ertrunken." Mittlerweile sind herumliegende Äste das größte Hindernis.
Kaum Hoffnung mehr
Wie es mit dem Deetzer Teich weitergeht? "Ab und an kommen noch ein paar Angler vorbei", erzählt Hannelore Sachse. "So habe ich wenigstens noch ein paar Einnahmen." Der 58 Hektar große Teich will schließlich trotz des Wasserrückgangs bewirtschaftet werden.
Doch dass sich der Deetzer Teich noch einmal erholt, davon träumt Hannelore Sachse kaum mehr. Sie steht im alten Fisch-Imbiss und schaut auf die Bilder an der Wand. Schwarz-weiß-Fotos, später auch farbige Bilder zeigen Szenen des Abfischens aus früherer Zeit. Auch Hannelore Sachse ist zu sehen. "Da halte ich mir einen Karpfen vor das Gesicht, weil ich nicht fotografiert werden wollte", sagt sie und lacht.
Die Vergangenheit weckt Frohmut, die Zukunft schürt Angst. Den schlimmsten Fall, dass zu wenig Sauerstoff im Teich vorhanden ist und alle Karpfen abgefischt werden müssen, bevor sie zu Grunde gehen, will Hannelore Sachse so lange wie möglich hinauszögern.
"Solange ich gesundheitlich dazu in der Lage bin", sagt die 75-Jährige, während sie im Modder steht, "werde ich dafür kämpfen, den Teich am Leben zu erhalten."
Über die Recherche
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von MDR Data und CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk recherchiert zu verschiedenen Themen, darunter in einem Schwerpunkt langfristig über die Klimakrise. Weitere Infos gibt es auf der Website.
MDR (Daniel George)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 26. Oktober 2022 | 19:00 Uhr
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