Arbeitsmarkt Diese Berufe sind in Sachsen-Anhalt besonders vom Fachkräftemangel betroffen
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08. Juni 2024, 12:37 Uhr
Die geburtenstarken Jahrgänge erreichen das Rentenalter, doch der Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt ist rar. Bereits heute zeigt sich der demografische Wandel in vielen Berufszweigen in Form von Fachkräftemangel. Welche Bereiche jetzt und künftig am stärksten betroffen sind und welche Lösungsansätze es gibt.
- Der heute bereits vorhandene Fachkräftemangel wird sich in Zukunft weiter verstärken.
- Größter Fachkräfte-Bedarf wird künftig im Handwerk und bei naturwissenschaftlichen Berufen sein.
- Wegzug und Geburtenknick nach der Wende beeinflussen immer noch den Arbeitsmarkt.
Auf Sachsen-Anhalts Arbeitsmarkt ist der Fachkräftemangel in Gesundheits- und Pflegeberufe am gravierendsten. Das geht aus der aktuellen "Engpassanalyse" der Bundesagentur für Arbeit hervor. Betrachtet wird dabei unter anderem die Zeit, die für eine Stellen-Neubesetzung benötigt wird und die berufsspezifische Arbeitslosenquote.
In Sachsen-Anhalt fallen 43 Prozent aller untersuchten Berufsgruppen in die Kategorie "Engpassberuf". Deutschlandweit lag der Wert im Jahr 2023 bei 31 Prozent. In folgenden Berufszweigen ist der Engpass aktuell am stärksten in Sachsen-Anhalt:
Die Bundesagentur für Arbeit unterscheidet in der Engpassanalyse zwischen drei Anforderungsniveaus:
- Fachkraft: z. B. Beamte im mittleren Dienst, fachlich ausgerichtete Tätigkeiten (keine Hilfsjobs)
- Spezialist: z. B. Meister, Techniker, kaufmännische Fortbildungen, Beamte im gehobenen Dienst, Bachelor-Studium
- Experte: z. B. Studienberufe (mind. vierjährig), Beamte im höheren Dienst
Fachkräftemangel wird sich weiter verschärfen
Dass der bereits heute vorhandene Engpass in vielen Berufsgruppen weiter zunimmt, wird auch daran deutlich, dass künftig immer weniger Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sein werden. Das Projekt "Qualifikation und Beruf in der Zukunft (QuBe-Projekt)" vom Bundesinstitut für Berufsbildung und dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung prognostiziert, dass in der Arbeitsmarktregion Magdeburg im Jahr 2040 fast jeder fünfte Erwerbstätige – Personen ab 15 Jahren, die angestellt sind oder selbstständig arbeiten, unabhängig vom zeitlichen Umfang ihrer Arbeit – wegfallen wird.
Im Gegensatz dazu rechnet man in Arbeitsmarktregionen rund um Wirtschaftsmetropolen wie München oder Stuttgart sogar mit einem Plus an Erwerbstätigen. Laut Professor Dr. Steffen Müller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle geben diese Berechnungen sogar ein Szenario wieder, wenn es gut laufen sollte. "In diesen Prognosen ist einberechnet, dass wir Zuzug haben werden. Es ist sogar einberechnet, dass die Geburtenrate steigt", sagte Müller MDR SACHSEN-ANHALT.
Sollten sich die Prognosen zum Rückgang der Erwerbstätigen bestätigen, glaubt der Ökonom, "dass wir in ganz vielen Bereichen in der Verwaltung, bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, in Krankenhäusern, in Schulen und natürlich auch bei Privatunternehmen einfach Leistungen nicht mehr anbieten können."
Welche Berufe in Zukunft gefragt sind
Wer nach einer zukunftssicheren Berufswahl sucht oder sich beruflich neuorientieren möchte, für den lohnt ein Blick auf die gefragtesten Berufe der Zukunft. Das Bundesinnenministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichte 2023 die "Langfristprojektion des Fachkräftebedarfs in Deutschland". Forschende berechnen darin die Suchdauer für Stellenneubesetzungen für verschiedene Berufsfelder im Jahr 2040. Laut der Prognose müssen Arbeitgeber 2040 in der Arbeitsmarktregion "Magdeburg" durchschnittlich 88 Tage nach neuem Personal suchen. Nur die Arbeitsmarktregion "Erfurt" schnitt deutschlandweit schlechter ab.
Den größten Mangel erwarten die Forschenden bei Berufen aus dem Berufsfeld, Mechatronik, Energie und Elektro in der Arbeitsmarktregion Magdeburg. Die Suchdauer von 117 Tagen für Neubesetzungen übertrifft keine Branche in ganz Deutschland.
In der Arbeitsmarktregion "Halle/Leipzig" werden laut Prognose Stellen in der Informatik und Informations- und Kommunikationstechnologie am schwersten zu besetzen sein (114 Tage Suchdauer). Insgesamt fällt auf, dass Qualifikationen im Handwerk, im technischen Bereich, in den Naturwissenschaften und der Informatik am stärksten nachgefragt sein werden.
Das Erbe des Geburteneinbruchs
Doch warum rollt der Fachkräftemangel so viel heftiger auf Ost- als auf Westdeutschland zu? Wirtschaftswissenschaftler Müller sieht im Geburtenrückgang nach dem Mauerfall den Hauptgrund. Dabei waren die Voraussetzungen für den Osten eigentlich gut. "Es gab mehr Geburten in der DDR pro Frau als in Westdeutschland. Also der Osten kam jünger in die Wende rein", sagt Müller.
Dann gab es einen dramatischen Geburtenrückgang zwischen 1990 und 1991, den es so in Friedenszeiten weltweit wohl kaum gegeben hat.
Bereits in den Jahren direkt um den Mauerfall wurden in der DDR bzw. den neuen Bundesländern spürbar weniger Kinder geboren – 1989 acht Prozent und 1990 zehn Prozent weniger. 1991 ging die Zahl der Neugeborenen dann schlagartig um 40 Prozent zurück – so auch in Sachsen-Anhalt.
Von diesem Geburtenrückgang haben sich die neuen Bundesländer nie wieder erholt. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel kamen in den 1980er-Jahren jährlich noch etwa 40.000 Kinder zur Welt. Seit 1992 wurden durchschnittlich nur noch 17.000 Kinder geboren, zuletzt sank der Wert noch weiter.
Demografische Zweiteilung Deutschlands
Hinzu kommt, dass viele junge Menschen – also potenzielle Mütter und Väter – bis zum Ende der 2000er-Jahre nach Westdeutschland zogen. Zwar ist unter jungen Menschen der Wanderungssaldo, also die Differenz zwischen den Zuzügen nach Ostdeutschland und den Fortzügen nach Westdeutschland, weiterhin negativ, aber immerhin seit etwa 2010 weniger ausgeprägt. "Die Menschen, die damals nicht geboren sind, können jetzt nicht arbeiten. Und 2040 werden auch die Kinder dieser damals nicht geborenen Menschen am Arbeitsmarkt fehlen. Das heißt, es ist ein Problem, was sich vererbt", bilanziert Müller.
Wie sehr die Generationen an Menschen fehlen, die seit den 1990er-Jahren nicht in Ostdeutschland geboren wurden und werden, veranschaulichen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung. Abgesehen von den urbanen Zentren Berlin, Potsdam und Leipzig wird die Bevölkerungsanzahl deutlich schrumpfen – insbesondere in Mitteldeutschland.
Kettenmigration und Ausländerfeindlichkeit erschweren Fachkräftesuche
Ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist der Zuzug von ausländischen Fachkräften. Auch an dieser Stelle ist der Osten gegenüber dem Westen benachteiligt. "Wir haben wenige Anschlussmöglichkeiten für Migranten, weil relativ wenige Ausländer hier arbeiten. Und wir haben natürlich auch weniger urbane Zentren. Das ist der zweite Punkt", sagt Ökonom Müller.
Daher entschieden sich die meisten ausländischen Fachkräfte eher für westdeutsche Großstädte. Das Phänomen, das Migrantinnen und Migranten bereits abgewanderten Verwandten oder Bekannten folgen, bezeichnet die Forschung als Kettenmigration. Auch Rassismus spielt eine Rolle. Ein Drittel der Entscheiderinnen und Entscheider privatwirtschaftlicher Unternehmen in Ostdeutschland gibt an, dass ihnen Ausländerfeindlichkeit das Anwerben und Halten von ausländischen Beschäftigten erschwere. Das ergab eine Umfrage des Ostbeauftragten der Bundesregierung.
Hoffnung für den Arbeitsmarkt kommt aus den Unis
Die "Langfristprojektion des Fachkräftebedarfs in Deutschland" prognostiziert auf dem Arbeitsmarkt einen erheblichen Bedarf an Universitätsabschlüssen in den sogenannten "MINT-Fächern" Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Durchaus überraschend dabei: Der Anteil an ausländischen MINT-Studierenden an ostdeutschen Hochschulen ist laut Daten des Statistischen Bundesamts mit 28 Prozent deutlich höher als an westdeutschen Hochschulen (21 Prozent). Sachsen-Anhalt erreicht sogar den deutschlandweiten Höchstwert: 34 Prozent der MINT-Studierenden kommen hier aus dem Ausland. Diese zukünftigen Uniabsolventinnen und -absolventen könnten viele freie Stellen auf dem Arbeitsmarkt besetzen.
Die ostdeutschen Hochschulen machen auch Wirtschaftswissenschaftler Müller Mut. "Diese Universitäten sind in attraktiven Städten mit günstigen Mieten, mit studentischem Umfeld", sagt Müller. "Das sind schon Signale, die im Ausland wahrgenommen werden." Die entscheidende Frage wird sein: Schaffen Sachsen-Anhalt und die anderen neuen Bundesländer die Voraussetzungen, unter denen sich diese Noch-Studierenden nach der Unilaufbahn für ein Leben in Ostdeutschland entscheiden?
MDR (Tycho Schildbach, Manuel Mohr)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. Juni 2024 | 12:00 Uhr
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