Energiewende Erdgas-Alternative: Gaswirtschaft will Biogas aus Ukraine
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09. Juli 2024, 11:46 Uhr
Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass die Ukraine durch Biomethan ein Viertel des deutschen Erdgasbedarfs decken könnte. Vertretern der Industrie zufolge bereite die Ukraine dafür bereits alles vor. Gleichzeitig kritisieren sie, dass der Bundeswirtschaftsminister nicht ausreichend handle, um Käufer und Verkäufer zusammenzubringen.
- Die Ukraine könnte einer Studie zufolge ein Viertel des deutschen Bedarfs an Erdgas durch Biomethan decken.
- Bundeswirtschaftsminister Habeck unterstützt die Idee, spricht der Lebensmittelproduktion in der Ukraine jedoch mehr Bedeutunng zu.
- Vertreter der Gaslobby sagen: Lebensmittel- und Biogasproduktion schließen sich in der Ukraine nicht gegenseitig aus.
Die Stickstoffwerke Piesteritz haben ein Herz aus Stahl. Mehrere metallisch glänzende Türme stehen inmitten der Fabrik unweit der Lutherstadt Wittenberg. Alles, was darin produziert wird, hat seinen Ursprung im Erdgas.
Firmensprecher Christopher Profitlich steht neben der Anlage und zeigt auf einen Farbtupfer am Horizont: "Da vorne sieht man eine gelbe Leitung, da kommt das Erdgas ins Werk. Und dann wird hier im ersten Produktionsschritt aus dem Erdgas und aus Luft-Stickstoff Ammoniak. Und dann entstehen die weiteren Produkte wie auch zum Beispiel Salpetersäure oder Harnstoff. Ich würde sagen, wir sind der größte industrielle Erdgasverbraucher Deutschlands."
Ukrainisches Biomethan könnte Viertel des deutschen Erdgasbedarfs decken
Auch der größte Erdgasverbraucher soll nach EU-Vorgaben klimaneutral werden. Bis 2045 muss das Erdgas ersetzt werden. Nur womit? Kürzlich ist dem Chef der Stickstoffwerke, Carsten Franzke, eine Analyse in die Hände gefallen. Sie stammt vom Zentrum liberale Moderne und dem Gaslobby-Verband Zukunft Gas. Sie lenke den Blick nach Osteuropa, so Franzke: "Eine Idee wäre, dass zum Beispiel die Ukraine sagt: Wir könnten für euch eine Biomethanproduktion errichten und euch Biomethan liefern mit einem Potenzial von – und jetzt kann man sich festhalten – über 200 Terrawattstunden."
Biomethan aus Pflanzen ist chemisch nicht viel anders als Erdgas. Franzke benötigt pro Jahr vierzehn Terrawattstunden. Die Studienautoren gehen davon aus, dass die Ukraine ein Vielfaches liefern könnte. Grob gerechnet könne ukrainisches Biomethan ein Viertel des gesamten deutschen Erdgasbedarfs decken.
Timm Kehler, Geschäftsführer bei Zukunft Gas, will das Potenzial nutzen: "Die Ukraine hat deswegen vor wenigen Wochen ein Gesetz erlassen, damit Export von Gas, von Biomethan auch möglich ist. Nun geht es darum, dass Import-Barrieren in die Europäische Union nach Deutschland auch aufgelöst werden, damit dann auch wirklich Käufer und Verkäufer zusammenfinden können."
Wirtschaftsminister Habeck priorisiert Lebensmittelproduktion in Ukraine
Kehler sagt, es sei sogar eine Pipeline zwischen der Ukraine und Deutschland vorhanden. Mit der Idee hat die Gaswirtschaft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck konfrontiert. Der fand den Gedanken gut, wandte aber ein, dass die Ukraine vor allem Lebensmittel produzieren müsse – auch für Afrika. "Wenn die deutsche, die europäische chemische Industrie durch Biomethan klimaneutral wird und in Nordafrika bricht der Hunger aus, dann ist auch nichts gewonnen", sagte Habeck. Er wolle die Quelle näher verstehen. "Das ist aber die einzige Einschränkung, die ich da mache, sonst unterstütze ich das voll."
Doch von Unterstützung sei bislang wenig zu spüren, beklagt die Gaswirtschaft. Stattdessen fühle man sich an die alte Tank-oder-Teller-Diskussion erinnert. Dabei müsse eine Biomethan-Produktion nicht zwingend zu Lasten der Lebensmittelproduktion gehen, argumentiert Timm Kehler: "Biomethan wird aus Abfällen produziert. Also da, wo Getreide erzeugt wird, entsteht Stroh. Und wo Stroh ist, kann man auch Biomethan erzeugen." Hinzu komme in dem kriegsgebeutelten Land, dass dort viele Flächen durch Munition kontaminiert seien. "Das heißt, da kann ich keine Lebensmittel anbauen, aber Biomasse, die ich dann zu Gas verarbeiten kann", so Keller.
Biogas ist aktuell allerdings teurer als Erdgas. Trotzdem sind auch die Stickstoffwerke Piesteritz interessiert. Denn im Gegensatz zu grünem Wasserstoff hätte Biogas einen Vorteil, sagt Firmenchef Franzke: Die bestehenden Anlagen müssten nicht umgerüstet werden. Man könne das Biogas durch das gelbe Rohr ins Herz seiner Anlage pumpen – und wäre sofort klimaneutral.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 09. Juli 2024 | 06:21 Uhr