Wähleranalyse Was treibt die Wähler in Sachsen zur AfD?

27. September 2021, 19:16 Uhr

Bundesweit ist das Ergebnis bei der Bundestagswahl AfD knapp zweistellig ausgefallen, mit 10,3 Prozent. In Sachsen hat die Partei jedoch klar gewonnen und der CDU die meisten Direktmandate abgenommen. Auch bei den Zweitstimmen hat die AfD die meisten Kreuze bekommen, weniger zwar als bei bei der vergangenen Bundestagwahl 2017, trotzdem hat sie vor SPD und CDU gewonnen. Warum haben sich die Wählerinnen und Wähler in Sachsen so entschieden?

Das sagen die Wählerinnen und Wähler

Norbert Franke kommentierte bei MDR SACHSEN: " Ich wähle seit 2014 AfD und bin nicht rechtsextrem, sondern konservativ. So wie mir geht es vielen AfD-Wählern." Außerdem ist er der Meinung, dass die AfD und die Partei Die Basis die einzigen Parteien gewesen seien, die ein Ende der Corona-Maßnahmen verlangt hätten. "Das hat eine Rolle bei der Wahl gespielt! Menschen, die ihre Existenz verloren, die haben weder CDU noch SPD gewählt", meinte er.

Die Leute wollen, dass sich etwas ändert. Deshalb haben sie die AfD gewählt - nicht, weil die so toll ist, sondern weil sich einfach etwas ändern soll.

Delitzscherin im Gespräch mit MDR SACHSEN

Ärger über geringe Löhne und an Anerkennung

Ein Passant in Crostwitz in der Oberlausitz sagte: "Innerhalb von 30 Jahren hat sich seit der Wende für den Osten nichts geändert. Lohnmäßig gar nichts. Deutschland ist ein reiches Land, wird immer gesagt. Millionen und Milliarden geben wir für andere Länder und für die Rüstung aus. Für den normalen Bürger, der für Deutschland arbeitet, für einen Großkonzern oder für einen kleinen Unternehmer, bleibt nichts übrig."

Ich denke, es ist viel Protest dabei, Unzufriedenheit, dass man glaubt, man wird nicht gehört. Wo ja auch etwas dran ist.

Mann auf dem Delitzscher Marktplatz

Ein junger Mann in Eilenburg sagte MDR SACHSEN: "Die AfD konzentriert sich halt einfach auf die Sorgen der Bürger. Natürlich sind da auch viele dabei, die nur rumerzählen und hintenherum etwas anderes machen. Aber die AfD ist jetzt da. Das ist es, was sich viele Leute in diesem Bundesland wünschen." Ein großes Stichwort, wofür in den Augen des Nordsachsen die AfD kämpfe, sei die Kultur. "Die geht so ein bisschen verloren meiner Meinung nach."

Konkreter Blick auf die Wählerstimmen

Bundesweit kam die AfD auf 10,3 Prozent - 2017 waren es noch 12,6 Prozent. Dennoch hat sie 16 Wahlkreise direkt gewonnen - alle liegen in Mitteldeutschland und überwiegend im ländlichen Bereich. Im Osten, wo die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Rechtsaußen-Strömung der Partei besonders stark ist, holte sie insgesamt deutlich bessere Ergebnisse als im Westen.

In Sachsen hat die AfD dieses Jahr zehn Direktmandate gewonnen und damit sieben mehr als bei der letzten Bundestagswahl. Weil aber rund 70.000 Wählerinnen und Wähler weniger dieses Mal der Partei ihre Zweitstimme gegeben haben und die Partei auch bundesweit Stimmen einbüßte, kann die AfD nur ihre zehn direkten Wahlkreisgewinner aus Sachsen in den Bundestag schicken und keine weiteren Kandidaten über die Landesliste. 2017 waren es noch insgesamt elf AfD-Abgeordnete aus Sachsen, obwohl die Partei damals nur drei Direktmandate im Freistaat holte. Die anderen acht waren wegen des bundesweit besseren Abschneidens der AfD über die Landesliste ins Parlament gelangt. Heißt: Die AfD hat ihr Wählerpotenzial insgesamt nicht ausgebaut, es ist geschrumpft.

Statistiker: Arbeiter und Arbeitslose wählen blau

Den größten Zuspruch erhielt die AfD bei der Bundestagswahl von Arbeiterinnen, Arbeitern und Arbeitslosen. Dort hat sie Stimmen von den Linken dazugewonnen. Auch 2017 hatte die AfD in dieser Bevölkerungsgruppe den stärksten Rückhalt. Damit setzt sie den von Ex-Parteichef Alexander Gauland forcierten Kurs fort, sich als "Partei der kleinen Leute" zu etablieren. Bei Selbstständigen und Rentnern schnitt die Partei dagegen deutlich schwächer ab.

AfD-Hochburgen Görlitz und Mittelsachsen

Die bundesweit höchste Prozentzahl an Zweitstimmen bekam die AfD im Wahlkreis Görlitz, wo der Malermeister und AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla sein Direktmandat verteidigte. Laut Bundeswahler waren es dort 32,5 Prozent der Stimmen. In vielen Gemeinden im Wahlkreis Görlitz erhielt die AfD bei den Zweitstimmen mehr als 40 Prozent, in Neißeaue sind es 47,4 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 hatte die AfD in Dorfchemnitz (Landkreis Mittelsachsen) ihr stärkstes Ergebnis in einer Kommune verbucht. Bei dieser Wahl kam die AfD in der Gemeinde auf 47,9 Prozent AfD-Zweitstimmenanteil - das sind 0,2 Prozentpunkte mehr als 2017.

Wissenschaftler: Ostpartei versus "keine normale Partei"?

Die AfD wird zur Ostpartei und bindet dort Ältere, die die größte Wählergruppe sind.

Andreas Zick Extremismusforscher

Während die AfD aus Sicht des Extremismusforschers Andreas Zick auf Bundesebene "an Anziehungskraft sowohl in der gesellschaftlichen Mitte als auch am rechten Rand verloren" habe, sehe das im Osten anders aus. Alle anderen Parteien müssten Antwort geben, "wie mit einem solch stabilen parlamentarischen Rechtspopulismus, der etablierte Normen und Werte dauerhaft infrage stellt und zugleich 'Normalität' behauptet, umzugehen ist". Ignorieren und Dämonisieren seien kein Präventionsprogramm.

Das sieht der Rechtsextremismusexperte und Soziologie-Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal, Matthias Quent, etwas anders. Er hat sich am Montag dafür ausgesprochen, die AfD aus bestimmten Posten und Gremien im neuen Bundestag herauszuhalten.

Ein Großteil der Bevölkerung - das wissen wir aus Umfragen - will mit der AfD nichts zu tun haben und erwartet ein klares Vorgehen gegen Rechtsextremismus.

Matthias Quent Rechtsextremismusexperte

Insofern sei die Ausgrenzung "dieser Rechtsaußen-Partei" wichtig. Die AfD sei für viele Wähler auch deshalb keine potenzielle Wahloption, weil sie im Parlament auf Bundesebene nicht wie eine normale Partei behandelt werde. "Sie ist keine normale, demokratische Partei und das kann sich durchaus auch in symbolischen Akten, im politischen und zivilgesellschaftlichen Handeln widerspiegeln."

Die AfD scheiterte im Bundestag immer wieder mit ihren Kandidaten für das Amt des Vize-Bundestagspräsidenten. Auch in Länderparlamenten gelinge es der Partei oft nicht, bestimmte Posten zu besetzen, weil sie für ihre Kandidaten keine Mehrheiten bekommt. Für Quent ein "richtiges Signal". Wehrhafte Demokratie bedeute, nach Innen und nach Außen Normen und ein gesellschaftliches Problembewusstsein zu schaffen, "dass das eben keine normale Partei ist", sagte der Soziologe der Nachrichtenagentur dpa.

Keine Protestwähler - gefestigtes Milieu

Während 2017 viele Wahlbeobachter die starken Ergebnisse der AfD in den mitteldeutschen Bundesländern als Protestwahl bewerteten, könne das 2021 nicht mehr gelten, meint der Rechtsextremismusforscher Oliver Decker vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung:

Es zeigt sich, dass es im Osten eine große Zahl von Menschen gibt, die in der AfD ihre politische Heimat findet. Die Interessen dieser Menschen sind offensichtlich antidemokratisch, rechtsextrem und völkisch.

Oliver Decker Rechtsextremismusforscher

Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer spricht bei den AfD-Anhängern gar von einem "gefestigt, hermetisch abgeriegelten Milieu, das sich weiter abgrenzt". Diese Einstellungen in der ostdeutschen Bevölkerung seien nicht neu, fänden nur in der AfD ein politisches Ventil, erklärt Rechtsextremismusforscher Decker dazu. Gerade bei jungen Wählern, die unter anderem in Sachsen besonders häufig die AfD wählten, sei dies eine "beunruhigende Entwicklung". Zum Vergleich: im Bundesdurchschnitt landet die AfD bei Erstwählern auf dem letzten Platz.

Quelle: MDR/kk/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Wahlsondersendung | 27. September 2021 | 18:00 Uhr

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