Nach der Bundestagswahl Bildung und Schule: Das wünschen sich Mütter aus Sachsen-Anhalt von der neuen Regierung
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30. September 2021, 19:00 Uhr
Zwei Mütter in Sachsen-Anhalt: Eine wohnt in Halle, die andere in Groß Germersleben in der Börde. Beide Frauen wünschen sich von der neue Regierung mehr Verständnis für die Belange von Kindern und Jugendlichen. Fehlende Digitalisierung an Schulen, mangelnde Infrastruktur und kaum Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Menschen – die Probleme der beiden Mütter sind ähnlich. Doch ihre Kreuze setzen sie unterschiedlich.
Entfernte Motorradgeräusche, Kirchenglocken und die Schreie eines Esels sind zu hören, als Sandra Blanke in ihrem Garten Platz nimmt. Eine viereckige Fläche im sonst grünen Gras macht deutlich, wo der Pool der Kinder diesen Sommer stand. Auch eine gepflasterte Feuerstelle lässt vermuten, dass die 42-Jährige großes Interesse daran hatte ihren drei Kindern Beschäftigung und Abwechslung zu bieten. Und auch Sandra Blanke fühlt sich hier wohl: "Ich wohne gerne auf dem Land. Ich wohne auch gerne hier in der Gegend. Die Infrastruktur ist aber wirklich sehr schlecht, sowohl für die Fahrradfahrer als auch den öffentlichen Nahverkehr."
Familien auf dem Land betrifft es besonders. Hier ist die Infrastruktur wirklich sehr schlecht.
Besserer ÖPNV und mehr Freizeitangebote
Der Schulbus kommt morgens um 6:45 Uhr, der nächste erst wieder gegen halb 10. "Wenn da mal ein Kind verschläft, was immer mal vorkommen kann, dann steht das da und kommt nicht zur Schule." Der Zug? Leider keine Alternative. Am kleinen Bahnhof bei Klein Oschersleben fährt zwar stündlich der Zug vorbei. Anhalten tut er aber nur alle zwei Stunden, sodass man dann erst nach Oschersleben fährt um eine andere Verbindung nach Klein Oschersleben zurück zu nehmen. "Und das kann's ja irgendwie auch nicht sein", belächelt Sandra Blanke: "Ist ja auch viel Zeit, die da verloren geht."
Verlorene Zeit – das Risiko sieht auch Sophia Waldowski für viele Jugendliche in Halle. Es fehle hier an Jugendclubs oder Bereichen, wo die jungen Leute mal feiern könnten, so die 37-jährige Mutter zweier Kinder. Sie steht auf der Hundewiese vor dem Landesmuseum in Halle. Die Wiese und das Museum sind durch eine kopfsteingepflasterte Straße getrennt, an deren Rand sich zerschmetterte Flaschen, verkrustete Pizzakartons und zertretene Papierbecher sammeln. "Hier sitzen nachts viele Jugendgruppen und feiern und erzählen laut. Die Anwohner fühlen sich dadurch gestört, was ich auch verstehen kann. Aber ich kann ebenso die Jugendlichen verstehen, weil wo sollen sie sonst hin?"
Während der Corona-Pandemie waren keine Sportarten möglich, kein Kino oder sonstige Kulturangebote. Sophia Waldowski bemerkte, dass das ihre Kinder veränderte: "Nur zuhause rumhocken, da sind wir uns dann auch selber auf die Nerven gegangen. Das Kulturelle fehlt einfach für die Kinder."
Großer Handlungsbedarf bei der Bildung
Neben kulturellen Angeboten machte Corona auch einige Missstände im Schulwesen deutlich. Wo Sandra Blanke im ersten Lockdown noch Verständnis für überforderte Lehrkräfte hatte, machte sich nach dem zweiten und dritten Lockdown Frust breit: "Es gab keine Tablets, keinen Digitalunterricht und keine Erreichbarkeit von Lehrern in Zeiten, in denen Unterricht hätte stattfinden müssen", kritisiert die 42-Jährige. Neben einem Achtstundentag im Home Office betreute sie zwei ihrer drei Schulkinder. Die älteste Tochter konnte zumindest nach dem dritten Lockdown in die Schule gehen, da sie zur Abschlussklasse gehörte. Doch mit den beiden Jüngeren "haben wir uns schon ziemlich allein gelassen gefühlt", so Sandra Blanke.
Mittlerweile sind die Schulen wieder geöffnet – für Sandra Blanke aber gehen die Probleme hier weiter. Sie sieht keine Konzepte in den Wiedereröffnungen und hat Sorge, dass sich ihre Kinder mit Corona infizieren. Getrieben von Frust, Unsicherheit und Überforderung vernetzte sie sich mit anderen Müttern aus der Börde über die Social-Media-Plattform Twitter. "Alle berufstätig, alle mit mehreren Kindern, alle mit den gleichen Problemen: keine Abstandsregeln in der Schule, die Kinder sitzen zu zweit an der Schulbank, ohne Maske, mischen sich dann in den Horträumen. Das ist für uns mit immer weiter steigenden Zahlen eine ganz schlimme Situation."
Letzte Woche lag die Inzidenz in Sachsen-Anhalt bei Schulkindern von der ersten bis zur achten Klasse sehr deutlich über dem Schnitt. Die Kinder sind ungeschützt und ungeimpt. Die haben keine Chance. Es besteht eine Präsenzpflicht in der Schule, die haben keine Glasscheiben dazwischen, so wie es vielleicht im Landratsamt oder Landtag ist. Die haben keine Luftfilter, keine Masken auf und müssen einfach jeden Tag hoffen, dass sie gesund sind.
Die Gruppe fordert sichere Hygienekonzepte mit Luftfiltern und Hybridunterricht. Sie schrieben zahlreiche Mails an Ministerien, Schulträger und Medienvertreter. Mit dem Leiter des Gesundheitsamtes im Landkreis Börde gab es sogar ein persönliches Gespräch. Passiert sei bis jetzt nichts. Mit Aussagen wie "zu viel Aufwand, zu kurzfristig", seien sie abgeschmettert worden. Klar: Bildung ist Ländersache. Doch die Mütter machen weiter, vernetzen sich mittlerweile bundesweit. Im Vergleich zum Veranstaltungsgewerbe, der Gastronomie und anderen Branchen mit starker Interessenvertretung, findet der Bereich "Schule" für Sandra Blanke immer noch viel zu wenig Beachtung.
Kinder sind keine Wähler, das sind keine Leute, die Geld irgendwo einzahlen, die haben einfach keine Lobby.
Auch für Sophia Waldowski aus Halle stehen Belange von Kindern und Jugendlichen viel zu wenig im Fokus. Ebenso wie Sandra Blanke hat auch sie Verständnis für Überforderung beim ersten Lockdown, doch beim zweiten hätte sie sich eine andere Strategie gewünscht. Die Schulen wurden einfach geschlossen – das habe sie sehr verärgert. Denn komplett alleine zu lernen sei für die Kinder keine Option.
Ich fand es doof, den Kindern erklären zu müssen, wenn im Fernsehen Fußballer um die Welt reisen, warum sie nicht zur Schule gehen können. Sie haben ihre Freunde vermisst, sie haben ihren Alltag vermisst. Und ich fand, die Priorität war einfach falsch gesetzt.
Als Elternsprecherin weiß Sophia Waldowski um das Problem der Bildungsgerechtigkeit: "Es gibt Familien, die haben nicht mal Internet. Die haben keinen Laptop. Die haben vielleicht mal ein Handy mit ein bisschen Datenvolumen. Da ist einfach das Problem, dass nicht abgefragt wurde: 'Wie seid ihr zuhause digitalisiert?'". Andere haben vielleicht zwei Laptops und drei Handys und andere haben nichts. Und solche Familien bleiben dann auf der Strecke." Das Geld für die Digitalisierung an Schulen sei zwar da, aber viele Schulen wüssten nicht, wie sie es abrufen sollen. Da sei zu spät reagiert worden, sagt Sophia Waldowski.
Auf der MDR-Wünschekarte für Sachsen-Anhalt können Sie sehen, was sich andere Menschen zwischen Arendsee und Zeitz von der neuen Bundesregierung wünschen.
Gleiche Probleme, unterschiedliche Kreuze
Wer Sophia Waldowski und Sandra Blanke nach ihren konkreten Wünschen an eine neue Bundesregierung fragt, bekommt zwar unterschiedliche Antworten – am Ende jedoch ganz ähnliche Wünsche. Die neue Regierung in Berlin solle bedenken, dass Kinder die Wählerinnen und Wähler von morgen seien, so Sandra Blanke. Damit appelliert sie, die Interesse junger Menschen stärker zu berücksichtigen.
Ähnlich klingt es bei Sophia Waldowski: "Mehr auf die Belange von Kindern und Jugendlichen einzugehen" – das wünsche sie sich. Besonders in Sachen Digitalisierung und Bildung glaubt die junge Mutter aus Halle, dass die FDP ihre Anliegen am ehesten vertritt.
Sandra Blanke sieht ein höheres Veränderungspotenzial in einer anderen Partei. "Ich bin Grünen-Wähler, schon immer". Klimawandel, Bildungsgerechtigkeit und digitalisierte Schulen waren ihr auch bei dieser Wahl wichtig. In diesen Bereichen sieht die 42-Jährige großen Handlungsbedarf und hofft, mit ihrem Kreuz etwas zu bewirken: "Jetzt wird man sehen, was daraus wird. Und dann hat man in vier Jahren wieder eine neue Wahl."
Über Viktoria Schackow Viktoria Schackow kommt aus dem Rheinland und ist für ihr Studium nach Magdeburg gezogen. Sie schnupperte erste Hörfunk- und Onlineluft bei MDR SACHSEN-ANHALT, machte ein Praktikum beim Fernsehen und managed den Insta-Account von ihrem Hund "Mickey". Gute Laune auf Knopfdruck - mit Viktoria Schackow kommt nie Langeweile auf. Sie ist ein echter Kaffesuchti und hat eine markante Stimme, mit der sie nochmal ganz Groß raus kommt!
Über Philipp Baumgärtner Philipp Baumgärtner kommt aus Halle und hat dort und in Plymouth Medienwissenschaften/Media Arts studiert. Vor seinem Volontariat beim MDR hat er als Bildungsreferent und für die Mitteldeutsche Zeitung gearbeitet und ist irgendwie in der Region kleben geblieben – weil er es hier einfach schön findet.
MDR/Viktoria Schackow, Philipp Baumgärtner
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. September 2021 | 19:00 Uhr