Analyse Darum haben Linke, CDU und AfD bei der Bundestagswahl verloren

01. Oktober 2021, 09:07 Uhr

Linke, CDU und AfD haben bei der Bundestagswahl teils herbe Verluste erlitten. Vor allem bei der Linken und der CDU um den gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet dürften die innerparteilichen Konflikte jetzt erst so richtig losgehen. Warum die Parteien die Wahl verloren haben und was sich daraus für sie ableitet – eine Analyse.

Ayke Süthoff
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Die Linke erreicht ihre Stammwählerschaft im Osten nicht

Die "einfachen Menschen" erreichen – das wollen eigentlich alle Parteien. Der Linken gelang das, zumindest im Osten, lange erfolgreich: Wer Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes hat, mit einer geringen Rente oder niedrigem Einkommen klarkommen muss, diejenigen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, auch die, die mit den Umbrüchen der Wiedervereinigung zu kämpfen hatten – all diese Menschen stellten die Kernwählerschaft der Linke.

Hinzu kamen zuletzt urbane, linksintellektuelle Wählerinnen und Wähler, die für eine – aus ihrer Sicht – bessere Welt kämpften. Denen ging es nicht nur um Mindestlohn, Grundrente und Hartz-4-Sanktionen, sondern um Gendersternchen, Grundeinkommen und offene Grenzen. Das Problem der Linken ist: Auf diese Gruppe hat sie sich nun zu sehr konzentriert. Die Masse, die oben beschriebenen "einfachen Leute", interessieren sich nicht für diese Nischenthemen, sie sind davon sogar abgestoßen. Sahra Wagenknecht stellte im Interview mit MDR AKTUELL fest, viele Menschen hätten das Gefühl, man wolle sie belehren, statt ihnen zuzuhören. Damit trifft sie den Nagel auf den Kopf.

Eine knappe halbe Million Wähler an AfD verloren

Die ehemalige Kernwählerschaft im Osten kann sich für eine linke Utopie nicht begeistern. Die Linke hatte zuletzt das Image eines urbanen Debattierclubs – abgehoben, elitär, arrogant. Die Leute wollen aber Politiker, die ihre Probleme ernst nehmen, ihnen Respekt entgegenbringen und ihre Sorgen verstehen. In diese Lücke stößt im Osten die AfD. Sie ist nicht elitär, sie kritisiert die Eliten. Sie ist nicht in den Großstädten, sie ist im Dorf, im Verein, in der letzten verbliebenen Kneipe. Sie wird so sehr als Teil des eigenen Lebens verstanden, dass vielen sogar die rechtsextremen Ausfälle der Partei egal sind. Schon 2017 wählten 400.000 ehemalige Linken-Wähler die AfD, dieses Jahr kamen laut Infratest dimap weitere 160.000 dazu.

Während die Linke ihre Kernwähler längst verloren hat, fehlten bei der Bundestagswahl zusätzlich die, die sie zwischenzeitlich für sich gewinnen konnten – die Wähler der Grünen und der SPD. 2017 stimmten 600.000 ehemalige SPD- und Grünen-Wähler für die Linke, dieses Mal verlor die Partei mehr als eine Million Wählerinnen und Wähler an die beiden Mitbewerber. Der urbanen Elite sind linke Utopien zwar wichtig, wichtiger ist ihr aber der Klimaschutz. Und wenn man die Wählerwanderung zur SPD analysiert, scheint dort ein anderes Thema sogar den Klimaschutz zu überflügeln: das Verhindern einer Kanzlerschaft von Armin Laschet.

Der CDU fehlen Inhalte und Führungskräfte

Wo liegt die Kernkompetenz der CDU? Wirtschaft? Viele verorten das Ressort wohl bei der FDP. Die Sozialpolitik gehört zur SPD. Klimaschutz klar zu den Grünen. Vielleicht verbinden die Wählerinnen und Wähler den Bereich innere Sicherheit mit der Union – wenn auch mit Abstrichen. Denn diejenigen, die sich mehr Strenge wünschen, wählen eher die AfD. Diejenigen, die die AfD ablehnen, nehmen der CDU die teilweise Anbiederung an den rechten Rand übel. Übrig bleibt an konservativem Markenkern wenig.

Das liegt auch an der scheidenden Kanzlerin. In den Merkel-Jahren war es eine Stärke der Union, für alles ein bisschen zu stehen.

Armin Laschet Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Vorsitzender der CDU und Kanzlerkandidat bei seinem Statement in der CDU-Zentrale des Konrad-Adenauer-Haus in Berlin nach der ersten Hochrechnung
Ob sich Armin Laschet noch lange als CDU-Chef halten kann? Die Zweifel sind auch in der Partei groß. Bildrechte: imago images/Political-Moments

Ohne Merkel fällt diese Taktik der Union massiv auf die Füße. Wofür die Union steht, ist unklar – da kann Armin Laschet noch so oft von einer "Zukunftskoalition" und einem "Modernisierungsjahrzehnt" sprechen. Diese Stichworte verwirren sogar, weil niemand weiß, was Laschet damit meint. Was will die CDU zu Beginn eines Jahrzehnts, das massive Veränderungen bringen wird? Diese Frage muss die Partei dringend für sich beantworten, um für Wähler und Wählerinnen wieder interessant zu werden.

Andernfalls droht eine Entwicklung, die im großen Schatten der Kanzlerin schon länger vonstattengeht: Die Partei könnte den Status einer Volkspartei, die durchaus unterschiedliche Positionen unter einem Dach verbinden kann, verlieren. Regional verliert sie seit Jahren Stimmen an andere politische Lager: Im Osten findet die Union keine adäquate Antwort auf die AfD, im Südwesten keine auf die Grünen – sie biedert sich in beiden Fällen eher an, treibt damit noch mehr ihrer Wähler zu den jeweiligen Originalen.

Eine Partei, deren inhaltliche Basis bröckelt, kann nur von starken Persönlichkeiten zusammengehalten werden. Merkel war so eine, Laschet nicht. Das trieb ebenfalls viele Menschen in die Arme der SPD und Olaf Scholz.

Die Provokationen der AfD verfangen nicht mehr

Es ist nicht lange her, da rief so gut wie jede Äußerung, jeder Facebookpost und jeder Tweet aus den Reihen der AfD deutschlandweit Reaktionen hervor. Egal, ob zustimmend oder ablehnend, von den Medien über Politik zur Wählerschaft sprach das halbe Land über Schusswaffeneinsatz an der Grenze oder Vogelschisse in der deutschen Geschichte. Aus dem diesjährigen Wahlkampf bleibt keine solche Provokation der AfD hängen. Nicht, weil die Vertreter und Vertreterinnen der Partei es nicht versucht hätten, sondern, weil die Taktik einfach nicht mehr verfängt. Deutschland hat gelernt, mit den Grenzüberschreitungen umzugehen, und dazu gehört manchmal auch, sie nicht immer allzu ernst zu nehmen.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die AfD nicht mehr verschwinden wird. Die Hoffnungen von so ziemlich allen etablierten politischen Kräften, dass die Partei sich so lange selbst zerfetzt, bis sie verschwindet, werden Phantasien bleiben. Die AfD hat sich stabilisiert – sie wird nicht mehr viel größer werden, aber auch nicht mehr viel kleiner.

Die am Wahlabend mantraartigen Beschwörungen der Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla sind insofern korrekt: Die AfD hat eine stabile Wählerschaft. Die liegt über zehn Prozent. Selbst wenn sie Stimmen verliert – und das hat sie unter anderem in Hochburgen wie Sachsen – bleibt ein relevanter Anteil. Die FDP feiert sich gerade dafür, zweimal in Folge bei einer Bundestagswahl ein zweistelliges Ergebnis errungen zu haben. Angesichts dessen müssen selbst alle Gegnerinnen und Gegner anerkennen, wie schnell die AfD sich in der deutschen Politiklandschaft etablieren konnte.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 29. September 2021 | 20:00 Uhr

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