Jens Spahn
Beim Bayerischen Rundfunk verglich Jens Spahn das Heizungsgesetz mit längeren Laufzeiten von Kernkraftwerken. Bildrechte: MAGO/Jürgen Heinrich

Streit um Heizungsgesetz Längere AKW-Laufzeiten statt Heizungsgesetz: Forscher widersprechen Jens Spahn

26. Mai 2023, 13:09 Uhr

Statt durch das geplante Heizungsgesetz könnten bis zu 20 Millionen Tonnen CO2 jährlich durch den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken gespart werden. So argumentiert der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn in einer Talkshow des Bayerischen Rundfunks. Forschungskoordinator Felix Matthes findet Spahns Argumentation irreführend: Alle verbauten fossilen Energiesysteme erschwerten das Erreichen der Klimaziele deutlich. Es sei sinnvoll, schon jetzt umzusteuern, betont der Experte.

Die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland habe dazu geführt, dass mehr Kohle verfeuert werde und Deutschland so 15 bis 20 Millionen Tonnen mehr CO2 pro Jahr ausstoße, sagte Jens Spahn beim BR-Sonntags-Stammtisch.

André Thess ist Professor für Energiespeicherung der Universität Stuttgart und hält das für realistisch: "Für diesen Wert spricht die Tatsache, dass Deutschland in den 31 Tagen nach dem Atomausstieg 2,72 Terrawattstunden Strom aus dem Ausland importiert hat. Es gibt noch keine belastbaren Analysen dazu, aber wenn Sie den Importstrom einbeziehen, dann kommen Sie, auf das Jahr bezogen, auf ungefähr 15 Millionen Tonnen."

Spahn spricht sich für längere AKW-Laufzeiten aus

Jens Spahn zieht in der Talkshow daraus folgenden Schluss: "Zwei, drei Jahre die drei Kernkraftwerke länger laufen lassen, statt Kohle zu nutzen, würde so viel CO2 einsparen, wie wir jetzt durch dieses Gesetz von Habeck sparen würden. Unterschied: Man braucht keine Milliarden Förderprogramm. Zweiter Unterschied: Die Bevölkerung wäre nicht so unruhig und frustriert und würde sich nicht so überfordert fühlen."

Forschungskoordinator verweist auf Emissionshandel

Eine Verknüpfung, die Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut, für teils irreführend, teils falsch hält. Falsch sei sie, weil es wegen des Emissionshandels gar keine echte Einsparung gebe: "Das europäische Emissionshandelssystem beruht darauf, dass jeder, der eine Tonne CO2 emittieren will, dafür ein Zertifikat abgeben muss. Die Zahl dieser Zertifikate ist begrenzt, das heißt, die gute Nachricht ist, dass es niemals mehr Emission geben kann, als Zertifikate vorhanden sind. Die schlechte Nachricht ist, dass die Zertifikate, die ausgegeben werden, auch genutzt werden."

Ein Zertifikat, das das Kernkraftwerk nicht braucht, nutze stattdessen eben ein Stahlwerk oder eine Raffinerie, so der Forscher weiter.

Luderer: Verbaute Heizungssysteme erschweren Erreichen der Klimaziele

Irreführend sei es, zu behaupten, dass die Bundesregierung durch den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken Geld sparen könne. Das sieht auch Professor Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung so: "Wir haben trotz Klima- und Energiekrise in den letzten zehn, 15 Jahren konstant 600.000 fossile Heizungssysteme pro Jahr verbaut. All diese Heizungssysteme werden es langfristig sehr schwer machen, die Klimaziele zu erreichen. Da ist es ganz zentral, jetzt schon umzusteuern. Da kann man nicht zehn Jahre warten."

Felix Matthes vom Öko-Institut formuliert es so: "Lässt man die Leute jetzt noch drei, vier Jahre lang Gasheizungen einbauen, dann laufen sie auf eine regulative Mauer und auf Riesenkosten zu. Denn dann würden die sehr hohen CO2-Preise alle treffen, während jetzt nur diejenigen zur klimafreundlichen Modernisierung verpflichtet werden, bei denen die Heizung gerade kaputtgegangen ist."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. Mai 2023 | 06:00 Uhr

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